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Übersicht

HERPES ZOSTER UND POSTHERPETISCHE NEURALGIE (II)

Mit einem Überblick über die Therapie des Zoster ophthalmicus, des Zosters bei Immunsuppression sowie der postherpetischen Neuralgie schließen wir die Übersicht zum Herpes zoster ab (Akutstadium des unkomplizierten Herpes zoster siehe a-t 2002; 33: 125-7).

ZOSTER OPHTHALMICUS: Wir finden zwei plazebokontrollierte Studien zur systemischen antiviralen Therapie bei Zoster ophthalmicus.1,2 An einer Studie nehmen 46 Patienten teil, deren Hautausschlag nicht länger als 72 Stunden besteht und die bei Studienbeginn keine intraokulären Komplikationen aufweisen. Fünfmal täglich 800 mg Aciclovir (ZOVIRAX u.a.) per os über 10 Tage senken das Risiko okulärer Komplikationen nach sechs Monaten von 42% auf 5% (Number needed to treat [NNT] = 3). In diese Auswertung gehen allerdings nur 84% der Patienten ein.1 In einer zweiten Studie mit 71 Patienten wird ein zehntägiges Schema mit täglich fünfmal 600 mg Aciclovir per os geprüft. Die Einschlusskriterien sind weniger eng: Aufgenommen werden Patienten bis zu sieben Tage nach Ausbruch des Ausschlags. Auch hier scheint Aciclovir das Risiko okulärer Spätkomplikationen zu senken. Eine Intention-to-treat-Analyse fehlt aber ebenfalls. Dies wiegt besonders schwer, da in der Aciclovirgruppe nur 64% bis Studienende nachbeobachtet werden.2 In einer dritten nicht nach Intention to treat ausgewerteten Studie schützt orales Aciclovir (täglich 5-mal 800 mg über 7 Tage) innerhalb von 72 Stunden nach Ausschlagbeginn signifikant besser vor okulären Komplikationen als topisches Aciclovir.3 Ein Wirkvorteil der neueren Virustatika Famciclovir (FAMVIR ZOSTER; 3-mal täglich 500 mg) oder Valaciclovir (VALTREX; 3-mal täglich 1.000 mg) gegenüber Aciclovir ist nicht belegt.4,5 Beim Vergleich von Famiciclovir mit Aciclovir ergeben sich bei den sekundären Endpunkten Hornhautentzündung (13% vs. 18%) und Sehschärfeminderung (2,6% vs. 6,3%) Unterschiede zu Gunsten von Famciclovir, die aber statistisch nicht signifikant sind.4 Patienten mit Zeichen einer Augenbeteiligung benötigen eine spezialisierte ophthalmologische Behandlung.6

HERPES ZOSTER BEI IMMUNSUPPRESSION UND ZOSTER-KOMPLIKATIONEN: Bei Herpes zoster auf dem Boden einer immunsupprimierenden Grunderkrankung oder Therapie soll die antivirale Behandlung den potenziell lebensbedrohlichen Komplikationen vorbeugen. Zum Nutzen von intravenös verabreichtem Aciclovir (3-mal 500 mg/m2 Körperoberfläche/Tag, über 7 Tage) liegt eine plazebokontrollierte Studie mit 94 Patienten vor, die an lymphoproliferativen oder anderen Malignomen erkrankt sind oder ein Knochenmark- oder Nierentransplantat erhalten haben. Aciclovir senkt das Risiko einer schweren kutanen oder viszeralen Dissemination von 26% auf 2% (NNT = 5). Bei 8 (19%) von 42 Patienten der Plazebogruppe entwickelt sich ein lebensbedrohlicher Zustand, der als Therapieversagen gilt und eine Indikation für die antivirale Therapie außerhalb des Studienprotokolls darstellt. Drei Patienten versterben. In der Aciclovirgruppe kommt Therapieversagen nicht vor.7 In einer kleinen Studie mit 22 Patienten wirkt Aciclovir i.v. signifikant besser als das ältere, hierzulande als Injektion nicht erhältliche Virustatikum Vidarabin (Frankreich: VIRA-MP).8

Nach einer britischen Leitlinie kann bei leichter Immunsuppression - z.B. bei Langzeitbehandlung mit niedrig dosierten systemischen Kortikosteroiden - und lokalisiertem, nicht schwerem Zoster auch eine orale antivirale Therapie versucht werden.6 Nutzenbelege aus plazebokontrollierten Studien finden wir für die Behandlung per os bei Immunsuppression jedoch nicht.

