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                            a-t 1991; Nr. 6: 50nächster Artikel
Im Blickpunkt

FSME: WAS IST GEFÄHRLICHER –
EIN ZECKENBISS ODER DIE IMPFUNG?

Mit Beginn der Reisezeit wird häufiger nach der Gefährdung durch Zeckenbiß gefragt, wobei meist an die Frühsommer- Meningoenzephalitis (FSME) gedacht wird. FSME-"Endemiegebiete" liegen überwiegend im südlichen Baden-Württemberg und Bayern. Im Gebiet der früheren DDR gelten virale Zeckenenzephalitiden als Rarität. Einige Naturherde mit virusdurchseuchten Zecken sind erloschen (vgl. a-t 7 [1990], 67).

Selbst in aktiven Naturherden ist nur jede 900. Zecke mit dem FSME-Virus infiziert.1 60% bis 70% der Infektionen verlaufen ohne klinische Symptome, und 10% gehen mit Beteiligung des Nervensystems einher. Das Risiko einer bleibenden Schädigung durch Erkrankung nach Zeckenbiß soll in Endemiegebieten bei 1 : 78.000 liegen.1

Mehrfach warnten wir vor neurologischen Komplikationen durch die FSME-Impfung FSME-IMMUN (vgl. a-t 8 [1989], 77). In einem Jahr wurden nach Herstellerangaben 500.000 Impfungen vorgenommen.2 Für das NETZWERK DER GEGENSEITIGEN INFORMATION erhielten wir in-nerhalb eines Jahres bis August 1989 über 20 Fallmeldungen in Verbindung mit FSME-IMMUN. Inzwischen ist ihre Zahl auf 44 Berichte unterschiedlichen Schweregrades angewachsen.

11 Geimpfte erlitten Krampfanfälle. 14 Betroffene klagten über Kopf- und Nackenschmerzen, die bei 4 Personen Vorboten einer Meningoenzephalitis bzw. Enzephalitis waren (NETZWERK-Fälle 3301, 3313, 3416 und 4122). Sechsmal wurde über Doppeltsehen mit Augenmuskelparesen berichtet (Nr. 2891, 3280, 3300, 4018, 4019 und 4031). Weitere neurologische Störungen sind generalisierte radikuläre Schmerzen am ersten Tag nach Impfung (Fall 3046), leichte Beugeparese des zweiten und dritten Fingers links nach Impfung in den linken M. deltoideus (Fall 4021) und ein unklares neurologisches Krankheitsbild mit Teilparesen und Parästhesien (Fall 4269). Eine 23jährige Frau entwickelte zwei Wochen nach Impfung starke Depressionen, die über mindestens ein halbes Jahr fast unbeeinflußbar andauerten (Fall 4407). Das depressive Krankheitsbild eines 35jährigen Mannes endete acht Wochen nach Beginn mit Selbstmord (Fall 3525).

Anhand der Meldungen ergibt sich – ohne Berücksichtigung einer Dunkelziffer – ein Risiko der Impfschädigung von etwa 1 : 32.000. Der Hinweis auf "sehr seltene Nervenentzündungen" in der Roten Liste 1991 zu FSME-IMMUN wird u.E. der Häufigkeit und Schwere der beschriebenen neurologischen Impffolgen nicht gerecht.

Die medizinische Bedeutung der nach Zeckenbiß etwa 500 bis 1.000mal häufiger als FSME vorkommenden Borreliose wird meist verkannt. Borrelia- Bakterien werden im gesamten Bundesgebiet von Zecken übertragen. 15% der Zecken sollen mit Borrelien durchseucht sein. Etwa einer von 50 Stichen eines infizierten Tieres führt zur Infektion. Diese läßt sich mit Antibiotika wie Penizillinen oder Doxycyclin (VIBRAMYCIN u.a.) behandeln (vgl. a-t 6 [1989], 56). Die FSME-Impfung beugt der Borreliose nicht vor.

Die beste Prophylaxe bakterieller und viraler Zekkenbißkomplikationen besteht im Schutz vor den schmerzlosen Bissen: Kleidung mit langen Ärmeln und Hosenbeinen, feste Schuhe, ggf. Anwendung von Repellents.

FAZIT: Das bereits vor etwa zwei Jahren auffällige Risiko neurologischer Störwirkungen durch die FSME-Impfung (FSME-IMMUN) wird durch weitere NETZWERK-Meldungen bestätigt. Einem Risiko bleibender Schäden von etwa 1 : 78.000 durch Erkrankung nach Zeckenbiß in "Endemiegebieten" steht nach unseren Daten – ohne Berücksichtigung der erheblichen Dunkelziffer – ein Risiko von Impffolgen unterschiedlichen Schweregrades von mindestens 1 : 32.000 gegenüber.

Die Impfung eignet sich für die gezielte Prophylaxe bei Risikogruppen (Forstpersonal u.a.) mit intensivem Aufenthalt in "Endemiegebieten". Bei geringer oder fehlender Exposition bedeutet jede Impfung ein höheres Risiko als fehlender Impfschutz. Bedeckende Kleidung trägt dazu bei, Zeckenbisse und damit mögliche virale und bakterielle Infektionen zu verhindern.

1

ROGGENDORF, M. et al.: Dt. Ärztebl. 86 (1989), C-1241

2

MOEBIUS, U. M. et al.: Dt. Ärztebl. 87 (1990), A-1991


© 1991 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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