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GYNÄKOMASTIE DURCH ARZNEIMITTEL

Gynäkomastie, die oft asymmetrische, teils schmerzhafte Vergrößerung der Brustdrüse beim Mann, kann für die Betroffenen ausgesprochen belastend sein. Dem gutartigen Wachstum soll eine Verschiebung der Balance östrogener und androgener Wirkungen an der Brustdrüse zuungunsten der Androgene zugrunde liegen.1-3 Östrogene stimulieren das Brustgewebe, Androgene hemmen diesen Effekt.4 Der Tastbefund - eine feste oder elastische verschiebliche Gewebs-"Scheibe" konzentrisch unterhalb der Brustwarze - unterscheidet die Gynäkomastie von der Fettgewebszunahme im Brustbereich ("Pseudogynäkomastie").4 Als wichtigste Differentialdiagnose ist ein bösartiger Tumor - in der Regel einseitig, exzentrisch und fixiert - auszuschließen, insbesondere wenn die Neubildung keine Schmerzen verursacht.4,5 Männer mit Gynäkomastie haben nach einer epidemiologischen Studie ein erhöhtes Brustkrebsrisiko.6

Physiologisch kommt Wachstum der männlichen Brust bei Neugeborenen unter Einfluss von Plazentahormonen, in der Pubertät sowie im Alter bei sinkenden Testosteronspiegeln vor.1,2 Bei jedem vierten mit Gynäkomastie findet sich keine Ursache ("idiopathisch"). Bis zu 20% leiden an Erkrankungen oder Umständen, die mit endokrinen Störungen einhergehen, wie Hypogonadismus, hormonproduzierende Tumoren, Leberzirrhose oder Unterernährung. Nach einseitiger Ernährung mit Fleisch von hormongemästeten Tieren hat man bei Kindern gehäuft Gynäkomastie beobachtet.

Arzneimittel gewinnen als Auslöser an Bedeutung (Tabelle 1).1 Die schwedische Arzneimittelbehörde schätzt sie heute als die häufigste Ursache der Gynäkomastie ein.7 Der Schädigungsweg ist nicht immer bekannt. Ob diese Arzneimittel auch das Brustkrebsrisiko steigern, ist nicht gesichert.6

Mit knapp 1.000 Berichten liegt der H2-Antagonist Cimetidin (TAGAMET u.a.; vgl. a-t 4 [1988], 40) an der Spitze der an das WHO-Zentrum in Uppsala innerhalb von 27 Jahren (1968 bis 1994) gemeldeten Verdachtsberichte zur arzneibedingten Gynäkomastie (Tabelle 2). Cimetidin soll Androgene von ihren Rezeptoren an der Brustdrüse verdrängen und so die östrogenen Wirkungen verstärken. Darüber hinaus stört das Ulkusmittel den Abbau von Estradiol.7

An dritter und siebter Stelle folgen mit gut 300 bzw. 70 Berichten der H2-Blocker Ranitidin (SOSTRIL u.a.) und der Protonenpumpenhemmer Omeprazol (ANTRA, GASTROLOC).7 Beide Ulkusmittel sollen im Unterschied zu Cimetidin die Zytochrom-P-450-abhängige Estradiol- Verstoffwechselung nicht beeinträchtigen. In einer britischen Fallkontrollstudie versiebenfacht Cimetidin das Gynäkomastierisiko gegenüber Nichtanwendern, während Ranitidin die Wahrscheinlichkeit verdoppelt.8 Omeprazol wird wie die H2-Antagonisten auch mit sexuellen Funktionsstörungen in Verbindung gebracht (a-t 3 [1996], 31).9

Langzeiteinnahme des Aldosteron-Antagonisten Spironolakton (ALDACTONE u.a.) lässt bei 30% bis 60% der Männer die Brustdrüsen wachsen. Wie Cimetidin verdrängt Spironolakton Dihydrotestosteron, die Wirkform des Testosteron, von seinem Rezeptor.2 Außerdem soll der steroidähnliche Hormonantagonist die Testosteronsynthese vermindern4 und den Abbau des Androgens sowie die periphere Umwandlung in Estradiol fördern.2

Das 1992 zuerst in Italien10 eingeführte Finasterid (PROSCAR) rangiert im WHO-Verzeichnis schon zwei Jahre später mit knapp 250 Meldungen zu Gynäkomastie auf Platz vier.7 In Verbindung mit dem bei gutartiger Prostatahyperplasie angewendeten 5-Alphareduktasehemmer dominieren sexuelle Funktionsstörungen mit Libidoverlust und Impotenz (a-t 12 [1994], 114). Durch Blockade der Verstoffwechselung zu Dihydrotestosteron könnte mehr Testosteron im Fettgewebe zu Estradiol umgewandelt werden.11 Finasterid wird auch mit Brustkrebs bei zwei Männern in Verbindung gebracht (a-t 10 [1996], 93).12

