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UNSERIÖSE WERBUNG FÜR WINDPOCKENIMPFSTOFF VARIVAX

"Geben Sie Windpocken keine Chance", wirbt Aventis Pasteur MSD und verweist auf eine "Inzidenz schwerer Verläufe bei hospitalisierten Kindern bis 16 Jahren" von 8,5/100.000.1 Dass es zu der zitierten Arbeit ein Erratum2 gibt, in dem die Häufigkeit auf ein Zehntel (0,85/100.000) korrigiert wird, ist der Firma offenbar entgangen. Auch die "Fakten für Deutschland",1 die offensichtlich dazu dienen sollen, dass die an sich harmlosen Varizellen als bedrohliche Krankheit wahrgenommen werden, beruhen auf unseriösen Daten und fragwürdigen Hochrechnungen. Zuverlässige Zahlen gibt es für Deutschland wegen der fehlenden Meldepflicht für Windpocken nicht (a-t 2004; 35: 80-1). Den in der Werbung angeführten "Fakten" liegt eine mit Hilfe des Verschreibungsindex für Pharmazeutika (VIP) geschätzte Inzidenz von 750.000 Windpocken-Erkrankungen pro Jahr zugrunde. Wie seriös diese Annahme ist, bleibt offen. Hinter der Behauptung "jeden Tag: 118 Komplikationen"1 steht eine retrospektive Analyse von 1.334 Windpocken- Erkrankungen, darunter 90 bei Personen mit Immundefekt.3 Die beobachteten 76 Komplikationen könnten theoretisch ausschließlich in dieser Gruppe aufgetreten sein. Zudem werden mit Otitis media (13 Berichte) sowie Bronchitis (bis 12 Berichte) Erkrankungen eingeschlossen, die üblicherweise nicht zu den Komplikationen von Windpocken gehören. Auch die Angabe "jede Stunde: 14 schwer verlaufende Erkrankungen"1 basiert auf dieser Analyse. Kriterien für die Einstufung des Verlaufs werden nicht genannt. Für die Behauptung "jeden Monat: zwei Todesfälle" werden US-amerikanische Daten herangezogen, da die in der deutschen Todesursachenstatistik gelisteten durchschnittlich sechs Todesfälle pro Jahr als zu niedrig erachtet wurden.4

Andererseits könnte der Nutzen der Impfung systematisch überschätzt sein: Die behauptete Wirksamkeit von 94,3% über zehn Jahre1 basiert auf einer Auswertung, in die nach zehn Jahren nur noch 56% der ursprünglich eingeschlossenen Teilnehmer eingehen, deren Erkrankungsrate mit einer aufgrund von historischen Kontrollen erwarteten Inzidenz verglichen wird.5 Wie vollständig die Nachbeobachtung bei der angegebenen Persistenz der Varizellen-Antikörper ist ("dauerhafte Immunität", 100% sechs Jahre nach der Impfung1), bleibt mangels veröffentlichter Daten offen. Die Darstellung in der als Quelle angegebenen Fachinformation lässt aber Unvollständigkeit vermuten. Zudem erlauben die Daten keinen Rückschluss auf die Dauer der Immunität bei abnehmender Boosterung wegen rückläufiger Wildvirusinfektionen.

© 2004 arznei-telegramm

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