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ANTIBIOTISCHE BEHANDLUNG DER UNKOMPLIZIERTEN ZYSTITIS DER FRAU

Eine Zystitis ist unkompliziert, wenn relevante funktionelle oder anatomische Anomalien im Harntrakt sowie relevante Nierenfunktionsstörungen und Begleiterkrankungen fehlen, die eine Harnwegsinfektion oder gravierende Komplikationen begünstigen.1 Die akute unkomplizierte Zystitis der Frau ist eine gutartige Erkrankung, bei der auch „der Verzicht auf eine antibiotische Therapie nicht mit einer Gefährdung einhergeht”.2 Es gilt, eine wirksame und möglichst nebenwirkungsarme Behandlung zu wählen. Leitlinien nennen hierzulande für die antibiotische Therapie als Mittel der Wahl Nitrofurantoin (FURADANTIN RETARD, Generika),1,2 die Leitlinie der DEGAM* auch Trimethoprim (INFECTOTRIMET),2 die S-3-Leitlinie mehrerer Fachgesellschaften auch Fosfomycin (MONURIL).1

* DEGAM = Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

Entscheidet man sich gemeinsam mit der Frau für eine antibiotische Behandlung, so fällt unter den potenziellen Mitteln der Wahl die Entscheidung nicht leicht: Bei siebentägiger Therapie wirken zweimal täglich 200 mg Trimethoprim in einer randomisierten Studie ähnlich gut symptomatisch wie zweimal täglich 960 mg Co-trimoxazol (EUSAPRIM, Generika; 87% bzw. 85% symptomfrei nach 9 bis 15 Tagen).3 Die Trimethoprim-Sulfonamid-Fixkombination ist in Studien bereits bei dreitägiger Einnahme wirksam.1 Für die von der DEGAM* empfohlene dreitägige Therapie mit Trimethoprim2 finden wir lediglich eine methodisch mangelhafte randomisierte Studie zum Vergleich mit fünftägiger Therapie, die jedoch aufgrund des geringen Anteils ausgewerteter Patienten nicht aussagekräftig ist.4 Einmalig 320 mg Trimethoprim befreien von Beschwerden hingegen schlechter als zweimal täglich 160 mg über sieben Tage (71% bzw. 84% symptomfrei nach 2 Wochen).5 Trotz schlechterer Datenlage bevorzugen wir auch für die dreitägige Therapie Trimethoprim gegenüber Co-trimoxazol, da es deutlich weniger Störwirkungen verursacht (vgl. a-t 1998; Nr. 12: 112-4).

Epidemiologische Studien, die auch Frauen mit rezidivierenden oder komplizierten Harnwegsinfekten einschließen, weisen allerdings hierzulande auf Resistenz gegen Trimethoprim und Co-trimoxazol bei ca. 30% der Erreger hin.6,7 Trimethoprim und Co-trimoxazol sind damit möglicherweise geringer wirksam als Nitrofurantoin und Fosfomycin, deren Resistenzraten als nicht einmal halb so hoch angegeben werden.6,7 Wenn Trimethoprim in den letzten drei Monaten eingenommen wurde, sollen Resistenzen häufiger sein.8 Die überwiegende Mehrheit der Frauen kann aber dennoch erfolgreich mit Trimethoprim behandelt werden:2 Trotz Resistenz sind sieben Tage nach Therapiebeginn mit zweimal täglich 200 mg Trimethoprim für drei Tage in einer Beobachtungsstudie 52% der Frauen symptomfrei gegenüber 83% der Frauen mit sensiblen Keimen.9 Geht man von 10% resistenten Erregern aus, wären demnach nach sieben Tagen insgesamt ca. 80% der behandelten Frauen symptomfrei, bei 30% Resistenzen wären es ca. 74%. In der Praxis dürfte der Wirkverlust geringer ausfallen, da ein Teil der behandelten Frauen gar keinen Harnwegsinfekt hat. Innerhalb eines Monats nach Therapiebeginn ist bei resistenten Erregern jedoch häufiger als bei sensiblen mit Rekonsultation (45% versus 15%) und erneuter antibiotischer Behandlung (43% vs. 10%) wegen Harnwegsbeschwerden zu rechnen.9

Zweimal täglich 100 mg retardiertes Nitrofurantoin über fünf bzw. sieben Tage wirken in vier randomisierten Studien ähnlich gut symptomatisch wie eine drei- bis siebentägige Therapie mit zweimal täglich 960 mg Co-trimoxazol. Die Heilungsraten liegen 4 Tage bis 6 Wochen nach Therapiebeginn zwischen 79% und 95%, weichen zwischen den Therapiegruppen in den einzelnen Studien numerisch jedoch maximal 5% voneinander ab.3,10-12 Viermal täglich 100 mg retardiertes Nitrofurantoin über drei Tage wirken in einer kleinen randomisierten Studie mit 78 Patienten besser als Plazebo (70% versus 42% symptomfrei nach 7 Tagen),13 in einer weiteren methodisch mangelhaften Studie jedoch schlechter als zweimal täglich 960 mg Co-trimoxazol über drei Tage.14 Die fünftägige Therapie ist somit zu bevorzugen.

