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Korrespondenz

FSME-PROPHYLAXE HINTERFRAGT

Seitens Prof. Dr. med. ROGGENDORF vom Institut für Virologie der Universitätsklinik Essen wird die FSME-Impfung in unserer Region wärmstens empfohlen. Wir impfen im Hinblick auf die unserer Meinung nach nicht unerhebliche Nebenwirkungsrate erst nach mehrfachen Zeckenbissen. Bitte informieren Sie uns über den derzeitigen Wissensstand.

H. MANGER (prakt. Arzt)
D-78467 Konstanz

Als langjähriger Leser des arznei-telegramm habe ich bisher die Ansicht vertreten, daß das Nebenwirkungsrisiko durch die FSME-Impfung höher ist als die Gefahr, durch einen Zeckenbiß einen bleibenden neurologischen Schaden davonzutragen. In der Publikation von ROGGENDORF (ellipse 11 : 2 [1994], 33) werden die Nebenwirkungen der aktiven FSME-Impfung relativiert: Der Nutzen der Impfung sei "mit Sicherheit größer ... als die nach der Impfung zu erwartenden UAW" ... Sehen Sie Gründe, Ihre bisher restriktive Haltung gegenüber der FSME-Impfung zu relativieren?

Dr. med. F. LENZ
D-79650 Schopfheim

Aufgrund einiger Artikel in der örtlichen und auch überregionalen Presse sowie aufgrund von Rundfunk- und Fernsehsendungen in Baden-Württemberg über die Gefahr einer möglichen Frühsommer-Meningoenzephalitis durch Zeckenbiß kam es in meiner Praxis zu einer großen Nachfrage nach der Zeckenimpfung. Rücksprachen beim hiesigen Gesundheitsamt sowie bei der Universitätsklinik Freiburg ergaben, daß man in diesem Jahr grundsätzlich eine Empfehlung zur Impfung geben würde, da sich die Zahl der durch Zecken verursachten Hirnhautentzündungen erheblich erhöht habe. Daraufhin impfte ich 40 Personen mit dem Impfstoff ENCEPUR der Firma Behring. Diese Personen wurden innerhalb von einer Woche geimpft.

20 Personen klagten über nicht unerhebliche Nebenwirkungen dieser Injektion, starkes Grippegefühl mit Fieber bis zu 39,5 ?C, Schüttelfrost und starken Kopfschmerzen. Die Symptomatik war bei allen Patienten etwa gleich und klang nach 1 bis 2 Tagen nach Gabe von Antipyretika (Parazetamol) folgenlos ab.

Dr. med. F. PABST
D-79189 Bad Krozingen

Der Schätzung von ROGGENDORF – 1 FSME-Impffolge mit neurologischer Symptomatik auf 1 Million verabreichte Impfdosen – liegt Datenreduktion zugrunde und keine systematische Erhebung der Impfschäden (vgl. a-t 4 [1994], 39): Es sind nur Meldungen berücksichtigt, deren Zusammenhang mit der Impfung von Gutachtern als "sicher oder wahrscheinlich" beurteilt wurde. Über 80% vorhandener Meldungen bleiben unbegutachtet und damit unberücksichtigt. Während man international von einer Dunkelziffer von zehn nichtberichteten Störwirkungen pro gemeldetem Ereignis ausgeht (10 : 1), kalkuliert ROGGENDORF eine unrealistische Dunkelziffer von 1 : 1. Auch die Berechnung der Störwirkungen pro Impfdosis und nicht pro geimpfter Person verbessert die Zahlenoptik bis um den Faktor drei (3 Impfungen pro Immunisierung). Unsere Schätzung von 1 ernstzunehmenden FSME-Impffolge auf 5.000 Impflinge (Arzneimittelkursbuch '92/93, S. 932) bleibt aktuell. Dem steht das von ROGGENDORF für Baden-Württemberg für 1992 berechnete Risiko einer FSME von 1 : 80.000 gegenüber.

Nach milden Wintern und in nachfolgenden heißen Sommern steigt erfahrungsgemäß die Zahl der Infektionen, da viele Zecken den Winter überleben und das schöne Wetter die Menschen ins Freie lockt.1 1994 wurden in Deutschland fast doppelt so viele FSME-Erkrankungen erfaßt (270) wie 1992 (142). Die gleiche Entwicklung findet sich in Österreich (1994: 178 Infektionen, 1992: 84),2 obwohl dort inzwischen zwei Drittel der Bevölkerung geimpft sein sollen (a-t 7 [1993], 65). Insofern findet die These von ROGGENDORF keine Bestätigung, daß die relativ geringe Zahl von FSME-Erkrankungen in Bayern auf die im Vergleich zu Baden-Württemberg höhere Impfbereitschaft der Bayern zurückzuführen sei.3 1994 wurden in Baden-Württemberg 210 FSME-Erkrankungen erfaßt, in Bayern 58 und im Saarland und in Hessen je 1. 2

Im NETZWERK DER GEGENSEITIGEN INFORMATION überblicken wir derzeit 176 Berichte in Verbindung mit FSME-Impfungen. 125 (71%) betreffen das Nervensystem: Kopfschmerzen (61 Berichte), Asthenie (20), Parästhesie (21), zerebraler Krampfanfall (15), Parese (13), Neuropathie (12), Meningismus (11), Enzephalitis (9), Sensibilitätsstörung (9), Meningitis (7) und Multiple Sklerose (6; a-t 3 [1995], 32) sowie Depression, Fazialisparese, Myelitis u.a. Im Bereich der Sinnesorgane (40 Meldungen [23%]) fallen Schwindel (17), Sehstörungen (12), Doppeltsehen (8) und Lichtscheu (7) auf, sowie Augenmuskellähmung, Retrobulbärneuritis und Beeinträchtigung des Riechens und Hörens. Jede dritte Meldung über Folgen einer FSME-Impfung gibt Fieber an, –Red.

1

KAISER, R.: Lancet 345 (1995), 463

2

KUNZ, C.: Vir. Ep. Inf. Nr. 7/95

3

ROGGENDORF, M., P. LENZ ellipse 11: 2 (1994), 33


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