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ANTIEMETIKUM ONDANSETRON (ZOFRAN)

Übelkeit und Erbrechen belasten etwa 60% der Patienten mit einer Bestrahlung des Abdomens. Im Rahmen einer Zytostatikatherapie mit alkylierenden Stoffen oder Anthrazyklinen sind sie mit 60 bis 90% noch häufiger. Unter sogenannten hochemetogenen Substanzen wie Cisplatin (PLATINEX u.a.) und Dacarbazin (D.T.I.C. u.a.) ist nahezu regelhaft mit Übelkeit und Erbrechen zu rechnen. Diese können die Behandlungsmöglichkeiten einschränken. Drei Formen von Zytostatika-induziertem Erbrechen werden unterschieden:

  1. das antizipatorische Erbrechen vor oder unmittelbar bei Gabe des Zytostatikums (ausgelöst durch konditionierte Reflexe),
  2. das eigentliche akute Erbrechen bis zu 24 Stunden nach Gabe des Zytostatikums und
  3. das meist weniger starke, an den Folgetagen auftretende verzögerte Erbrechen.

Die Standardbehandlung des durch hochemetogene Zytostatika ausgelösten Erbrechens umfaßt hochdosiertes Metoclopramid (PASPERTIN u.a.) und Dexamethason (FORTECORTIN u.a.), in der Regel kombiniert mit einem Benzodiazepin, einem sedierenden Antihistaminikum (z.B. Diphenhydramin [EMESAN N u.a.]) oder Phenothiazin (z.B. Triflupromazin [PSYQUIL]).1,2 Die Erkenntnis, daß hochdosiertes Metoclopramid weniger durch seine antidopaminergen Effekte als durch Hemmung von 5-Hydroxi-Tryptamin (Serotonin)3- Rezeptoren (5-HT3-R) antiemetisch wirkt, führte zur Entwicklung spezifischer 5-HT3-R-Antagonisten.3,4 Der erste erhielt im November 1990 im beschleunigten Verfahren nach § 28 (3) AMG die Zulassung: Ondansetron (ZOFRAN).

EIGENSCHAFTEN: Ondansetron wird nach Einnahme per os rasch absorbiert mit einer maximalen Plasmakonzentration nach 1,5 Stunden. Die Bioverfügbarkeit beträgt 59%, die Plasmaeiweißbindung 70 bis 76%. Nach ausgiebiger Metabolisierung in der Leber werden 56% von Ondansetron und seinen Metaboliten im Urin, 25% im Stuhl ausgeschieden. Im Urin finden sich 10% der Substanz in unveränderter Form, 65% an Sulfat oder Glukuronsäure konjugiert und 25% als andere Metaboliten. Über eine pharmakologische Aktivität der Metaboliten ist nichts bekannt.

Die Eliminationshalbwertszeit von 3,2 - 3,5 Stunden kann bei älteren Patienten bis auf 5 Stunden verlängert sein. Pharmakokinetische Daten bei Funktionsstörungen von Leber und Nieren liegen noch nicht vor. Die Dialysierbarkeit der Substanz ist nicht untersucht. Ondansetron ist plazentagängig und tritt in die Muttermilch über.5

WIRKUNG: Erbrechen ist ein komplizierter Reflexvorgang, der durch Stimulation des Brechzentrums in der Medulla oblongata ausgelöst wird. Dieses erhält Afferenzen aus dem Kortex, dem Vestibularapparat, der Chemorezeptoren-Triggerzone (CTZ) in der Area postrema sowie über vornehmlich vagale Nervenfasern aus dem oberen Magen-Darmtrakt. Die Endigungen dieser Nervenfasern sind mit 5-HT3-Rezeptoren bestückt, die – neben cholinergen, histaminergen und dopaminergen Rezeptoren – in hoher Konzentration auch in der CTZ zu finden sind.

Emetogene Zytostatika und abdominelle Bestrahlung bewirken eine starke Freisetzung von Serotonin aus den entero-chromaffinen Zellen des Dünndarms. Dieses löst Erbrechen aus, vornehmlich durch Stimulation der intestinalen Vagusfasern, wahrscheinlich aber auch direkt der CTZ. Ob dieser Mechanismus für alle emetogenen Zytostatika zutrifft oder ob noch andere existieren, ist offen.

