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Im Blickpunkt

UNTERKÜHLUNG -
DIE UNTERSCHÄTZTE GEFAHR IM SENIUM:
AN MEDIKAMENTENEFFEKT DENKEN

Störungen des Wärmehaushalts sind im höheren Lebensalter häufiger. Stoffwechsel- und Vasomotorenreaktionen verlaufen beim älteren Menschen träger. Mangel an Bewegung und wärmeerzeugende kalorienreiche Ernährung sowie Verlust von schützendem Körperfett und Muskelmasse tragen im Senium zu Temperaturanpassungsstörungen bei. Die Kachexie des alten Menschen geht oft mit Hypoalbuminämie einher. Sogar in wärmeren Regionen kommen Unterkühlungen im Greisenalter vor.

Daß hieran Arzneimittel und metabolische Störungen beteiligt sein können, ist noch wenig bekannt. Geriater einer Klinik in Jerusalem registrierten bei gut einem Fünftel ihrer Patienten mit Hypothermie in der Anamnese eine neuroleptische Medikation. Am häufigsten fand das Phenothiazin-Derivat Thioridazin (MELLERIL u.a.) Verwendung. Phenothiazine sind dafür bekannt, die Thermoregulation über zentrale hypothalamische und periphere gefäßerweiternde Effekte ausschalten zu können. Dies nutzte man seit den 50er Jahren zur Temperaturabsenkung (Hibernation) bei der Narkose, um Stoffwechselprozesse zu verlangsamen.

Ältere Patienten nehmen häufig Diuretika ein. Der durch diese Wirkstoffe ausgelöste Salzverlust, die Hyponatriämie, könnte ebenfalls zu Temperaturanpassungsstörungen beitragen. Auffällig häufig stellte man in der Jerusalemer Klinik eine Digoxin-Intoxikation fest (bei rund 20%). Sie findet nur bei einigen Patienten eine Erklärung in einer begleitenden Niereninsuffizienz und schweren Kachexie.

Zum Hypothermie-Syndrom gehört eine Reihe von Befunden wie z.B. Bluteindickung, Leukozytose oder Leukopenie, Thrombozytopenie, disseminierte intravaskuläre Gerinnung und Hyperglykämie. Die Nierenfunktion kann Schaden nehmen, und in etwa 12% der Fälle mündet sie in ein akutes Nierenversagen ein. Ein jüngerer Mensch übersteht die Entgleisung des Wärmehaushalts wesentlich besser als der ältere. Die Prognose der Hypothermie ist im Greisenalter extrem ungünstig. Rund drei Viertel der Betroffenen sterben trotz aller Gegenmaßnahmen wie vorsichtiger Erwärmung des Organismus. Besonders, wenn Ernährungsstörungen bestehen, vor allem Proteinmangel, muß mit hoher Sterblichkeit gerechnet werden.

Niedrige Körpertemperaturen fördern die Infektanfälligkeit. Todesursache ist nicht selten ein Sepsissyndrom. Es wäre denkbar, daß an der Entwicklung der Sepsis Schilddrüse und Nebennierenrinde beteiligt sind. Ob die in der Hypothermie insuffiziente Bereitstellung von Hormonen Ursache oder Konsequenz der Störung des Wärmehaushalts ist, steht dahin.

Je früher die Unterkühlung erkannt und eine Normothermie hergestellt wird, desto besser ist die Prognose. Heizbare Matratzen und notfalls Peritonealdialyse mit erwärmter Flüssigkeit vermögen die Körpertemperatur anzuheben (vgl. a-t 1 [1987], 4; 2 [1987], 22). Häufig liegen septische Krankheitsbilder vor, ohne daß die für eine Sepsis typische Fieberreaktion nachweisbar ist. Deshalb ist oft eine "blinde" antibiotische Sepsisbehandlung angezeigt. Selbst in Israel, einem Land, in dem die Temperatur im Winter selten unter 5° Celsius fällt, wird das Unterkühlungssyndrom des alten Menschen häufig zur Todesursache.

KRAMER, M. R. et al.: Arch. Intern. Med. 149 (1989), 1521 / ati d


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