Von der Anwendung von Nitrofurantoin hatten wir bisher allerdings wegen unerwünschter Wirkungen wie Polyneuropathie, Pneumonitis und Hepatitis abgeraten, die insbesondere bei Langzeitanwendung auftreten können15 (vgl. a-t 1998; Nr. 12: 112-4). Wie häufig bei ein- oder auch mehrmaliger fünftägiger Therapie z.B. die unter Langzeitbehandlung häufig auftretenden Störwirkungen an der Lunge15 sind, ist nicht hinreichend untersucht. In der US-amerikanischen Produktinformation des Nitrofurantoin-Präparates MACROBID, das nur zur Kurzzeittherapie der unkomplizierten Zystitis zugelassen ist, wird vor akuten, subakuten und chronischen Lungenschäden gewarnt. Die Häufigkeit wird mit unter 1% der Behandelten angegeben.16

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bewertet das Nutzen-Schaden-Verhältnis von Nitrofurantoin zur Therapie der akuten unkomplizierten Zystitis der Frau im Rahmen eines noch laufenden Stufenplanverfahrens zwar als günstig,17 gemäß Fachinformation darf Nitrofurantoin derzeit jedoch nur angewendet werden, wenn effektivere oder risikoärmere Antibiotika oder Chemotherapeutika nicht einsetzbar sind. Blutbild, Leber- und Nierenwerte sind unter der Therapie zu kontrollieren.15 Nitrofurantoin sollte daher unseres Erachtens erst angewendet werden, wenn Trimethoprim nicht infrage kommt.

Für einmalig 3 g Fosfomycin per os weisen zwei ältere methodisch mangelhafte randomisierte Studien auf eine vergleichbare symptomatische Wirksamkeit hin wie viermal täglich 50 mg (85% vs. 82% nach 6 Wochen) oder zweimal täglich 100 mg Nitrofurantoin über 7 Tage (82% versus 84% nach 5 bis 11 Tagen).18,19 Nach drei großen unveröffentlichten Doppelblindstudien aus den USA,20 die von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA bewertet wurden,21 sind nach einmaliger Einnahme von Fosfomycin jedoch nur 70% der Frauen beschwerdefrei, während nach zehntägiger Einnahme von Co-trimoxazol 94% ohne Symptome sind und nach siebentägiger Therapie mit Nitrofurantoin 77%.22 Lizenzinhaber Zambon war auf Anfrage nicht bereit, weitere Daten zur Verfügung zu stellen, die über die spärlichen, in der US-amerikanischen Produktinformation des dortigen Fosfomycin-Präparates MONUROL enthaltenen Ergebnisse hinausgehen.21

Für Fosfomycin sehen wir zudem die Gefahr der Resistenzentwicklung bei breiter Anwendung. Anders als Nitrofurantoin dient Fosfomycin intravenös auch zur Therapie multiresistenter Keime.23 Spanische Autoren beschreiben bei Harnwegsinfekten durch Extended-Spectrum-Beta-Laktamase-bildende E. coli in neun dortigen Krankenhäusern zwischen 2005 und 2009 eine Zunahme der Fosfomycinresistenzen von 4,4% auf 11,4%. Sie vermuten auch einen Zusammenhang mit den gleichzeitig angestiegenen ambulanten Verordnungen von Fosfomycin.24 Fosfomycin sollte daher erst gebraucht werden, wenn Trimethoprim und Nitrofurantoin nicht infrage kommen.

Gyrasehemmer und die bei Harnwegsinfektion weniger gut untersuchten Cephalosporine haben nach Auffassung der Leitlinienautoren im Vergleich zu den anderen infrage kommenden Mitteln das höchste Risiko für eine individuelle sowie langfristige epidemiologische Resistenzentwicklung und für die Entwicklung einer Kolitis durch Clostridium difficile. Zudem werden sie für die Behandlung lebensbedrohlicher Infektionen benötigt1 (vgl. a-t 1998; Nr. 12: 112-4). Sie sind deshalb nur zweite Wahl. Aminopenizilline werden wegen hoher Resistenzraten nicht empfohlen.1,2 Eine dreitägige Therapie mit Amoxicillin plus Clavulansäure (Co-amoxiclav; AUGMENTAN, Generika) wirkt selbst bei empfindlichen Erregern schlechter als Ciprofloxacin (CIPROBAY, Generika).25 Die Kombination ist zudem wegen des Risikos schwerer Leberschäden umstritten (a-t 2002; 33: 38-9).

