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Korrespondenz

ZISTROSENEXTRAKT CYSTUS 052 GEGEN INFLUENZA?

In letzter Zeit wird sehr viel über ein Präparat namens CYSTUS berichtet, das gegen viele verschiedene Beschwerden (u.a. gegen Schweinegrippe/Influenza) eingenommen werden kann. Gibt es hierzu Studiendaten über Nutzen und Risiken dieses Mittels?

M. VEH-HÖLZLEIN (Facharzt f. Kinder- u. Jugendmedizin)
D-90762 Fürth
Interessenkonflikt: keiner

Die als Medizinprodukte angebotenen CYSTUS-052-Präparate - Tabletten, Gurgellösung und Sud - enthalten einen Extrakt aus dem Zistrosen-Gewächs Cistus incanus. Während der Sud "zur Ausleitung von angehäuften Schwermetallen"1 und die Gurgellösung zur "Behandlung von Entzündungen im Mund- und Rachenraum"2 vorgesehen sind, sollen die Tabletten der Vorbeugung und begleitenden Behandlung bakterieller und viraler Infektionen der Atemwege dienen.3 Das "Geheimnis hinter der Wirkung von CYSTUS 052" soll in den "hochpolymeren Polyphenolen" liegen.4 Der Anbieter verspricht, dass diese "Bakterien und Viren durch Anlagerung unspezifisch physikalisch binden und dadurch am Eindringen in die Körperzellen weitgehend hindern" können.2 Dies mag die Beurteilung des Anbieters, dass es sich um Medizinprodukte handelt, erklären. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sieht für CYSTUS-052-Tabletten und -Gurgellösung hingegen eine pharmakologische Wirkungsweise und stufte sie bereits vor zwei Jahren als zulassungspflichtige Arzneimittel ein,5 woraufhin der weitere Vertrieb untersagt wurde. Dagegen klagte der Hersteller. Bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung bleiben die Produkte verkehrsfähig.6

Auf unsere Anfrage an den Anbieter nach Studien zum Beleg von Nutzen und Sicherheit der Produkte erhalten wir Post vom Anwalt der Firma (siehe Kasten Seite 30),7 aber keine Studien. Per Datenbankrecherche finden wir nur für CYS-TUS-052-Tabletten zwei randomisierte Studien, an denen 160 bzw. 300 Patienten mit Infekt der oberen Atemwege teilnehmen.8,9 In der größeren, offen durchgeführten Studie lutschen die Teilnehmer maximal sieben Tage lang entweder sechsmal täglich zwei Tabletten oder gurgeln und trinken mehrmals täglich grünen Tee. Schmerzen, Hustenintensität und -frequenz, Sputum und Schnupfen stufen sie zu Beginn und nach drei bis vier Tagen mittels Fragebogen jeweils mit 0 = nicht vorhanden, 2 = geringfügig, 4 = mild, 6 = schwer ein. Innerhalb dieser Zeit soll unter CYSTUS die Gesamtsumme der Punkte (primärer Endpunkt) im Median von 12 auf 8 fallen und unter Grüntee von 12 auf 14 steigen.8 In der kleineren Studie, von der nicht klar ist, ob sie verblindet durchgeführt wurde, lutschen die Teilnehmer randomisiert ebenfalls maximal sieben Tage lang sechsmal täglich zwei Tabletten mit oder ohne Zistrosenextrakt. Ein primärer Endpunkt wird nicht angegeben. Innerhalb von sieben Tagen soll u.a. die mit dem gleichen Fragebogen wie in der größeren Studie gemessene Gesamtsumme im Mittel von 22 auf 4 bzw. 11 Punkte fallen.9

