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RABATTVERTRÄGE BEI INFLUENZA-IMPFSTOFFEN: UMSTRITTENE IMPFSTOFFE DURCH DIE HINTERTÜR

In der Septemberausgabe des arznei-telegramm hatten wir berichtet, dass in Bayern, Hamburg und Schleswig-Holstein ein Rabattvertrag über den Grippeimpfstoff BEGRIPAL (ohne Kanüle) besteht, dieser aber auf unbestimmte Zeit („einige Wochen“) (1) nicht lieferbar sein wird (a-t 2012; 43: 77-8). Während in der Presse zu diesem Zeitpunkt bereits der November als frühestmöglicher Auslieferungstermin genannt wird (2) und der Verband der Ersatzkassen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg erstmals „alternative Produkte“ des BEGRIPAL-Anbieters Novartis als Ersatz ins Spiel bringt (3), geht die AOK Nordwest zunächst weiter „fest davon aus, dass eine der weltweit größten Pharmafirmen zu ihrer Zusage steht“, dass also wie vorgesehen ab dem 24. September 2012 geliefert werde (4). Bereits vor einer entsprechenden Absprache mit der Kasse informiert die Firma jedoch Apotheken, dass in Hamburg und Schleswig-Holstein anstelle des nicht lieferbaren Rabattimpfstoffes für Patienten ab 18 Jahren OPTAFLU und für Personen ab 65 Jahren das adjuvantierte FLUAD abgegeben werde. Bei Kindern und Jugendlichen, für die OPTAFLU und FLUAD nicht zugelassen sind, kann hingegen unter den zugelassenen Impfstoffen frei gewählt werden. Inzwischen wurde in einem Zusatzvertrag als Übergangsregelung vereinbart, dass Novartis auch diese beiden Produkte sowie BEGRIPAL mit Kanüle rabattiert (5).* Letzteres soll allerdings nur in geringer Menge verfügbar sein (6).

Aktuell ist auch keiner der neuen Rabattimpfstoffe im Handel. FLUAD soll frühestens ab der 40. Kalenderwoche erhältlich sein (also ab Anfang Oktober) (7). Bei OPTAFLU wurde die Stammanpassung für die Saison 2012/13 am 24. September genehmigt (8).** Wann die Vakzine tatsächlich eingesetzt werden kann, bleibt abzuwarten.

Mit FLUAD und OPTAFLU sollen jetzt zwei Vakzinen breit verimpft werden, die sich von herkömmlichen Grippeimpfstoffen einschließlich des ursprünglich vorgesehenen BEGRIPAL unterscheiden: FLUAD ist zwar wie diese auf Eibasis hergestellt, enthält aber einen Wirkverstärker (Adjuvans), der die Immunreaktion verstärken und dadurch einen besseren Schutz gewährleisten soll. Auch nach Einschätzung des Robert Koch-Instituts fehlt jedoch nach wie vor ein hinreichender Beleg dafür, dass adjuvantierte Impfstoffe zuverlässiger vor Influenza schützen als nicht adjuvantierte Vakzinen. Sie sind aber schlechter verträglich und rufen häufiger Lokalreaktionen wie Schmerz, Rötung und Schwellung an der Injektionsstelle hervor (9).

Bei OPTAFLU werden die Impfviren, anders als bei herkömmlichen Influenzavakzinen, auf der Basis einer permanenten (unsterblichen) und im Tierversuch hoch tumorigenen Zelllinie (Madin Darby Canine Kidney [MDCK]-Zelllinie) vermehrt. Sicherheitsbedenken hat die europäische Arzneimittelbehörde EMA aufgrund des Herstellungsverfahrens, bei dem intakte Zellen vollständig aus dem Impfstoff eliminiert werden sollen, nicht (10). Daten aus Postmarketing-Erfahrungen gibt es laut Fachinformation für OPTAFLU bislang nicht (11). Das Paul-Ehrlich-Institut verweist jedoch darauf, dass der im Rahmen der Schweinegrippe verwendete Pandemieimpfstoff CELTURA auf der gleichen Zelllinie basiert und „weltweit 100.000fach angewendet“ wurde, „ohne dass über eine ... Tumorentstehung berichtet wurde“ (12). Veröffentlichte Daten zu einer systematischen Nachbeobachtung finden wir allerdings nur für knapp 4.000 Impflinge über einen Zeitraum von sechs Monaten (13).

In den USA ist OPTAFLU unseres Wissens nach wie vor nicht zugelassen. Einige Mitglieder des Beraterkomitees der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA hatten Ende 2005 theoretische Bedenken geäußert, zum Beispiel wegen potenzieller Onkogenität der DNA aus MDCK-Zellen, die in geringen Mengen (unter 10 ng/0,5 ml) im Endprodukt verbleibt, und eine langfristige Überwachung der Anwender befürwortet (a-t 2007; 38: 111-2) (14).

Wirkvorteile gegenüber einem herkömmlichen Impfstoff auf Eibasis sind auch für OPTAFLU nicht belegt. Schmerzen an der Injektionsstelle treten in Zulassungsstudien jedoch häufiger auf (10).