Ondansetron hemmt dosisabhängig, kompetitiv und anscheinend selektiv die 5-HT3-Rezeptoren und unterdrückt dadurch Erbrechen.6 Auch der ebenfalls durch 5-HT3-Rezeptoren vermittelte BEZOLD-JARISCH-Reflex wird gehemmt. Dagegen scheinen über 5- HT1- und 5-HT2-Rezeptoren vermittelte Effekte (u.a. Relaxation oder Kontraktion der glatten Muskulatur, Thrombozytenaggregation) unbeeinflußt zu bleiben. Eine antidopaminerge Wirkung ließ sich bisher nicht nachweisen. An Magen und Dünndarm besitzt Ondansetron keine prokinetischen Wirkungen, am Dickdarm wird die Motilität gehemmt.7 Anxiolytische und antidepressive Effekte sind in Tierversuchen nachgewiesen.5

WIRKSAMKEIT: Zielkriterium bei der Prüfung von Antiemetika in klinischen Studien ist die Unterdrückung emetischer Episoden (manifestes Erbrechen oder bis fünf Würgereize in 5 Minuten) und Übelkeit (beurteilt anhand visueller Analogskalen). Bisher wurde überwiegend der Einfluß von Ondansetron auf das akute, bis 24 Stunden nach Zytostatikagabe auftretende Erbrechen untersucht.

In Dosisfindungsstudien vermochten bereits 0,01 mg/kg Körpergewicht (KG) (vor und 5 x alle 4 Stunden nach Chemotherapie) bei 26% der mit Cisplatin behandelten Patienten Erbrechen zu unterdrücken. Die höhere Dosierung mit je 0,18 mg/kg KG erwies sich mit einer Erfolgsrate von 65% als signifikant wirksamer.8 Eine dreimalige Gabe von 0,18 mg/kg in sechs- bis achtstündlichen Abständen erbrachte ein ähnlich gutes Unterdrücken emetischer Episoden bei 75% der Patienten.9

In offenen, unkontrollierten Studien wurde die Wirksamkeit von Ondansetron bei Patienten überprüft, die bei vorherigen Chemotherapiezyklen auf eine konventionelle antiemetische Therapie nicht ausreichend ansprachen. Unter Cisplatin ließ sich nach Umstellung auf Ondansetron bei 56% der Patienten das Erbrechen verhältnismäig gut (maximal 2 emetische Episoden pro Tag), bei 23% komplett unterdrücken.10 Bei Chemotherapien ohne Cisplatin gelang eine gute Kontrolle zuvor therapierefraktären Erbrechens zu 66% bzw. 95%.11,12

In einer kontrollierten Doppelblindstudie lag die Zahl emetischer Episoden durch hochdosiertes Cisplatin unter Ondansetron (0,15 mg/kg i.v. 30 Minuten vor sowie 4 und 8 Stunden nach Cisplatin) signifikant niedriger als nach Plazebogabe (1,5 vs. 5,5 Episoden in 24 Stunden). Die mittlere Zeit bis zum ersten Erbrechen war deutlich verlängert (11,6 Stunden vs. 2,8 Stunden).13 Das gleiche Ondansetron-Regime unterdrückte Erbrechen nach Cyclophosphamid (ENDOXAN u.a.) bei 70% der Patienten, während es unter Plazebo regelmäßig zu Erbrechen kam.14

Bei Cisplatin-induziertem Erbrechen wirkte Ondansetron (8 mg i.v., dann 1 mg/h über 24 Stunden) besser als eine Standardtherapie mit hochdosiertem Metoclopramid (3 mg/kg i.v., dann 0,5 mg/kg/h über 8 Stunden): Das Erbrechen war unter Ondansetron bei 75% der Patienten deutlich vermindert gegenüber 42% unter Metoclopramid und komplett unterdrückt bei 46% gegenüber 16%. Auch die Übelkeit ließ sich signifikant häufiger komplett unterdrücken (38% vs. 20%).15 In Verbindung mit Chemotherapien ohne Cisplatin verhinderte Ondansetron (3 x 8 mg per os) in drei kontrollierten, bisher nur unvollständig veröffentlichten Vergleichsstudien signifikant besser Erbrechen (72 bis 86%) und Übelkeit (65 bis 85%) im Vergleich zu niedrig dosiertem (3 x 20 mg per os) Metoclopramid (42 bis 62% bzw. 49 bis 62%).19

Bei hochdosierter Strahlentherapie des Abdomens (Dosis 8 - 10 Gy, Feldgröße 80 - 150 cm2) war Ondansetron (3 x 8 mg über 5 Tage) in einer randomisierten Studie Metoclopramid (3 x 10 mg über 5 Tage) nur am ersten Behandlungstag mit 100% gegenüber 70% guter Unterdrückung emetischer Episoden überlegen. An den Folgetagen bestand zwischen beiden Substanzen kein signifikanter Wirksamkeitsunterschied.16

