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                            a-t 2003; 34: 1-2nächster Artikel
Im Blickpunkt

ALLHAT-STUDIE: DIURETIKUM BESSER ALS NEUE ANTIHYPERTENSIVA

* Vorversion am 20.Dez. 2002 als blitz-a-t veröffentlicht

Seit über 20 Jahren beschäftigt Ärzte, Wissenschaftler und Gesundheitspolitiker die Frage, welche Hochdruckmittel als "erste Wahl" zu empfehlen sind. Bislang wurde in neun randomisierten kontrollierten Studien einschließlich des vorzeitig beendeten ALLHAT**-Studienarms mit Doxazosin (CARDULAR u.a.)1 die Wirksamkeit konventioneller Antihypertensiva (Diuretika und Betablocker) mit der neuer blutdrucksenkender Wirkstoffe (ACE- Hemmer, Kalziumantagonisten und Alphablocker) verglichen. Die Studien waren für eindeutige Aussagen meist nicht groß genug. Eine Metaanalyse dieser Untersuchungen mit mehr als 62.000 Patienten deutet aber auf eine geringere Rate kardiovaskulärer Komplikationen unter der konventionellen Therapie hin.2 Angesichts unzureichender verlässlicher Daten und vor dem Hintergrund großer gesundheitspolitischer und marktwirtschaftlicher Bedeutung wurde eine scharfe kontroverse Debatte um das beste Antihypertensivum geführt. Nun dürfte sie durch die Ergebnisse der nach Plan abgeschlossenen ALLHAT-Studienarme3 im Wesentlichen beendet sein.

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ALLHAT = The Antihypertensive and Lipid-Lowering Treatment to Prevent Heart Attack Trial

Mit ursprünglich 42.418 Teilnehmern ist ALLHAT die größte randomisierte Studie zur Hochdrucktherapie. Unter doppelblinden Bedingungen wird der klinische Nutzen neuerer Antihypertensiva - des Kalziumantagonisten Amlodipin (NORVASC; 2,5 mg - 10 mg/Tag), des ACE-Hemmers Lisinopril (ACERBON u.a.; 10 mg - 40 mg/Tag) und des Alphablockers Doxazosin (2 mg - 8 mg/Tag) - mit dem des Thiazid-analogen Diuretikums Chlortalidon (HYGROTON; 12,5 mg - 25 mg/Tag) verglichen.

In allen Gruppen kann bei unzureichender Wirkung zusätzlich der Betablocker Atenolol (TENORMIN u.a.), das zentral wirkende Antisympathotonikum Clonidin (CATAPRESAN u.a.), das Rauwolfiaalkaloid Reserpin (hierzulande nur noch in Fixkombinationen, z.B. in BRISERIN N) und der Vasodilatator Dihydralazin (NEPRESOL u.a.) eingenommen werden. Die Patienten sind mindestens 55 Jahre alt und haben neben der arteriellen Hypertonie mindestens einen weiteren Risikofaktor für koronare Komplikationen, darunter Herzinfarkt oder Schlaganfall in der Vorgeschichte, linksventrikuläre Hypertrophie, Typ-2-Diabetes mellitus oder Rauchen. Knapp 50% sind Frauen, 35% Afroamerikaner.3

Der Studienarm mit Doxazosin musste bereits 2000 wegen verdoppelten Herzinsuffizienzrisikos und vermehrter Schlaganfälle im Vergleich mit Chlortalidon vorzeitig gestoppt werden (a-t 2000; 31: 39).1 Die jetzt nach durchschnittlich 5 Jahren abgeschlossenen Studienarme belegen: Chlortalidon, das preisgünstige und älteste der geprüften Antihypertensiva, schneidet nicht nur besser ab als der Alphablocker, sondern ist auch dem Kalziumantagonisten und dem ACE-Hemmer überlegen.3

Chlortalidon senkt den systolischen Blutdruck besser als Lisinopril und Amlodipin. Der diastolische Blutdruck sinkt unter Amlodipin stärker als unter Chlortalidon.3

Der primäre Endpunkt, eine Kombination aus nicht tödlichem Herzinfarkt und Tod durch koronare Herzkrankheit, unterscheidet sich zwischen den Gruppen nicht (Chlortalidon: 11,5%, Amlodipin: 11,3%, Lisinopril: 11,4% pro 6 Jahre). Auch in Hinblick auf den sekundären Endpunkt Gesamtsterblichkeit besteht kein Unterschied (C: 17,3%, A: 16,8%, L: 17,2%).