Wir halten es für nicht akzeptabel, dass trotz Verfügbarkeit einer Vielzahl gut erprobter Influenzavakzinen Versicherte ab 18 Jahren in Hamburg und Schleswig-Holstein zwei Impfstoffe erhalten sollen, für die keine klinischen Wirkvorteile, aber mehr lokale Störwirkungen belegt sind und von denen einer, OPTAFLU, kaum außerhalb klinischer Studien angewendet wurde. „Wie kann es sein, dass ein Konzern einen Rabattvertrag über einen Impfstoff abschließt, diesen dann aber ,zufällig’ erst verspätet liefern kann und ich als Arzt gezwungen bin, ... ,Schrott’ zu verimpfen ...“, kommentiert ein Hamburger Kollege. In der Tat weist die AOK Nordwest darauf hin, dass die gewählten Vakzinen „hochwertig“ seien und „ein Ausweichen auf andere Grippeimpfstoffe ... daher grundsätzlich nicht gegeben“ sei (15). Auch die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg warnt ihre Mitglieder vor einem Regress, sollten diese (außer in Ausnahmefällen) von den Rabattprodukten abweichen (16). In Hamburg und Schleswig-Holstein haben erwachsene Patienten, die nicht mit FLUAD oder OPTAFLU geimpft werden wollen, daher derzeit nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie warten, bis BEGRIPAL in den Handel kommt. Oder sie versuchen, bei ihrer Krankenkasse eine schriftliche Kostenübernahmeerklärung für einen alternativen Impfstoff zu erhalten.

Möglicherweise gibt es auch noch eine dritte Lösung: GlaxoSmithKline, Mitbewerber von Novartis, hat den Kassen bereits vorgeworfen, gegen das Vergaberecht zu verstoßen, da neue Rabattverträge abgeschlossen wurden, ohne dass eine erneute öffentliche Ausschreibung durchgeführt wurde (7). Auch vor diesem Hintergrund sind die Kassen gut beraten, das selbst geschaffene Chaos endlich zu beenden und die Wahl der Grippeimpfstoffe freizugeben, –Red.

  1Novartis: Schreiben vom 10. Sept. 2012
  2DAZ online vom 10. Sept. 2012: Novartis kann noch nicht liefern
  3DAZ online vom 12. Sept. 2012: Nächstes Krisentreffen anberaumt
  4AOK Nordwest, zitiert nach: Apotheke adhoc vom 12. Sept. 2012: Impfchaos bei AOK und Novartis
  5Apotheke adhoc vom 18. Sept. 2012: OPTAFLU statt BEGRIPAL
  6DAZ online vom 19. Sept. 2012: Hamburg setzt auf Lösung am Runden Tisch
  7DAZ online vom 21. Sept. 2012: Enttäuschte Hoffnungen in Hamburg
  8Paul-Ehrlich-Institut: Schreiben vom 24. September 2012
  9RKI: Antworten auf häufig gestellte Fragen zur saisonalen Influenzaimpfung, Stand 12. Sept. 2012, zu finden unter http://www.rki.de
  10EMA: Europ. Beurteilungsbericht (EPAR) OPTAFLU, Stand Aug. 2007; http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/EPAR_-_Scientific_Discussion/human/000758/WC500046954.pdf
  11Novartis Vaccines: Fachinformation OPTAFLU, Stand Nov. 2011
  12Paul-Ehrlich-Institut: Versorgung mit Grippeimpfstoffen – Diskussion um Zellkulturimpfstoff OPTAFLU, Stand 24. Sept. 2012
  13REYNALES, H. et al.: Vaccine 2012; 60: 6436-43
  14FDA/CBER: Diskussion mit dem Vaccines and related biological products advisory committee, 16. Nov. 2005; http://www.fda.gov/ohrms/dockets/ac/05/transcripts/2005-4188t1.pdf
  15AOK Nordwest: Schreiben vom 24. Sept. 2012
  16KV Hamburg: Rundschreiben vom 24. Sept. 2012
  17KV Bayern: Rundschreiben vom 24. Sept. 2012
  18AOK Bayern: Telefonische Mitteilung vom 26. Sept. 2012

   *In Bayern soll laut KV Bayern vorübergehend auf den herkömmlichen Impfstoff AFLURIA und die intradermale Vakzine INTANZA ausgewichen werden (17). Die AOK Bayern will sich hierzu solange nicht äußern, bis die Firma Novartis die endgültigen Liefertermine mitgeteilt hat (18). Von INTANZA raten wir wegen der im Vergleich zur konventionellen Impfung mehrfach häufiger auftretenden Lokalreaktionen und des fehlenden Nachweises einer besseren Schutzwirkung ab (a-t 2009; 40: 75). Keiner der beiden Impfstoffe ist für Kinder unter 5 Jahren zugelassen.
   **Bei Influenzaimpfstoffen muss die Stammzusammensetzung jedes Jahr an die aktuelle epidemiologische Situation angepasst werden. Diese Anpassung wird in einem Verfahren zur Änderung der Zulassung geprüft.

© Redaktion arznei-telegramm, blitz-a-t 26. September 2012

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