Leitlinien empfehlen, auch die regionale Resistenzsituation zu berücksichtigen.1,2 Die S3-Leitlinie nennt eine Resistenzrate von 20%, oberhalb derer sie Trimethoprim und Co-trimoxazol nicht als erste Wahl empfiehlt.1 Da aber vor allem Proben von Frauen mit rezidivierenden Infekten oder mangelndem Therapieerfolg eingeschickt werden dürften, werden die tatsächlichen Resistenzen bei unkomplizierter Zystitis wahrscheinlich überschätzt. Die Brauchbarkeit dieser starren Grenze erscheint uns daher fraglich.

∎  Mit zweimal täglich 200 mg Trimethoprim (INFECTOTRIMET) über drei (bis sieben) Tage können die meisten Frauen mit unkomplizierter Zystitis erfolgreich behandelt werden. Es ist das Mittel der Wahl.

∎  Zweimal täglich 100 mg retardiertes Nitrofurantoin (FURADANTIN RETARD, Generika) über fünf Tage sind aufgrund zunehmender Resistenzen gegen Trimethoprim möglicherweise besser wirksam. Wie häufig schwere Störwirkungen, die insbesondere bei Langzeitanwendung beschrieben sind, auch bei kürzerer Therapiedauer auftreten, ist nicht hinreichend untersucht. Nitrofurantoin sollte deshalb erst angewendet werden, wenn Trimethoprim nicht infrage kommt.

∎  Einmalig 3 g Fosfomycin (MONURIL) per os wirken großen unveröffentlichten Studien aus den USA zufolge schlechter als Co-trimoxazol (EUSAPRIM, Generika). Intravenös dient es zudem auch zur Therapie multiresistenter Keime. Steigende Resistenzen durch breite ambulante Anwendung könnten den Nutzen von Fosfomycin bei diesen Problemkeimen verringern. Fosfomycin sollte erst angewendet werden, wenn Trimethoprim und Nitrofurantoin nicht infrage kommen.

  (R =randomisierte Studie)
1 Deutsche Gesellschaft für Urologie et al.: S-3 Leitlinie Epidemiologie, Diagnostik, Therapie und Management unkomplizierter bakterieller ambulant erworbener Harnwegsinfektionen bei erwachsenen Patienten, Stand 17. Juni 2010; http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/043-044l_S3_Harnwegsinfektionen.pdf
2 Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin: DE-GAM-Leitlinie Nr. 1: Brennen beim Wasserlassen, Stand 2009; http://leitlinien.degam.de/uploads/media/Brennen-beim-Wasserlassen-Langfassung.pdf
R  3 SPENCER, R.C. et al.: J. Antimicrob. Chemother. 1994; 33 Suppl A: 121-9
R  4 Van MERODE, T. et al.: Eur. J. Gen. Pract. 2005; 11: 55-8
R  5 ÖSTERBERG, E. et al.: J. Infect. Dis. 1990; 161: 942-7
6 HUMMERS-PRADIER, E. et al.: Fam. Pract. 2005; 22: 71-7
7 WAGENLEHNER, F.M.E. et al.: Urologe 2010; 49: 253-61
8 HILLIER, S. et al.: J. Antimicrob. Chemother. 2007; 60: 92-9
9 McNULTY, C.A.M. et al.: J. Antimicrob. Chemother. 2006; 58: 1000-8
R  10 IRAVANI, A. et al.: J. Antimicrob. Chemother. 1999; 43 Suppl A: 67-75
R  11 ERNST, E.J. et al.: Health Qual. Life Outcomes 2005; 3: 45 (7 Seiten)
R  12 GUPTA, K. et al.: Arch. Intern. Med. 2007; 167: 2207-12
R  13 CHRISTIAENS, T.C.M. et al.: Br. J. Gen. Pract. 2002; 52: 729-34
R  14 HOOTON, T.M. et al.: JAMA 1995; 273: 41-5
15 ratiopharm: Fachinformation NITROFURANTOIN-RATIOPHARM, Stand Dez. 2007
16 Warner Chilcott: US-Produktinformation MACROBID, Stand März 2010
17 BfArM: Schreiben vom 21. Sept. 2010; http://www.bfarm.de/SharedDocs/1_Downloads/DE/Pharmakovigilanz/stufenplverf/nitrofurantoin.pdf?__blob=publicationFile
R  18 VAN PIENBROEK, E. et al.: Pharm. World Sci. 1993; 15: 257-62
R  19 STEIN, G.E.: Clin. Ther. 1999; 21: 1864-72
20 STEIN, G.E.: Ann. Pharmacother. 1998; 32: 215-9
21 Zambon: Schreiben vom 25. Mai 2011
22 Zambon Ltd.: US-Produktinformation MONUROL, Stand Feb. 2011
23 Infectopharm: Fachinformation INFECTOFOS, Stand Juni 2009
24 OTEO, J. et al.: J. Antimicrob. Chemother. 2010; 65: 2459-63
R  25 HOOTON, T.M. et al.: JAMA. 2005; 293: 949-55
* DEGAM = Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

© 2011 arznei-telegramm, publiziert am 19. August 2011

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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