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Korrespondenz

WENN STIKO-EMPFEHLUNGEN NICHT BEFOLGT WERDEN: RECHTLICHE ASPEKTE

Was passiert, wenn wir uns aus guten Gründen bei bestimmten Impfungen nicht nach der Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) richten und ein ungeimpftes Kind erkrankt oder stirbt an einer schweren invasiven Pneumokokkenerkrankung oder einer Meningitis C? Könnten wir dann theoretisch auf Schadenersatz verklagt werden, da wir ja eine "öffentlich" empfohlene Impfung nicht durchgeführt haben?

Dr. med. U. HEIDELBERGER (Facharzt für Allgemeinmedizin)
D-76684 Östringen
Interessenkonflikt: keiner

Auf Bitte der Redaktion nimmt die Kanzlei VON SCHIRACH Stellung:

Die vom VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) seit Jahren gefestigte Rechtsprechung zur Aufklärungshaftung geht einerseits von der Patientenautonomie aus, andererseits von der geschuldeten Information des Pädiaters aus dem Behandlungsverhältnis. Klärt der Impfarzt über die STIKO-Empfehlung auf und über die Impfrisiken, dann hat er seine Pflicht getan und ist von jeglicher Haftung befreit.

Wenn er über die STIKO-Empfehlung nicht aufklärt, halten wir eine Haftung für gegeben, wenn das Kind erkrankt. Will ein Arzt der STIKO-Empfehlung nicht folgen, weil er beispielsweise die Impfungen wegen der damit verbundenen Risiken für das Kind ablehnt, ist er von einer Haftung befreit, wenn er die Eltern über die STIKO-Empfehlungen aufgeklärt hat, also mitgeteilt hat, dass die Impfungen an und für sich von offizieller Stelle empfohlen werden, und sich dies schriftlich bestätigen lässt. Wenn die Eltern den Empfehlungen folgen wollen, müsste der Arzt ihnen anheim stellen, zu einem anderen Pädiater zu gehen, der die Impfungen durchführt.

Dringend empfehlen wir darüber hinaus in Bezug auf Eltern, die eine von der STIKO empfohlene Impfung verweigern, ein Aufklärungsdokument unterzeichnen zu lassen. Aus unserer Sicht würde dabei genügen, wenn sich der Impfarzt absichert, indem er sich bestätigen lässt: "Ich bin über die Impfempfehlungen der STIKO aufgeklärt worden, möchte aber nicht, dass mein Kind geimpft wird".

Wir sind zudem der Meinung, dass der Pädiater nicht nur über die STIKO-Empfehlung aufklären muss, weil das zur pädiatrischen Betreuung gehört, er muss darüber hinaus auch aufklären, dass Impfungen Risiken bergen (auch wenn diese sehr selten sind). Schon ein Blick in das Bundesseuchengesetz (BSeuchG), § 51, zeigt, dass der Staat haftet, wenn eine anempfohlene Impfung zu Schädigungen führt (Hauptfall: postvakzinale Enzephalopathie z.B. bei der Pockenschutzimpfung). Wir haben diese Versorgungsansprüche jahrelang im süddeutschen Raum vor den Gerichten vertreten. Da die Amtshaftung in diesen Fällen die Versorgung regelte, hatten wir in aller Regel die zivilrechtliche Haftungsfrage (wenn der Impfarzt über die Impfrisiken nicht aufgeklärt hatte) "außen vor" lassen können und der Impfarzt war "ungeschoren" geblieben. Die zivilrechtliche Haftung bei unterbliebener Risikoaufklärung über Impfschäden wird aber von uns nach wie vor bejaht, und diese Auffassung wird von der STIKO bestätigt (Epid. Bull. 2007; Nr. 25: 209-32).

Bei Durchführung der Impfung würden wir als ausreichend erachten, dass in das Aufklärungsdokument aufgenommen wird: "Ich bin informiert worden, dass Impfungen in seltenen Fällen zu folgenschweren Impfschäden führen können, wenn auch in der Regel die Vorteile des Impfschutzes für unser Kind gegenüber den Risiken, dass das Kind einen Impfschaden erleidet, überwiegen". Unbedingt empfehlen wir, die Aufklärung schriftlich niederzulegen und von den Eltern unterschreiben zu lassen, da entsprechend der Rechtsprechung des BGH die Aufklärung vom Arzt bewiesen werden muss.

Dr. K. v. SCHIRACH Rechtsanwalts GmbH
D-80799 München
Interessenkonflikt: keiner

© 2008 arznei-telegramm, publiziert am 6. Juni 2008

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