Prostaglandinsynthetasehemmer haben schmerzlindernde, aber auch entzündungshemmende und fiebersenkende Eigenschaften. Sie gelten im
Unterschied zu den zentralangreifenden Opiaten als Analgetika mit peripheren Angriffspunkten. Periphere Analgetika und Opioide sind nicht gegeneinander
austauschbar, auch wenn dies die Werbung suggeriert. Es kann jedoch sinnvoll sein, sie miteinander zu kombinieren (z.B. bei Schmerzen infolge von
Knochenmetastasen), um bei unzureichender Wirkung eines peripheren Analgetikums dennoch eine ausreichende schmerzlindernde bzw. -befreiende Wirkung
mittels Opioid zu erreichen.
Vor einem Jahr warnten wir erstmals vor dem zur Behandlung postoperativer Schmerzen eingeführten Ketorolac (TORATEX; vgl. a-t 7 [1992], 67 und Arzneimittelkursbuch 92/93, Seite 1082, 1085) einer Molekülvariante des 1983 wegen
schwerer allergischer Reaktionen außer Handel genommenen Analgetikums Zomepirac (ZOMAX; vgl. a-t 3 [1983], 18). Als angeblich neues analgetisches
Prinzip sollte Ketorolac "eine Lücke in der Schmerztherapie" schließen, so stark wie die Opioide analgetisch wirken und "den Schmerz und
nicht den Menschen treffen". Die TORATEX-Werbung profilierte das Mittel ohne Hinweis auf den Wirktyp als dem Schmerz "in jeder Phase"
überlegen und bahnte so Fehlanwendungen:
Ein Dialysearzt wollte eine mit einem Opioid gut schmerzlindernd versorgte Patientin mit chronischen Schmerzen bei Polyneuropathie unter
jahrelanger Dialysebehandlung auf TORATEX umstellen in der Annahme, es sei besser verträglich.
Ein mit einem Opioid leidlich gut schmerzbehandelter Patient mit chronischen Schmerzen nach Gürtelrose bekam vom Hausarzt
TORATEX, das am zweiten Behandlungstag zu Magenschmerzen führte.
Weil ein Nervenarzt meinte, TORATEX sei unschädlich, erhielt ein Patient mit chronischen postoperativen Deafferenzierungsschmerzen im
Gesicht, der mit einem Opioid einigermaßen zurechtkam, das neue TORATEX.
Alle diese Patienten bezahlten die Umstellung mit dem Verlust der Schmerzstillung.
Die vom Hersteller angeführte Wirkstärke von TORATEX beruht unter anderem auf tierexperimentellen Untersuchungen am Rattenpfotenödem,
das keinen Rückschluß auf die klinische Wirksamkeit beim Menschen erlaubt und zudem nicht Schmerzlinderung, sondern Entzündungshemmung
erfaßt.
Ein Schmerztherapeut untersuchte die Wirksamkeitsnachweise des TORATEX-Anbieters. Er fand, daß die Vergleiche mit anderen Analgetika nicht auf
äquipotenten Dosierungen beruhen. Morphin oder Metamizol wirken drei bis vier Stunden. Werden die Applikationsintervalle auf sechs Stunden
verlängert, erscheint das neue Ketorolac im Wirksamkeitsvergleich als vorteilhaft, weil es sechs bis acht Stunden wirkt.
Der Vergleich von Höchstdosen von Ketorolac mit sehr niedrigen Dosierungen von Opioiden wird als unzulässig erachtet. Man kann nicht eine
Ketorolac-Maximaldosierung von 30 mg i.m. mit Minimaldosierungen von 6 bis 12 mg Morphin i.m. für aussagefähige Ergebnisse heranziehen. Ethisch nicht
vertretbar erscheint das Protokoll der Studie "Ketorolac versus Tramadol", bei dem Frauen nach abdominaler Hysterektomie in den ersten 24 Stunden
postoperativ jede Schmerzbehandlung verweigert wurde und die nachfolgende Applikation der Analgetika unter Verstoß gegen anerkannte algesiologische
Richtlinien erfolgte. "Daß Ärzte und Pflegepersonal in einer Missionsärztlichen Klinik bei einer solchen Quälerei mitmachen, mag ich nicht
glauben, daß ein solcher Vortrag öffentlich gehalten werden kann und anschließend noch in einer Werbeschrift abgedruckt wird, überschreitet
alle Grenzen ...".1
Trotz dieser Mängel und Verstöße gegen die Richtlinien klinischer Prüfungen akzeptierte das Bundesgesundheitsamt (BGA) diese Daten und
erteilte Ketorolac die Zulassung für eine Indikation, bei der nichtsteroidale Antirheumatika/Antiphlogistika (NSAR) nicht angewendet werden dürfen, vor
allem nicht in der parenteralen Anwendungsform, da sie in den ersten drei Tagen postoperativ Nierenversagen auslösen können. Das Amt war seit 1986
wiederholt auf Routine-Sitzungen zur Abwehr von Arzneimittelrisiken aufgefordert worden, postoperative Schmerzzustände als Kontraindikation für NSAR
durchzusetzen.
NSAR hemmen die Prostaglandinsynthese in den Nieren und heben damit die Autoregulation des renalen Blutflusses auf. Dadurch bleiben die Nieren gegen
vasokonstriktive Reize ungeschützt, wenn es infolge von Polytraumata oder Operationen zu Hypovolämie und/oder zu Streßreaktionen mit hohen
endogenen Katecholaminspiegeln kommt. Renale Ischämie mit tubulären Schäden, Papillenspitzennekrosen und Nierenversagen können die
Folge sein. Zwischen März 1990 und November 1992 erhielt die Firma Syntex Kenntnis von weltweit mindestens 103 Patienten mit Nierenschäden wie
Anurie, akutem bzw. irreversiblem Nierenversagen und akuter tubulärer Nekrose.2 57% der Betroffenen waren jünger als 65 Jahre, 14 verstarben
(vgl. Tabelle).
Unter Einbeziehung von über 90 bekanntgewordenen Todesfällen in Verbindung mit Ketorolac und unter Berücksichtigung einer Dunkelziffer
gehen wir nach dem jüngsten Datenstand von einer Häufigkeit von Zwischenfällen mit Letalausgang von 1:10.000 Anwendungen aus (vgl. a-t 2 [1993], 24). Mit Argumentationshilfen für Pharmareferenten, die diese weder kopieren noch dem Arzt
aushändigen dürfen, versucht Sanofi Winthrop Bedenken zu entkräften (vgl. a-t 3 [1993], 30)
siehe auch Seite 53 bzw. 54.
Kürzlich forderte das BGA die Firma auf, über die weltweit bekanntgewordenen Zwischenfälle nach Ketorolac (TORATEX) zu berichten. Die
Komplikationsdichte ist wahrscheinlich höher als bisher vermutet. Einschränkungen für die Anwendung bis zum Ruhen der Zulassung werden als
Konsequenzen der behördlichen Sicherheitsüberprüfung erwartet (ati d).
1 | JUNGCK, D.: "Algesiologische Stellungnahme zur TORATEX-Werbung",
Schmerztherapeutisches Kolloquium e.V., Vortrag 5. Dez. 1992, Berlin |
2 | Ketorolac Safety Report, Stand 4. Dez. 1992 |
|