Urheimische Medizin gegen den Rest der Welt

Routinemäßig baten wir die Dr. Pandalis Urheimische Medizin GmbH & Co. KG, uns die vorliegenden klinischen Studien zum Beleg von Nutzen und Sicherheit ihrer Cistus-incanus-Präparate (CYSTUS 052) zuzusenden.1 Diese erhalten wir nicht. Stattdessen antwortet uns ein von der Firma beauftragter Anwalt.7 Man habe „in der letzten Zeit sehr viele negative Erfahrungen mit so genannten freien und unabhängigen Redaktionsbeiträgen“ sammeln müssen. Genannt werden auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und die Verbraucherzentrale Bayern e.V. Der Anwalt liefert gleichzeitig eine gängige Verschwörungstheorie: „Die in Deutschland offensichtlich sehr mächtige Pharmaindustrie hat es bislang stets erfolgreich geschafft, ein effektives Konkurrenzprodukt eines mittelständischen Unternehmens am Markt zu behindern und zu verleumden.“ Ein Trick sei dabei, die CYSTUS-052-Medizinprodukte „mit Fragestellungen aus dem Arzneimittelmarkt“ zu konfrontieren. „Anders als im arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren ist ein Medizinproduktehersteller im Übrigen nicht verpflichtet, seine Studienergebnisse zu veröffentlichen...“7

Das veranschaulicht eine besondere Problematik von Medizinprodukten. Werbung statt wissenschaftlicher Information und Produkte, die auf der Basis von Geheimwissenschaften vertrieben werden, erachten wir als nicht akzeptabel, –Red.

In beiden Publikationen fehlen hinreichende Angaben zu Einschlusskriterien wie z.B. der Dauer der Beschwerden, zu Basisdaten, Fallzahlplanung sowie insbesondere zur erlaubten und verwendeten Begleitmedikation.8,9 Der verwendete Fragebogen scheint nicht validiert zu sein. Auf dieser Grundlage lässt sich ein Nutzen nicht belegen. An unerwünschten Wirkungen des Extraktes wird nur über Übelkeit, Schwindel und Magenbeschwerden ohne Angabe der Schwere berichtet.8,9

Wie der Extrakt im Mund dazu beitragen soll, die Ausbreitung von Influenzaviren in der Lunge durch ausschließlich bindende Wirkung zu reduzieren, bleibt auch für die Autoren unklar.9

∎  Der Polyphenole enthaltende Extrakt aus dem Zistrosengewächs Cistus incanus (CYSTUS-052) soll laut Anbieter Erkältungserreger physikalisch binden.

∎  CYSTUS-052-Tabletten und -Gurgellösung werden als Medizinprodukte vertrieben. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte stuft sie jedoch als zulassungspflichtige Arzneimittel ein. Der Sachverhalt wird derzeit gerichtlich geklärt.

∎  Die veröffentlichten randomisierten Studien belegen aus unserer Sicht weder Nutzen noch Sicherheit der CYSTUS-052-Produkte hinreichend.

  (R = randomisierte Studie)
 1Dr. Pandalis Urheimische Medizin: http://www.urheimische-medizin.de/produkte/02-Cystus-052-Sud.htm
 2Dr. Pandalis Urheimische Medizin: http://www.urheimische-medizin.de/produkte/04-Cystus-052-Gurgelloesung.htm
 3Dr. Pandalis Urheimische Medizin: http://www.urheimische-medizin.de/produkte/03-Cystus-052-Infektblocker-Tabletten.htm
 4Dr. Pandalis Urheimische Medizin: http://www.urheimische-medizin.de/pflanzen/10-Cistus-incanus-spp-Pandalis.htm
 5BfArM: Bescheid vom 11. Feb. 2008
 6Kassenärztliche Bundesvereinigung: Arzneimittel aktuell vom 19. Nov. 2009
 7Kanzlei Dr. Lücker: Schreiben vom 1. Feb. 2010
R8KALUS, U. et al.: Phytother. Res. 2010; 24: 96-100
R9KALUS, U. et al.: Antiviral Res. 2009; 84: 267-71

© 2010 arznei-telegramm, publiziert am 12. März 2010

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