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Im Blickpunkt

FLUNITRAZEPAM (ROHYPNOL) –
"EIN UNTERSCHIED WIE TAG UND NACHT"*?

*  Werbeslogan von Roche für ROHYPNOL

Als Heroinersatz und bevorzugte Mißbrauchs-"Droge" Polytoxikomaner wird das Benzodiazepin Flunitrazepam (ROHYPNOL) exzessiv konsumiert. ROHYPNOL-Rezepte werden auf Drogenumschlagplätzen gehandelt.** Wer als Arzt Gefälligkeitsverordnungen für ROHYPNOL ausstellt, schädigt den Ruf der Ärzteschaft. Der Begriff "Dealer in Weiß" bedarf keiner Erläuterung.

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Fast 4% der Verschreibungen enthalten zusätzlich TRAMAL, REMEDACEN oder CODEIN COMPRETTEN. In 0,7% der Fälle wird ROHYPNOL wegen eines Drogenentzugssyndroms oder Drogenentzug verordnet (VIP, 2. Quartal 1992)

Zwischen der gut akzentuierten, artikulierten Sprache eines Vorstandsmitglieds des Pharmaunternehmens Hoffmann-La Roche in Grenzach und der verwaschenen Sprache eines "ROHYPNOL-Zombies" liegen Welten: Während der Erstgenannte den Verkauf von jährlich über 60 Millionen Tagesdosen mit Steigerungsraten von rund 6% im Wert von über 35 Millionen DM als Marketingerfolg registriert, muß sich der ROHYPNOL-Abhängige mittels Beschaffungskriminalität seine Tabletten aus ärztlichen oder illegalen Quellen besorgen.

Neurologisch-psychiatrische Fachkollegen schildern das mit bewegenden Worten (vgl. a-t 7 [1992], 71). Soll man untätig hinnehmen, daß es in den Szene-Städten fast täglich einen Drogentoten gibt? Viele werden unter den Büschen von Innenstadtanlagen gefunden (Todesursache meist Vergiftungen und Kreislaufstillstand oder Ersticken durch Erbrochenes) nach Injektionen von Mischungen aus ROHYPNOL und Heroin. Versteckte Hinweise finden sich im Lokalteil von Tageszeitungen "Ein 17jähriger Heizungsbauerlehrling aus Perlach ist das 51. Drogenopfer in München seit Jahresbeginn...".1***

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"Die Eltern fanden ihn am Samstagmorgen röchelnd im Bett. Der herbeigerufene Notarzt konnte nach erfolgloser Reanimation nur noch den Tod feststellen... Der 17jährige soll seit etwa 4 Monaten Haschisch geraucht und das starke Beruhigungsmittel ROHYPNOL konsumiert haben."

ROHYPNOL wird von Heroin-Abhängigen zur Überbrückung, aber auch zusätzlich zum Heroin eingenommen. Einnahmemengen zwischen 5 und 10 Tabletten täglich sind üblich. In Extremfällen wird weit darüber konsumiert. Auch bei Kokain wird ROHYPNOL zugesetzt, um als "Stereodruck" Unruhe und Antrieb zu beeinflussen.2

Die Krankenkassen kommen oft nicht nur für die Verordnung, sondern auch für den Schaden auf, wenn der ROHYPNOL-Abhängige stationär entgiftet werden muß. Unter diesen exzessiven Intoxikationszuständen treten verschiedenste akute psychiatrische Zustandsbilder und Krampfanfälle auf, die nicht selten Notfallbehandlungen in Allgemeinkrankenhäusern und Einweisungen in Psychiatrische Fachkrankenhäuser nach dem Psychisch- Kranken-Hilfegesetz erforderlich machen (PsychKG).3

Auch andere Menschen können Opfer der ROHYPNOL-Abhängigkeit werden. Immer wieder fragen uns Strafverteidiger, wie Aggressionshandlungen wie Raubtaten und Totschlag unter ROHYPNOL-Einfluß zu beurteilen sind. Aus einer Entzugsklinik in Berlin (Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik) werden strafrechtliche Handlungen unter ROHYPNOL-Intoxikation mit aggressiven Fehlhandlungen und konsekutiver Amnesie berichtet.

