Die Mittelohrentzündung ist eine der häufigsten Diagnosen in der kinderärztlichen Sprechstunde. Im Alter bis zu 3 Jahren erkranken
über zwei Drittel aller Kinder mindestens einmal an Otitis media, ein Drittel hat mindestens 3 Krankheitsepisoden.1,2 Mit fortschreitendem
Schädelwachstum verbessern sich die anatomischen Gegebenheiten im Bereich der Ohrtrompete. Mit zunehmendem Alter heilen daher oft auch chronische
Mittelohrentzündungen ab.
AKUTE OTITIS MEDIA: Hauptsymptom ist starker Ohrschmerz, oft verbunden mit Hörstörungen. Nach Spontanruptur des Trommelfells oder
Parazentese klingen die Schmerzen schlagartig ab. Ferner ist mit Fieber, Ohrlaufen (10%), Lethargie, Reizbarkeit, Schwindel, Tinnitus und Appetitlosigkeit zu
rechnen.1,3 Kleinkinder sind unruhig, weinen, wälzen den Kopf hin und her, ziehen am Ohrläppchen oder greifen zum Ohr. Otoskopisch sind ein
gerötetes, vorgewölbtes Trommelfell und üblicherweise Flüssigkeit im Mittelohr sichtbar. Bisweilen finden sich auf dem Trommelfell eitrige oder
hämorrhagische Blasen.
Das Erregerspektrum der akuten Mittelohrentzündung ist erstaunlich konstant. Die häufigsten bakteriellen Erreger sind Streptococcus
pneumoniae (30%) und Haemophilus influenzae (13%) sowie Branhamella catarrhalis (9%).1,4 Zunehmende Bedeutung gewinnt Moraxella catarrhalis. Mehr
als jede vierte akute Mittelohrentzündung beruht auf viralen Infekten.1
Zur Auslösung einer Otitis media tragen Infektionen der oberen Luftwege (bei 90% der Mittelohrentzündungen vorhanden)3, anatomische oder
funktionelle Veränderungen des Mittelohres oder der Tuba Eustachii sowie Allergien bei.1 Vergrößerte Rachenmandeln und Schwellung der
Tubenschleimhaut behindern den normalen Sekretabfluß aus dem Mittelohr und fördern eine bakterielle Superinfektion. (Passiv)-Rauchen begünstigt
Infektionen der oberen Luftwege bei Kindern einer von vielen Gründen, die Eltern von Kleinkindern vom Nicht-Rauchen zu
überzeugen.2
Für die symptomatische Behandlung werden in erster Linie abschwellende Nasentropfen empfohlen. Bisweilen reicht physiologische
Kochsalzlösung zum Befeuchten der Nasenschleimhaut. Unter den schmerzlindernden Mitteln ist Parazetamol (BEN-U-RON u.a.) der Azetylsalizylsäure
(ASS; ASPIRIN u.a.) vorzuziehen, da das Salizylat bei Kindern das Risiko einer zwar seltenen, aber bedrohlichen Leber-Hirnerkrankung (REYE-Syndrom)
birgt.
Die routinemäßige Behandlung der akuten Mittelohrentzündung mit Antibiotika ist umstritten. Bei 90% von 4.800 Kindern im Alter von 2 bis 12
Jahren besserten sich die Beschwerden durch abschwellende Nasentropfen und Analgetika innerhalb von 3 Tagen. Komplikationen traten bei 2,7% der Kinder auf.
Mit einer Antibiotika-Behandlung wurde erst nach 3 bis 4 Tagen bei anhaltenden hohen Temperaturen und starken Schmerzen oder bei Patienten mit Ohrlaufen
nach mehr als 2 Wochen begonnen.5
Für Kinder über zwei Jahren läßt es sich aufgrund dieser Studie und unter Berücksichtigung der hohen Spontanheilungsrate der Otitis
media rechtfertigen, initial nur symptomatisch zu behandeln. Einige Autoren behaupten, es bestünde Konsens zur antibiotischen Behandlung, da meist
Bakterien im Mittelohr vorhanden seien und die Rate von Komplikationen durch Antibiotika gesenkt werden könne.6 Ist das Trommelfell
vorgewölbt und purulent oder mit blaurötlichen Blutblasen versehen (Verdacht auf H. influenzae-Infektion, "Grippeotitis"), sollte auf jeden Fall
antibiotisch behandelt werden.