Die Aciclovir-Varianten einschließlich Brivudin (ZOSTEX) gibt es nur als Per-os-Zubereitung. In einem Vergleich von Famciclovir mit Aciclovir als Tablette bei Herpes zoster auf dem Boden einer Immunsuppression finden sich keine signifikanten Unterschiede.9 Äquivalenz mit dem nachweislich wirksamen parenteralen Aciclovir-Regime ist jedoch weder für Famciclovir noch für Brivudin belegt. Die beiden Studien, die Brivudin mit dem i.v.- Standard vergleichen, sind auf Grund ihres Designs und ihrer unzureichenden Größe für diesen Nachweis ungeeignet.10,11 Brivudin und Valaciclovir sind bei immunsupprimierten Patienten mit Herpes zoster ausdrücklich kontraindiziert.12,13

Bei manifesten Zosterkomplikationen wie Enzephalitis oder Pneumonie liegen ebenfalls die meisten Erfahrungen mit parenteralem Aciclovir vor, das hier Mittel der Wahl ist.

Intravenös verabreichtes Aciclovir kann durch Ausfällung in den Nierentubuli Nierenfunktionsstörungen bis zu akutem Nierenversagen verursachen. Es muss daher bei ausreichender Hydratation langsam infundiert werden. Etwa 1% der Patienten entwickeln zudem Zeichen einer Enzephalopathie wie Lethargie, Krampfanfälle oder Halluzinationen.14

BEHANDLUNG DER POSTHERPETISCHEN NEURALGIE: Neuropathische Schmerzen wie die postherpetische (postzosterische) Neuralgie zeichnen sich durch ihren brennenden oder einschießenden Charakter aus sowie durch Hyperalgesie und Allodynie, bei der ein üblicherweise nicht schmerzhafter Reiz, z.B. Berührung, als schmerzhaft empfunden wird.15 Nach einer systematischen Übersicht von drei plazebokontrollierten Studien mit insgesamt 216 Patienten lassen sich postherpetische neuropathische Schmerzen mit den trizyklischen Antidepressiva Amitriptylin (SAROTEN u.a., durchschnittlich 65 mg bis 75 mg pro Tag) und Desipramin (PERTOFRAN, PETYLYL; durchschnittlich 167 mg pro Tag) innerhalb von drei bis sechs Wochen deutlich lindern. Das tetrazyklische Maprotilin (LUDIOMIL u.a.) wirkt nicht besser als Amitriptylin, wird aber schlechter vertragen.16 Nortriptylin (NORTRILEN u.a.) scheint etwas besser verträglich zu sein,17 ist aber schlechter erprobt. Die Kombination von Amitriptylin mit dem stark wirksamen Neuroleptikum Fluphenazin (DAPOTUM u.a.) bringt nicht mehr Linderung als Amitriptylin allein.18 Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer sind bei dieser Indikation nicht geprüft, ihre Wirksamkeit bei diabetischer Neuropathie ist unsicher (a-t 1996; Nr. 11: 107-8 und 113).19

Im Vordergrund der unerwünschten Wirkungen trizyklischer Antidepressiva stehen anticholinerge Wirkungen wie Mundtrockenheit, Obstipation oder Harnverhaltung sowie zentralnervöse Effekte wie Sedierung. Gefährlich sind Störungen der Herz-Kreislauffunktion wie orthostatische Hypotonie und Herzrhythmusstörungen. In der Desipramin-Studie kommt es unter Verum bei einem Patienten zu einer Synkope, bei einem anderen zum Linksschenkelblock.20 Die unerwünschten Effekte sind jedoch dosisabhängig, und die zur Analgesie benötigte Dosis ist oft niedriger als die antidepressive. Dennoch können die Störwirkungen die Therapie mit Trizyklika bei den oft älteren Patienten einschränken. Bei ausgeprägten Erregungsleitungsstörungen, z.B. AV-Block zweiten Grades, sind trizyklische Antidepressiva kontraindiziert.

