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Im Blickpunkt

MUSKELSCHMERZEN NACH SCHLEUDERTRAUMA –
WASSER SUBKUTAN MIT "WUNDER"-WIRKUNGEN

Das sogenannte Schleudertrauma geht häufig mit lang anhaltenden und therapieresistenten Symptomen wie Nacken- und Schulterschmerz, Bewegungseinschränkung und Kopfschmerzen sowie Arbeitsunfähigkeit einher. Üblicherweise wird es durch eine plötzliche ruckartige Kopfbewegung eines Fahrzeuginsassen bei einem Unfall verursacht.

Einen Aha-Effekt vermittelt die Beobachtung einer anästhesiologisch-orthopädischen Arbeitsgruppe vom Sahlgrenska Krankenhaus in Göteborg (Schweden): Injektionen mit sterilem Wasser subkutan über den Schmerz- und "Trigger"-Punkten können die oft therapieresistenten chronischen Muskelschmerzen lindern und die Nackenbeweglichkeit bessern.1

Das Prinzip ist nicht neu – Schmerztherapie durch "Gegenirritation" sowohl mit sterilem Wasser als auch mit physiologischer Kochsalzlösung oder trockenen Nadeln wurde schon im vorigen Jahrhundert praktiziert. Der Bonner Mechaniker BAUNSCHEIDT erfand 1848 ein Stichelgerät, mit dem man 25 Nadeln gleichzeitig applizieren konnte.2

In dem kontrollierten Vergleich erhielten 20 Frauen und 20 Männer Injektionen mit 0,3 bis 0,5 ml sterilem Wasser oder physiologischer Kochsalzlösung an maximal 3 Behandlungstagen. Alle litten unter chronischen Schmerzen und Bewegungseinschränkung von Nacken und Schulter infolge eines vier bis sechs Jahre zurückliegenden Schleudertraumas. Durch den Unfall verursachte Verletzungen der Wirbelsäule waren radiologisch nicht nachweisbar. Andere Behandlungsversuche, wie transkutane elektrische Nervenstimulation oder Akupunktur, hatten nur wenig oder nur vorübergehend Linderung gebracht. Bei Studienbeginn nahm die Mehrzahl der Patienten Analgetika oder Benzodiazepine ein, etwa die Hälfte erhielt Antidepressiva.

Subkutane Injektionen mit sterilem Wasser rufen – im Unterschied zu physiologischer Kochsalzlösung – heftige brennende Schmerzen hervor, die nach etwa 30 Sekunden abklingen. Anschließend fühlen die Patienten in der Regel keinen Muskelschmerz mehr, und die Beweglichkeit nimmt deutlich zu. Unmittelbar nach der Behandlung, nach drei Monaten und teilweise auch noch nach acht Monaten – nicht jedoch nach einem Monat – schnitt die mit sterilem Wasser behandelte Gruppe hinsichtlich Schmerzintensität und Beweglichkeit der Halswirbelsäule deutlich besser ab als die Kontrollgruppe. Die Betroffenen beurteilten die Schmerzlinderung durch steriles Wasser nach drei Monaten günstiger als Personen, die Kochsalzlösung erhalten hatten. Nach acht Monaten ergab sich kein Unterschied mehr in der Einschätzung.

Abgesehen von dem brennenden Schmerz nach der Injektion gab es keine unerwünschten Effekte. Bei zwei Patienten außerhalb der Studie wurden durch die Injektionen schwere Muskelspasmen im Schulter-Nacken-Bereich hervorgerufen, die sich innerhalb von 10 Minuten wieder lösten. Während die unmittelbar nach der Behandlung einsetzende Schmerzlinderung bei einer schmerzhaften Injektion auf einem Plazeboeffekt beruhen kann, steht die Erklärung für die langanhaltende Wirkung aus. Diskutiert wird Schmerzleitungshemmung durch "Gegenirritation".

Die Methode hat den Vorteil, daß sie wenig kostet und gut verträglich ist. Trotz Mängel im Studiendesign erscheint ein Monate anhaltender Nutzen bei chronischen Muskelschmerzen nach Schleudertrauma hinreichend dokumentiert. Die zugrundeliegende Schmerzursache wird jedoch nicht beseitigt. Für die Praxis empfehlen die Autoren:

  • In jeder Sitzung sollten alle Schmerz- und "Trigger"-Punkte behandelt werden (10 bis 50 Injektionen). Zusätzliche Injektionen sind erforderlich, bis der Patient schmerzfrei ist.
  • 0,3 bis 0,5 ml steriles Wasser werden 2 bis 3 mm unter die Haut gespritzt.
  • Häufig benötigen Patienten eine Prämedikation. Benzodiazepine oder Opioide beeinträchtigen die Behandlung nicht. Lokalanästhetika sollten vermieden werden.
  • Die meisten Patienten benötigen 2-4 Behandlungen innerhalb von 6 Monaten.
  • Ärzte sollten möglichst eine Injektion an sich selbst ausprobieren, damit sie wissen, welche Art von Schmerz sie zufügen.

Wie die Autoren selbst einräumen, ist die Studie nicht streng doppelblind.1 Ungewöhnlich ist, daß bei den Patienten mit über vier bis sechs Jahre anhaltenden chronischen Schmerzen andere psychische Auffälligkeiten fehlen.3

FAZIT: Nach Schleudertrauma kommt es häufig zu anhaltenden Schulter- und Nackenschmerzen und Bewegungseinschränkungen. Die Behandlung verläuft oft unbefriedigend. Subkutane Injektionen mit sterilem Wasser können diesen Patienten helfen. Die Methode wird – abgesehen von kurzdauernden heftig brennenden Schmerzen bei den Injektionen – in der Regel gut vertragen und kostet wenig.

1

BYRN, C. et al.: Lancet 341 (1993), 449

2

SKRABANEK, P.: Lancet 341 (1993), 905/ati d

3

PEARCE, J. M. S.: Lancet 341 (1993), 905


© 1993 arznei-telegramm

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