Vom Drogenumschlagplatz in Dortmund wird gemeldet,4 daß von 50 Drogentoten 30 auch ROHYPNOL genommen hatten, und der Schwarzmarktkurs für Tabletten bei etwa 2,50 DM pro Stück liegt. "Sonntags, wenn die Apotheken geschlossen haben", sollen die Preise bis auf 10 DM klettern. In einer Wuppertaler Apotheke wurden von April bis Juli 1992 2.300 Insulinspritzen an die "Rohys" verkauft.5

Aber auch andere Benzodiazepine werden in gefährlichen Mengen verordnet: "Mir ist ein Fall bekanntgeworden, in dem ein Arzt einem Drogenabhängigen in 30 Tagen insgesamt 250 Tabletten DIAZEPAM 10 verordnet hat, einem anderen im Zeitraum von 218 Tagen 20 Packungen VALORON N, darüber hinaus 220 Tabletten FRISIUM und 200 Tabletten DIAZEPAM 10. Dabei handelt es sich nicht etwa um Karzinompatienten im Finalstadium, sondern um jugendliche BTM-Süchtige," klagt ein Arzt für Rechtsmedizin, der regelmäßig für die Justizbehörden tätig ist, in einem Schreiben an die Redaktion.6 Es ist an der Zeit, die Verordnungspraxis zu überprüfen. So meldet der sozial-psychiatrische Dienst der Stadt Dortmund, auf Rezepten würden Ärzte nicht selten 40 bis 80 Tabletten ROHYPNOL verschreiben. Es wurden aber auch schon Originalrezepte gesehen, "auf denen zwischen 100 und 200 Tabletten verschrieben wurden".7

Völlig unzureichend erscheint es, wenn Hoffmann-La Roche in Rundschreiben zu ROHYPNOL an Ärzte, wie am 28. August 1992, zunächst die therapeutische Breite der Benzodiazepine als sehr groß anpreist, um dann zum bestimmungsgemäßen Gebrauch des Präparates ROHYPNOL überzuleiten und zu bitten, "daß ROHYPNOL unter keinen Umständen Drogenabhängigen oder Patienten mit Abhängigkeitsanamnese verschrieben werden darf".8 Solche Werbe/Warnschreiben dienen lediglich der juristischen Absicherung des pharmazeutischen Unternehmers, nicht aber der Arzneimittelsicherheit und am allerwenigsten niedergelassenen Ärzten, die dem Druck der Abhängigen ausgesetzt sind.

Roche kennt die Mißbrauchsproblematik der Benzodiazepine: "Wir hatten vor ca. 15 Jahren gelegentlich aus Polizeiberichten und der Drogenberatungsstelle signalisiert bekommen, daß bei Drogen-Usern z.B. VALIUM Roche gefunden wurde. Dies hat zunächst zu der Vermutung Anlaß gegeben, diese Drogenkonsumenten mißbrauchen also auch VALIUM Roche. Das Faktum war aber oft folgendes: "Der Drogenabhängige hatte VALIUM Roche als Notfallpräparat in Form der Ampulle bei sich, um für den Fall eines Horrortrips gewappnet zu sein. Er wußte nämlich um diese Möglichkeit und führte deshalb zur Prophylaxe VALIUM Roche mit sich".9

Das Grundproblem wird von Roche verharmlost: "Die Tatsache, daß primär zu einer Abhängigkeit disponierte Personen und Polytoxikomane auch Benzodiazepine in den Mißbrauch miteinbeziehen, sollte nicht Anlaß sein, eine für viele Patienten notwendige und sehr hilfreiche therapeutische Alternative in die Nähe von Suchtmitteln zu rücken...".

FAZIT: ROHYPNOL, verordnet oder illegal erworben, ist derzeit Arzneimittel Nummer 1 des Mißbrauchs bei Drogenabhängigen, meist gebraucht in Kombination mit Heroin oder auch Kokain. Trotzdem ergreifen weder Gesundheitsbehörden noch pharmazeutische Unternehmer Abwehrmaßnahmen. Abstumpfung, Seh- und Gedächtnisstörungen, torkelnder Gang, Einnässen und Einkoten, verwaschene Sprache, Atemnot bis hin zu Kreislaufzusammenbruch und Atemstillstand mit Todesfolge sind der Preis für das Individuum. Darüber hinaus gefährden paradoxe Erregungszustände und Bewußtseinsstörungen der Betroffenen auch Dritte durch Delikte wie Wohnungsverwüstung, Brandstiftung, Apothekeneinbrüche und Raubtaten bis hin zum Totschlag. Die Verschreibungspflicht für diese Substanz hat sich als ungenügend erwiesen. Ein Verkaufsverbot für orale Darreichungsformen könnte das Dilemma beenden.


© 1992 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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