Die Wirksamkeit von Opioiden bei postherpetischer Neuralgie wird bislang wahrscheinlich unterschätzt. In einer Cross-over-Studie mit 50 Patienten wirkt retardiertes Oxycodon (OXYGESIC RETARD; bis max. 60 mg/Tag) signifikant besser gegen den Dauerschmerz, den einschießenden Schmerz und die Allodynie als Plazebo.21 In einer neueren dreiarmigen Cross-over-Studie mit 76 Patienten werden Opioide (Morphin [MST MUNDIPHARMA u.a.], bei Unverträglichkeit Methadon) sowohl mit Plazebo als auch mit trizyklischen Antidepressiva über jeweils acht Wochen verglichen. Beide Interventionen lindern Schmerzen besser als Plazebo. Hinsichtlich der Responderrate ergibt sich ein Trend zu Gunsten der Opioide (52% versus 34%, p = 0,06).22 Statt des Standards Amitriptylin wird in dieser Studie allerdings Nortriptylin (bei Unverträglichkeit Desipramin) verwendet. Die Aussagekraft der Studie wird zudem durch die hohe Abbruchquote (42%) bei fehlender Intention-to-treat-Analyse eingeschränkt. Zwischen den schmerzlindernden Effekten der beiden Prinzipien ergibt sich keine Korrelation.22 Dies stimmt mit der klinischen Erfahrung überein, dass Opioide und Antidepressiva unterschiedliche Schmerzqualitäten bei postherpetischer Neuralgie beeinflussen, und dass ein Teil der Patienten eine Kombination aus beiden benötigt.

Opioidanalgetika werden in der Studie schlechter vertragen als Trizyklika. Im Vordergrund der unerwünschten Wirkungen stehen Verstopfung, Übelkeit, Schwindel, Schläfrigkeit und Appetitlosigkeit. Mehr Patienten brechen die Studie während der Opioidphase ab (26% vs. 8%), häufig wegen Störwirkungen, zwei Personen jedoch auch wegen deutlicher Schmerzlinderung.22

Von den bei neuropathischen Schmerzen ebenfalls verwendeten Antiepileptika ist bei postherpetischer Neuralgie nur Gabapentin (NEURONTIN) in zwei plazebokontrollierten Studien mit insgesamt 563 Patienten untersucht worden.23,24 In der US- amerikanischen Studie23 wird Gabapentin bis maximal 3.600 mg/Tag dosiert, in der europäischen24 bis 1.800 bzw. 2.400 mg. Bis zu etwa 25% der Teilnehmer nehmen während der Studien zusätzlich trizyklische Antidepressiva, Analgetika oder beide ein. 43%23 bzw. 32% bis 34%24 der Patienten in den Gabapentingruppen geben ausgeprägte Besserung an im Vergleich zu 12%23 bzw. 14%24 in den Plazebogruppen. Direkte Vergleiche mit trizyklischen Antidepressiva gibt es nicht. Bei indirektem Vergleich scheint Gabapentin aber schwächer wirksam.25

Somnolenz (17% bis 27%), Schwindel (24% bis 33%), periphere Ödeme (5% bis 11%), Ataxie (7%) und Infektionen (8%) sind die häufigsten Störwirkungen unter Gabapentin.23,24

Verschiedene weitere Therapieprinzipien werden versucht. Ihr Nutzen bei postherpetischer Neuralgie ist aber bisher nicht hinreichend geprüft, zweifelhaft oder nicht belegt. Das Benzodiazepin Lorazepam (TAVOR u.a.) wirkt nicht besser als Plazebo. Zu topischem Capsaicin (z.B. ZACIN [Großbritannien]) liegen zwei kleine Positivstudien vor, während eine unveröffentlichte Studie keinen Effekt erkennen lässt.16

 Immunkompetente Patienten mit Zoster ophthalmicus sollen zur Vorbeugung von Komplikationen am Auge möglichst frühzeitig nach Ausbruch des Hautausschlages mit einer sieben- bis zehntägigen Einnahme von fünfmal täglich 800 mg Aciclovir (ZOVIRAX u.a.) beginnen. Patienten mit Zeichen einer Augenbeteiligung benötigen eine spezialisierte ophthalmologische Behandlung.

 Bei Patienten mit Immunsuppression und Herpes zoster senkt intravenös infundiertes Aciclovir das Risiko der potenziell lebensbedrohlichen Zoster-Dissemination. Wegen der Gefahr des Nierenversagens darf Aciclovir nur langsam infundiert werden.

 Zur Behandlung der postherpetischen Neuralgie sind bei unzureichendem Erfolg von Nichtopioidanalgetika trizyklische Antidepressiva, in erster Linie Amitriptylin (SAROTEN u.a.), Mittel der Wahl. Die Therapie beginnt mit einer geringen Dosis (10 mg bis 25 mg Amitriptylin), die nach Ansprechen und Verträglichkeit langsam erhöht wird. Vorsicht ist bei herzkranken Patienten geboten. Bei ausgeprägten Erregungsleitungsstörungen sind Trizyklika kontraindiziert. Auch Opioide haben einen nachgewiesenen Nutzen. Ein Teil der Patienten benötigt eine Kombination von Trizyklika mit Opioiden. Das Antiepileptikum Gabapentin (NEURONTIN) scheint schwächer wirksam zu sein und hat nur Reservestatus.

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