Kodeinpräparate werden in zunehmendem Maße von Suchtkranken als Zusatz- oder Ersatzdroge gebraucht (a-t 6 [1993], 62). Innerhalb der Ärzteschaft gibt es eine Strömung, Kodeinpräparate ähnlich wie
Methadon zur Substitutionsbehandlung anzuwenden. Dabei wird so getan, als handele es sich bei Kodein um eine eigenständig wirksame Substanz... Kodein
wird zu 10% der aufgenommenen Stoffmenge im Organismus zu Morphin demethyliert. Auf dieser direkten Morphinwirkung beruht sowohl der analgetische Effekt des
Kodeins als auch die suchterzeugende und die suchtunterhaltende Wirkung des Stoffes. Suchtkranke gebrauchen durchaus mehr als 1000 mg Kodein pro Tag...
Wegen der Morphinwirkung wird Kodein in der Substitution von Morphin und Heroin gebraucht.
R. STEFFEN (Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie)
D-66740 Saarlouis
Fünf Studien an insgesamt fast 1.000 Patienten haben gezeigt, daß die Substitution mit Dihydrokodein (DHC) ebenso wirksam und sicher wie diejenige mit
Methadon ist, obgleich es wegen seiner kurzen Wirkungsdauer den Patienten mitgegeben werden muß (GRÜNER, J. F.: Sucht 1993, im Druck).
Erfahrungen aus dem Ausland sprechen dafür, daß die lückenlose Kontrolle der Methadoneinnahme, wie sie die deutsche
Betäubungsmittelverschreibungsordnung verlangt, bei vielen Patienten überflüssig und somit kontraindiziert ist. Dem tragen z.B. die
Landesärztekammern Hamburg und Westfalen-Lippe dadurch Rechnung, daß sie die DHC-Substitution unter bestimmten Bedingungen als kunstgerecht
anerkennen. Von "Gefälligkeitsverordnung" und "Kunstfehlern" kann also so pauschal wie im a-t 6 (1993), 62 nicht die Rede
sein.
Bedenklich ist deshalb weniger, daß über 50% der DHC-Konsumenten dieses über Rezept beziehen, als daß 40% sich damit auf dem
Schwarzmarkt versorgen müssen bzw. können. Ihr Anteil ließe sich reduzieren, wenn insgesamt großzügiger substituiert und anstelle von
Fertigpräparaten niederkonzentrierte DHC-Lösung, versetzt mit Fruchtsirup, verordnet würde. Diese ist nicht nur wesentlich billiger, sondern auch zur
i.v.-Injektion ungeeignet, wenig haltbar, leicht zu strecken und somit für potentielle Käufer unattraktiv. Höherkonzentrierte, z.B. 2,5%ige Lösung
in destilliertem Wasser, wie sie zeitweilig verwendet wurde, lädt dagegen zur i.v.-Injektion geradezu ein, ist auf dem Schwarzmarkt entsprechend beliebt und
scheint in Bayern für eine Reihe von Todesfällen verantwortlich zu sein (PENNIG, R.: Dtsch. Ärztebl. 90 [1993], B-387)... DHC hat im Vergleich zu
Kodein den Vorteil, daß seine Metabolite sich von denen des Heroins unterscheiden und deshalb die Einnahme bzw. Nichteinnahme beider unter der
Behandlung nachweisbar bleibt. Sein Entzugssyndrom ist nach der einzigen verfügbaren experimentellen Studie deutlich schwächer ausgeprägt als
dasjenige von Heroin bzw. Morphin (HIMMELSBACH, C. K.: J. Pharmacol. Exp. Ther. 71 [1941], 42). Der gegenteilige klinische Eindruck mag dadurch zustande
kommen, daß Ersatzstoffe höher dosiert und regelmäßiger eingenommen werden müssen als illegale Drogen, um diesen gegenüber
die Toleranz hoch und den 'Suchtdruck' gering zu halten.
J. F. GRÜNER (Arzt für Neurologie und Psychiatrie)
D-60596 Frankfurt
|