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Therapiekritik

NOCHMALS: B-VITAMINE ZUR REDUKTION KARDIOVASKULÄRER ERKRANKUNGEN?

Nach epidemiologischen Daten besteht ein Zusammenhang zwischen Homozysteinspiegeln und dem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse.1 Genetisch oder durch Vitaminmangel bedingte milde bis moderate Hyperhomozysteinämie soll bei 5% bis 7% der Bevölkerung vorkommen und zu früher Atherosklerose führen.1 Mit der Einnahme von Folsäure, Vitamin B6 und B12 existiert eine einfache und kostengünstige Möglichkeit, den Homozysteinspiegel zu senken. Allerdings bleibt dieses Vorgehen in mehreren großen Interventionsstudien2,3 mit Risikopatienten* ohne nachweisbaren Einfluss auf Herzinfarkt- oder Insultrate. Der in HOPE-2** (a-t 2006; 37: 51-2) isoliert für Schlaganfälle errechnete Nutzen wird von den Autoren selbst als zufallsbedingt gedeutet.4 Eine 2006 veröffentlichte Metaanalyse5, in der Daten aus 12 Studien mit knapp 17.000 Patienten ausgewertet wurden, zeigt keinen Nutzen einer Folsäurebehandlung für kardiovaskuläre Komplikationen insgesamt (relatives Risiko [RR] 0,95; 95% Konfidenzintervall [CI] 0,88-1,01) sowie für jeden einzelnen Endpunkt (Herzinfarkt, Schlaganfall, Gesamtmortalität).

Um so erstaunlicher ist, dass 2007 eine weitere Metaanalyse6 bei gezielter Auswertung der Insultrate zu einem positiven Ergebnis kommt. Demnach sinkt das relative Risiko für einen Schlaganfall durch Folsäurebehandlung um 18% (RR 0,82; 95% CI 0,68-1,0; p = 0,045). Zusätzliche Sensitivitätsanalysen, in denen eine Abhängigkeit des Nutzens von Zeitdauer und Dosis abgeleitet wird, sollen die Validität der Ergebnisse stärken.

Sieben der acht in dieser Metaanalyse ausgewerteten Studien wurden bereits in der älteren systematischen Übersicht analysiert, in der sich für die Insultrate kein signifikantes Ergebnis ergibt (RR 0,86; 95% CI 0,71-1,04).5 Die neue Metaanalyse erweitert die Auswertung um eine chinesische Arbeit aus dem Jahr 1996.7 Diese prüft jedoch nicht den Einfluss von Folsäure auf das kardiovaskuläre Risiko, sondern eine komplexe Substitution mit 12 Vitaminen und 13 Mineralstoffen zur Senkung des Krebsrisikos in einer chinesischen Provinz mit ausgeprägter Mangelernährung. Insulte werden nicht als prädefinierte Ereignisse erfasst. Analysiert werden lediglich Todesfälle, die nach Ansicht der betreuenden Hausärzte auf einen Schlaganfall zurückzuführen sind. Die Studie, die entscheidend zu dem positiven Gesamtergebnis beiträgt, blieb daher zu Recht in der älteren Metaanalyse unberücksichtigt. Hinzu kommt, dass drei der in beiden Metaanalysen einbezogenen Studien mit dialysepflichtigen Patienten durchgeführt wurden und eine Übertragbarkeit des vermeintlich positiven Ergebnisses daher nicht möglich ist.

Unsere Skepsis wird durch eine aktuelle Veröffentlichung8 gestützt. 5.442 Frauen mit manifester Gefäßerkrankung oder drei Risikofaktoren für koronare Herzkrankheit nehmen randomisiert und verblindet durchschnittlich 7,3 Jahre lang täglich 2,5 mg Folsäure, 50 mg Vitamin B6 und 1 mg B12 oder Plazebo ein. Die Behandlung hat keinen Einfluss auf die Gesamtzahl kardiovaskulärer Ereignisse (Kombination aus Herzinfarkt, Insult, koronarer Revaskularisation oder kardiovaskulärem Todesfall; RR 1,03; 95% CI 0,9-1,19). Numerisch nimmt die Zahl der Insulte unter der Behandlung sogar leicht zu (RR 1,14; 95% CI 0,82-1,57).

Die Gesamtheit der vorliegenden Evidenz spricht daher gegen einen klinischen Nutzen von Vitaminen zur Senkung des Homozysteinspiegels. Argumente, dass die Therapieeffekte in klinischen Studien verwischt werden, da in einem Teil der Länder, in denen Patienten rekrutiert wurden, Getreidesorten mit Folsäure supplementiert werden, erscheinen spekulativ. Derzeit gibt es weder für das Screening auf erhöhten Homozysteinspiegel noch für die langjährige Einnahme von Vitaminen zur kardiovaskulären Prävention eine Begründung.

Eine 2007 veröffentlichte Metaanalyse zum Einfluss einer Folsäurebehandlung auf die Rate von Schlaganfällen kommt vor allem aufgrund einer unzulässigen Auswahl der ausgewerteten Studien zu einem positiven Ergebnis, das im Gegensatz zu einer ähnlichen Auswertung steht.

Eine aktuelle Studie mit 5.400 Frauen mit erhöhtem kardialen Risiko zeigt keinen Effekt einer 7,3-jährigen Homozystein-senkenden Vitamintherapie.

Die Gesamtheit der vorliegenden Evidenz lässt keinen Nutzen der Einnahme von Vitaminen zur Senkung des Homozysteinspiegels erkennen. Blutspiegelbestimmungen erübrigen sich, da sich daraus keine therapeutischen Konsequenzen ableiten lassen.

  (R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
  1 WELCH, G.N., LOSCALZO, J.: N. Engl. J. Med. 1998; 338: 1042-50
R 2 BØNAA, K.H. et al.: N. Engl. J. Med. 2006; 354: 1578-88
R 3 TOOLE, J.F. et al.: JAMA 2004; 291: 565-75
R 4 HOPE2 Investigators: N. Engl. J. Med. 2006; 354: 1567-77
M 5 BAZZANO, L.A. et al.: JAMA 2006; 296: 2720-6
M 6 WANG, X. et al.: Lancet 2007; 369: 1876-82
R 7 MARK, S.D. et al.: Am. J. Epidemiol. 1996; 143: 658-64
R 8 ALBERT, C.M. et al.: JAMA 2008; 299: 2027-36

  * Als Risiko wird in diesen Arbeiten die kardiale Gefährdung gewertet; Homozysteinspiegel spielen bei Studieneinschluss keine Rolle.
  ** HOPE-2 = Heart Outcomes Prevention Evaluation

© 2008 arznei-telegramm, publiziert am 6. Juni 2008

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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