In weiteren sekundären Endpunkten ergeben sich jedoch signifikante Vorteile für das Diuretikum. Die im Vergleich mit Chlortalidon höhere Schlaganfallrate unter Lisinopril (6,3% vs. 5,6%, Number needed to harm [NNH]6 Jahre = 143) lässt sich mit Vorbefunden vereinbaren4,5 (a-t 1999; Nr. 3: 30-1 und 2001; 32: 98-9). Kardiovaskuläre Komplikationen insgesamt sind unter Lisinopril mit 33,3% im Vergleich zu 30,9% unter Chlortalidon ebenfalls häufiger (NNH6 Jahre = 42), unerwarteterweise auch durch Zunahme der Herzinsuffizienzrate (8,7% vs. 7,7%, NNH6 Jahre = 100). Durch statistische Korrektur unter Berücksichtigung der Blutdruckwerte ändern sich die Ergebnisse nicht wesentlich. Zwischen Amlodipin und Chlortalidon ergibt sich hinsichtlich Schlaganfall sowie koronarer und kardiovaskulärer Komplikationen insgesamt kein Unterschied. Eine um mehr als ein Drittel erhöhte Herzinsuffizienzrate unter dem Kalziumantagonisten (von 7,7% auf 10,2%, NNH6 Jahre = 40) bestätigt aber frühere Studien6,7 (a-t 2001; 32: 2 und 97-8).

Die Vorteile des Diuretikums lassen sich weitgehend konsistent auch in den Subgruppen einschließlich der Frauen, der Diabetespatienten und der über 65 -Jährigen erkennen. Auffällig ist das schlechtere Abschneiden von Lisinopril in der Gruppe der Afroamerikaner und Nichtdiabetiker hinsichtlich Schlaganfall und kardiovaskulärer Ereignisse insgesamt.3

Unter Chlortalidon, das nicht mit einem Kaliumsparer wie Amilorid (z.B. in MODURETIK) kombiniert wurde, kommt es häufiger zu Hypokaliämie sowie zum Anstieg von Nüchternblutzucker und Cholesterin. Entgegen anders lautenden Befürchtungen belegt die ALLHAT-Studie, dass diese metabolischen Veränderungen die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität von Hochdruckpatienten nicht negativ beeinflussen.3 Angioödeme sind unter Lisinopril mit 0,4% signifikant häufiger als unter Chlortalidon (0,1%). Ein Patient der Lisinopril-Gruppe stirbt am Angioödem.3

Die kontroverse Diskussion um die Erstwahlmittel in der Hochdrucktherapie wurde in den vergangenden Jahren in nationalen und internationalen Leitlinien zunehmend zu Gunsten der neuen Antihypertensiva entschieden. Einzig die Alphablocker sind nach Abbruch des ALLHAT-Studienarms mit Doxazosin aus der Reihe der Erstwahlmittel gestrichen worden. Die deutsche Hochdruckliga stellt inzwischen sogar die unzureichend geprüften AT-II-Antagonisten gleichrangig auf die erste Stufe (a-t 2002; 33: 109-10).8

In Deutschland sind die ACE-Hemmer die mit Abstand meist verordneten Antihypertensiva. ACE-Hemmer und Kalziumantagonisten werden insgesamt etwa 20% häufiger verschrieben als Diuretika und Betablocker zusammen. Den prozentual größten Zuwachs gab es 2001 bei den Angiotensin-II- Antagonisten.9 Vor dem Hintergrund der ALLHAT-Ergebnisse bedeutet diese Verordnungspraxis nicht nur eine immense Geldverschwendung (a-t 2001; 32: 77-9), sondern vor allem auch ein deutliches Qualitätsdefizit mit erhöhtem Komplikationsrisiko für die Patienten, das sich durch konsequente Verwendung von Diuretika als Erstwahlmittel vermeiden ließe. In den USA werden die verschwendeten Gelder auf jährlich 3 Milliarden Dollar geschätzt,3 die vermeidbaren Komplikationen auf 60.000 pro Jahr.10

 Das Diuretikum Chlortalidon (HYGROTON) schützt nach der ALLHAT- Studie besser vor kardio- und zerebrovaskulären Folgeerkrankungen des Bluthochdrucks als der Alphablocker Doxazosin (CARDULAR u.a.), der Kalziumantagonist Amlodipin (NORVASC) oder der ACE-Hemmer Lisinopril (ACERBON u.a.).

 Metabolische Veränderungen wie Anstieg von Blutzucker und Cholesterin unter Chlortalidon haben keinen negativen Einfluss auf die Morbidität und Mortalität der Hochdruckpatienten.

 Auf Grund der bisherigen umfangreichen positiven Dokumentation und der jetzt vorgelegten Daten muss niedrig dosiertes Chlortalidon als wirksamster, sicherster und verträglichster blutdrucksenkender Wirkstoff gelten. Chlortalidon und Thiaziddiuretika, deren Nutzen bei Bluthochdruck insgesamt am besten belegt ist, sind daher als Mittel der ersten Wahl allen anderen Antihypertensiva vorzuziehen.

 Die ALLHAT-Ergebnisse belegen, dass Blutdrucksenkung nicht gleich Blutdrucksenkung ist, sondern der Art des verwendeten Wirkstoffes eine prognostische Bedeutung zukommt.11

 Es gibt hierzulande kein niedrig dosiertes Monopräparat mit 12,5 mg Chlortalidon. In einem Land mit 50.000 Medikamenten ist dies ein Skandal.

© 2003 arznei-telegramm

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