Für die Anwendung von Ondansetron bei Kindern zwischen 4 und 18 Jahren gibt es erste begrenzte Erfahrungen aus unkontrollierten offenen Studien. Sie sprechen für eine ähnlich gute übelkeitshemmende Wirksamkeit wie bei Erwachsenen.5,17

Zu klären bleibt, ob die antiemetische Eigenschaft von Ondansetron durch Kombination, z.B. mit Dexamethason oder Benzodiazepinen, gesteigert werden kann. Der Nutzen von Ondansetron zur Unterdrückung des mehr als 24 Stunden nach zytostatischer Therapie einsetzenden verzögerten Erbrechens, das möglicherweise durch andere Mechanismen ausgelöst wird als das akute, ist bisher nicht ausreichend belegt. Positiven Hinweisen12,19 stehen – möglicherweise durch zu kurze Therapiedauer – gegenteilige Beobachtungen entgegen.13,15

UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN: Bisher liegen Erfahrungen aus klinischen Studien mit ca. 5.500 Ondansetron-behandelten Patienten vor. Das Spektrum unerwünschter Wirkungen kann deshalb erst vorläufig beurteilt werden.

Zu den häufigen Störeffekten zählen Sedierung (bis 40%), Kopfschmerzen (11 bis 33%), Schwindel (5 bis 11%), Durchfall (7%) und Mundtrockenheit (5 bis 17%). Anstiege der Lebertransaminasen wurden bei 15 bis 33% der Patienten beobachtet, waren bisher jedoch nur gering ausgeprägt.9,10,12,18 Obstipation wurde bei 18 bis 29% der Behandelten registriert.9,10 Darunter findet sich jedoch auch der Bericht über einen operationsbedürftigen Patienten mit Ileus bei vorbestehender Peritonealkarzinose.10



Daneben gibt es Einzelbeobachtungen von Fieber, Hypo- und Hypertonie, Schüttelfrost, Rhythmusstörungen, Luftnot, Heiserkeit und Husten, Schweißausbruch und Hitzegefühl sowie Juckreiz,9,10 ferner Sehstörungen, Photodermatitis, makulo-papulöser Ausschlag, Delir und andere ZNS-Symptome.20 Extrapyramidale Störungen, die unter hochdosiertem Metoclopramid als derzeitiger Standardtherapie besonders bei jüngeren Patienten relativ häufig auftreten, wurden unter Ondansetron bisher weder bei Kindern5,17 noch bei Erwachsenen beschrieben.9,10,12-15,18 Einzelfälle von Beinkrämpfen, Parästhesien und tetanieartigen Krämpfen an Fingern und Zehen sind jedoch dokumentiert.10

Wegen unzureichender Erfahrungen ist Ondansetron nicht für die Anwendung während der Schwangerschaft, der Stillzeit sowie bei Kindern unter 4 Jahren freigegeben.

FAZIT: Ondansetron (ZOFRAN) ist der erste Vertreter der neuen Gruppe von 5-HT3 (Serotonin3)-Rezeptor-Antagonisten. Im Rahmen einer abdominellen Bestrahlung oder zytostatischen Therapie mit stark emetogenen Substanzen auftretende Übelkeit und Erbrechen verhindert es besser als hochdosiertes Metoclopramid (PASPERTIN u.a.) oder andere bisher verfügbare Antiemetika.

Ob Ondansetron das mehr als 24 Stunden nach Gabe stark emetogener Zytostatika einsetzende verzögerte Erbrechen lindert, bleibt zu klären. Am Folgetag nach abdomineller Bestrahlung ist es niedrig dosiertem Metoclopramid lediglich gleichwertig. Deshalb und wegen der extrem hohen Kosten (s. Kasten) sollte die Verwendung von Ondansetron auf den Verabreichungstag stark emetogener Zytostatika bzw. den ersten Bestrahlungstag beschränkt bleiben. Für eine Wirksamkeit bei anderen Ursachen von Übelkeit und Erbrechen wie z.B. Migräne gibt es keine Belege.

Spektrum und Frequenz von Störwirkungen erscheinen nach bisherigen Erfahrungen akzeptabel. Extrapyramidal-motorische Störungen wurden bisher nicht beobachtet. Die Möglichkeit der Hemmung der Darmperistaltik bis zum Ileus muß berücksichtigt werden. Insgesamt ist Ondansetron als Erweiterung der Behandlungsmöglichkeiten von Erbrechen im Rahmen der Onkologie zu werten.


© 1991 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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