Antibiotikum der Wahl ist das Breitspektrumpenizillin Amoxicillin (AMOXYPEN u.a.). Bei Penizillin-Allergie kommen Co-trimoxazol (BACTRIM u.a.) oder ein
Oralcephalosporin wie Cefaclor (PANORAL; cave Kreuzallergie) in Frage, bei Betalaktamase-bildenden Erregern zudem Amoxicillin/Clavulansäure
(AUGMENTAN) (siehe Kasten: Therapiekosten im Vergleich). Innerhalb von 3 bis 5 Tagen lassen sich die Bakterien aus dem Mittelohrexsudat eliminieren. Oft wird zu
einem Behandlungszyklus von 10 Tagen geraten, um ein Verbleiben von Bakterien im Mittelohrexsudat möglichst zu verhindern, doch fehlen klinische Belege
für diese Therapieverlängerung.
Bessern sich die Beschwerden zwei bis drei Tage nach Beginn der Antibiotikatherapie nicht, kann eine Tympanozentese und Flüssigkeitsentnahme für
Kultur mit Erregerresistenz-Test und gegebenenfalls ein Wechsel des Antibiotikums ratsam sein. Bei Rezidiven über 10 Tage nach der initialen Behandlung
empfiehlt sich ein zweiter Behandlungszyklus mit Antibiotika. Als Ursachen für fehlendes Ansprechen sind Non-Compliance, Erregerresistenz oder erneute
Infektion in Betracht zu ziehen.1
Ohrentropfen mit Antibiotika (z.B. AQUAYCETIN), Kortikoiden (z.B. AQUAPRED) oder Analgetika (z.B. OTALGAN) sind nutzlos. Sie dringen nicht in die
Paukenhöhle ein, werden bei Ohrlaufen abgeschwemmt (vgl. Arzneimittelkursbuch '92/93, Seite 1446) und erschweren zudem die otoskopische Beurteilung
des Trommelfells.
CHRONISCHE OTITIS MEDIA: Der chronische Mittelohrkatarrh, häufigste Ursache der Schwerhörigkeit im Kindesalter, ist charakterisiert durch
einen Mittelohrerguß, der länger als 2 Monate anhält oder durch wiederholte akute Mittelohrentzündungen. Mit zunehmendem Lebensalter steigt
die Häufigkeit von Spontanheilungen (1. Lebensjahr 25%, ab 6. Jahr praktisch immer). Standardkonzepte für Prophylaxe und Therapie existieren nicht.
Amoxicillin und Co-trimoxazol 1 oder 2 x täglich gelten als relativ wirksam. Pneumokokkenimpfstoffe (PNEUMOVAX u.a.) beeinflussen nicht die Häufigkeit
der Otitiden.
Chirurgische Maßnahmen wie Parazentese oder Adenoidentfernung kommen in Betracht, wenn die konservative Behandlung nicht anspricht oder sich das
Hörvermögen bilateral zunehmend verschlechtert. Die Diagnose Otitis media wird jedoch allzu leicht als Begründung für Störungen der
Sprachentwicklung und des Sozialverhaltens herangezogen.7
Die Parazentese ist heute auf schwere Verläufe mit hartnäckigen Schmerzen begrenzt. Paukenröhrchen werden bei therapieresistenten
Mittelohrergüssen über mehr als 3 Monate und bei persistierendem negativem Mittelohrdruck eingesetzt.1
FAZIT: Zwei Drittel aller Kinder erkranken bis zum Alter von 3 Jahren mindestens einmal an Otitis media. 90% der akuten Mittelohrentzündungen gehen mit
einer Atemwegsinfektion einher. Die häufigsten Erreger sind Streptokokkus pneumonia und Haemophilus influenzae. Jede vierte Mittelohrentzündung ist
viral bedingt.
Überwiegend heilen Mittelohrentzündungen unter symptomatischer Behandlung mit Analgetika und abschwellenden Nasentropfen spontan aus. Vor allem
bei Kindern unter 2 Jahren, die stärker durch Komplikationen wie Schwerhörigkeit gefährdet sind, sowie bei purulentem Trommelfell wird die
antibiotische Behandlung empfohlen, vorzugsweise mit Penizillin-Derivaten wie Amoxicillin (AMOXYPEN u.a.). Bei Penizillin-Allergie kommen Cephalosporine (cave
Kreuzallergie) oder Co-trimoxazol (BACTRIM u.a.) in Betracht.
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