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das geschäft mit der angst - pfizers desinformationskampagne zu atorvastatin (sortis)
 
DAS GESCHÄFT MIT DER ANGST -
PFIZERS DESINFORMATIONSKAMPAGNE ZU ATORVASTATIN (SORTIS)


In großformatigen Anzeigen schürt die Firma Pfizer in dieser Woche Ängste beim Verbraucher: "Ab Januar wird gespart. An der Gesundheit von Millionen Herz-Kreislauf-Patienten. Ab 1. Januar wird 1,5 Millionen Kassenpatienten der nachweislich beste Cholesterinsenker nicht mehr voll erstattet... SORTIS senkt Cholesterinwerte am stärksten, reduziert das Risiko am schnellsten und ist auch in höchster Dosierung gut verträglich" (1).*

Der Konzern reagiert mit dieser Kampagne auf den Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses, Atorvastatin zusammen mit den anderen auf dem Markt befindlichen CSE-Hemmern Simvastatin (ZOCOR u.a.), Pravastatin (PRAVASIN u.a.), Fluvastatin (CRANOC u.a.) und Lovastatin (MEVINACOR u.a.) in eine gemeinsame Festbetragsgruppe ("Jumbogruppe") aufzunehmen und damit eine Kostenregulation bei diesen hochpreisigen Arzneimitteln zu ermöglichen. Auch um das international etablierte Preisniveau durch einseitige Preissenkungen in Deutschland nicht zu gefährden, will Pfizer die Kosten für Atorvastatin nicht auf Festbetragshöhe senken. Die Folge für die Patienten sind beträchtliche Zuzahlungen, die ab 2005 fällig werden (z.B. 48,51 Euro für 100 Tbl. SORTIS zu 40 mg).**

Die Anpreisung von Atorvastatin als "besten Cholesterin-Senker" erweist sich jedoch bei nüchterner Betrachtung der Datenlage als reines Wunschdenken des Herstellers. Die Fakten:

Für die wichtigste Indikation, die Sekundärprävention kardiovaskulärer Komplikationen bei Patienten mit bekannten chronischen atherosklerotischen Erkrankungen, liegen keine validen Studien mit Atorvastatin vor. Die Datenlage ist für 20 mg bis 40 mg Simvastatin (4-S***, HPS) und 40 mg Pravastatin (CARE und LIPID) nach wie vor am besten. Beide Statine senken bei diesen Patienten die Rate schwerer koronarer Ereignisse und wirken lebensverlängernd (a-t 2004; 35: 56-60).

In der Primärprävention, also bei Patienten ohne manifeste atherosklerotische Erkrankung, liegt zu Atorvastatin mit ASCOT-LLA eine randomisierte kontrollierte Studie vor, an der Patienten mit Hypertonie und mindestens drei weiteren Risikofaktoren teilnehmen. Die Häufigkeit schwerer koronarer Ereignisse, nicht jedoch die Mortalität, wird geringfügig gesenkt. Vergleichbare Resultate lassen sich gemäß großer Studien jedoch auch mit Pravastatin (WOSCOP) und Lovastatin (ASCAPS/TexCAPS) erzielen (a-t 2004; 35: 56-60).

Ähnlich ist die Situation bei Diabetikern ohne bekannte atherosklerotische Erkrankung, aber mit hohem koronaren Risiko. Sowohl für Atorvastatin (CARD) als auch für Simvastatin (HPS) ist ein Nutzen in dieser Patientengruppe belegt. Wegen der insgesamt besseren Datenlage erachten wir Simvastatin auch in dieser Indikation als Mittel der Wahl (a-t 2004; 35: 93-4).

Einzige Ausnahme stellt unseres Erachtens die zeitlich befristete Therapie des akuten Koronarsyndroms mit täglich 80 mg Atorvastatin dar. Während hier die frühzeitige, hochdosierte Einnahme von Simvastatin gegenüber einer späteren, niedrig dosierten keinen Vorteil zeigt (a-t 2004; 35: 94), liegen mit MIRACL (gegen Plazebo) und PROVE-IT (gegen 40 mg Pravastatin) in dieser Indikation für hochdosiertes Atorvastatin positive Daten vor. Die gerne als Beleg für die Überlegenheit von Atorvastatin herangezogene PROVE-IT-Studie lässt jedoch die Frage unbeantwortet, ob die hohe Dosis oder spezifische Stoffeigenschaften für den zusätzlichen Nutzen verantwortlich sind (a-t 2004; 35: 41-2).

Bei homozygoter familiärer Hypercholesterinämie oder Behandlung von Kindern mit schweren Dyslipidämien liegen für alle Statine nur sehr begrenzte Erfahrungen vor. In der Fachinformation von SORTIS wird lediglich auf eine offenbar unveröffentlichte Studie mit 64 an homozygoter familiärer Hypercholesterinämie erkrankten Patienten verwiesen. Die Therapieerfahrung mit Atorvastatin bei Kindern beschränkt sich auf eine kleine Anzahl zwischen 4 und 17 Jahren.

FAZIT: Eine überlegene Wirksamkeit von Atorvastatin im Vergleich zu anderen Statinen ist weder für die Primär- noch für die Sekundärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen nachgewiesen. Für die Mehrzahl der Patienten fehlt somit der Beleg für einen Vorteil von Atorvastatin. In der wichtigsten Indikation für ein Statin, der Langzeitsekundärprophylaxe chronischer atherosklerotischer Erkrankungen, ist ein Nutzen von Atorvastatin gar nicht nachgewiesen. Wir erachten daher die Anzeigenkampagne als Panikmache und gezielte Irreführung der Öffentlichkeit, mit der Pfizer versucht, den derzeitigen Umsatz des Produktes (515 Millionen Euro über öffentliche Apotheken) ungeschmälert zu erhalten.



1

Pfizer GmbH: Werbung für SORTIS, Süddt. Ztg. vom 10. Nov. 2004

*

Diese Werbung für ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel verstößt unseres Erachtens gegen das Heilmittelwerbegesetz (HWG). Bei Laien ("außerhalb der Fachkreise") darf nicht mit einer Aussage, "die geeignet ist, Angstgefühle hervorzurufen oder auszunutzen", geworben werden (Paragraph 11 (1) 7 HWG).

**

Auch die Anbieter der Simvastatin- und Pravastatin-Originale (ZOCOR und MEVALOTIN/PRAVASIN) müssen ab 2005 die Preise deutlich senken, um Zuzahlungen zu vermeiden. Im Gegensatz zu Pravastatin und Simvastatin gibt es jedoch für Atorvastatin (Patentablauf 2011) noch keine preiswerten Generika.

***

4-S = Scandinavian Simvastatin Survival Study
AFCAPS/TexCAPS = Air Force/Texas Coronary Atherosclerosis Prevention Study
ASCOT-LLA = Anglo-Scandinavian Cardiac Outcomes Trial-Lipid Lo-wering Arm
CARDS = Collaborative Atorvastatin Diabetes Study
CARE = Cholesterol And Recurrent Events Trial
HPS = Heart Protection Study
LIPID = Long-Term Intervention with Pra-vastatin in Ischaemic Disease Study
MIRACL = Myocardial Ischemia Reduction with Aggressive Cholesterol Lowering
PROVE-IT = Pravastatin or Atorvastatin Evaluation and Infection Therapy
WOSCOP = West of Scotland Coronary Prevention Study



© Redaktion arznei-telegramm
blitz-a-t 11. November 2004

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