Die östrogenähnliche Steroidstruktur von Digitalis mag eine Rolle spielen, wenn sich unter Herzglykosiden die männliche Brust vergrößert.1,7

Erklärungen für durch Kalziumantagonisten verursachtes Brustwachstum (a-t 3 [1988], 31) fehlen. Direkte hormonartige Wirkungen könnten eine Rolle spielen (a-t 12 [1997], 128). In Verbindung mit Verapamil (ISOPTIN u.a.) wird Prolaktinanstieg beschrieben.13 Ob Prolaktin hier wie auch bei der Neuroleptika-induzierten Gynäkomastie indirekt über Einflüsse auf Gonaden- und Nebennierenfunktion die Brust vergrößert, bleibt zu klären.7,13 Kalziumantagonisten stehen zudem im Verdacht, das Brustkrebsrisiko bei Frauen zu steigern (a-t 12 [1997], 128).14

Hormone mit östrogenartiger Wirkung wie Polyestradiolphosphat (ESTRADURIN) zur Behandlung des metastasierenden Prostatakarzinoms können erwartungsgemäß eine schwere Gynäkomastie auslösen.1,2 Weibliche Geschlechtshormone werden auch aus Haarwässern in systemisch ausreichender Menge aufgenommen.4 Mit Brustdrüsenvergrößerung ist zudem unter Antiandrogenen wie Cyproteronazetat (ANDROCUR u.a.), Flutamid (FUGEREL u.a.; a-t 7 [1993], 68) und Bicalutamid (CASODEX), LH- RH-Agonisten wie Goserelin (ZOLADEX) und humanem Choriongonadotropin (PRIMOGONYL u.a.) zu rechnen. Durch periphere Verstoffwechselung in Östrogene begünstigen auch Androgene und anabole Steroide die Entwicklung einer weiblichen Brust.1, 2

Unter den im NETZWERK verdächtigten Arzneimitteln dominiert der Kalziumantagonist Nifedipin (ADALAT u.a.) mit sechs Berichten. Zwei entfallen auf die externe Anwendung des Antimykotikums Ketoconazol (TERZOLIN Lösung; 5922 und 8605), je einer auf die Kalziumantagonisten Nicardipin (ANTAGONIL; 4703) und Verapamil (VERAPAMIL AL; 7960) sowie auf die gleichzeitige Therapie mit Nitrendipin (BAYOTENSIN), Enalapril (PRES), Digitoxin (DIGIMERCK MINOR) u.a. (4137). Außerdem wird Wachstum der Brustdrüse je einmal mit den H2-Antagonisten Ranitidin (SOSTRIL; 1058) und Famotidin (PEPDUL; 2217), den Antiepileptika Phenytoin (ZENTROPIL; 2172) und Valproinsäure (ORFIRIL; 3986), den Neuroleptika Sulpirid (DOGMATIL FORTE 2994) und Clozapin (LEPONEX 8886) sowie dem Antimykotikum Itraconazol (SEMPERA; 6014) in Verbindung gebracht.

BEHANDLUNG: Die arzneimittelbedingte Gynäkomastie bildet sich im Allgemeinen nach Absetzen des Auslösers zurück.1,2 Die vollständige Heilung kann aber einige Monate benötigen.15 Sorgfältige Medikamentenanamnese erspart den Betroffenen unter Umständen unnötige Untersuchungen oder sogar Eingriffe. Wegen der hohen Spontanheilungsrate lässt sich der Nutzen einer medikamentösen Intervention nur durch große plazebokontrollierte Untersuchungen sichern.4 Überzeugende Studien finden wir nicht. Für das gelegentlich empfohlene Antiöstrogen Tamoxifen (NOLVADEX u.a.) ist ein Nutzen nur in zwei kleinen randomisierten Untersuchungen mit insgesamt 16 Teilnehmern beschrieben.3,4 Tamoxifen wird zudem selbst in Verbindung mit Gynäkomastiebildung genannt.16 Bei ausgeprägtem Befund und andauernden Beschwerden kommt die operative Entfernung von Brustdrüsengewebe in Betracht.4

FAZIT: Zahlreiche Arzneimittel stimulieren das Wachstum der männlichen Brustdrüse. Ein besonderes Risiko bergen neben Hormonpräparaten der Aldosteron-Antagonist Spironolakton (ALDACTONE u.a.), Ulkusmittel wie Cimetidin (TAGAMET u.a.) und Ranitidin (ZANTIC u.a.) sowie das Prostatamittel Finasterid (PROSCAR). Nach Absetzen des auslösenden Mittels bildet sich die Gynäkomastie in der Regel zurück. Eine gesicherte medikamentöse Behandlung gibt es nicht.


© 1998 arznei-telegramm

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