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Im Blickpunkt

DER TRAUM VOM JUNGBRUNNEN –
MISSBRAUCH VON WACHSTUMSHORMON

Seit vor über zehn Jahren die gentechnische Erzeugung gelang, steht menschliches Wachstumshormon (Somatropin; HUMATROPE u.a.) praktisch unbegrenzt zur Verfügung. Der Bedarf für die zugelassenen Anwendungsgebiete – kleinwüchsige Kinder mit nachgewiesenem Wachstumshormonmangel und Mädchen mit ULLRICH-TURNER-Syndrom – ist relativ gering (vgl. a-t 4 [1993], 35). Das teure, mit hohem Kostenaufwand entwickelte Hormon "sucht nach einem Markt", wie ein britischer Endokrinologe kommentiert.1 Gesundheits-, aber auch Anklagebehörden verschiedener Industrieländer sehen sich mit der ausufernden Anwendung außerhalb zugelassener Indikationen konfrontiert.2,3,4 In Spanien etwa soll die Verschreibung bei 2.000 von 6.000 Patienten auf Fehldiagnosen beruhen.2 In Deutschland und den USA geraten Ärzte unter Verdacht, Somatropin gegen "Kopfgeld" kleinwüchsigen Kindern ohne Hormonmangel verordnet zu haben.4,5

Ob Kinder mit konstitutionellem Minderwuchs durch die Behandlung – Kosten pro Patient und Jahr 30.000 DM – eine höhere Endgröße erreichen, ist bisher nicht nachgewiesen.

Zahlungskräftigen und -willigen Erwachsenen wird das anabol und lipolytisch wirkende Somatropin als "Jungbrunnen" angeboten. Die endogene Ausschüttung des Hypophysenhormons sinkt mit dem Alter. Muskeln bilden sich zurück, und das Körperfett nimmt zu, zum Teil möglicherweise in Verbindung mit einem relativen Wachstumshormonmangel.6 In einer kleinen plazebokontrollierten Studie mit 21 Männern zwischen 61 und 81 Jahren nehmen innerhalb von 6 Monaten unter Verum Muskelmasse und Hautdicke um 9% bzw. 7% zu, während das Körperfett um 14% abgebaut wird.7 Unter Berufung auf die amerikanische Untersuchung heißt es in einem Schreiben, mit dem ein in Süddeutschland ansässiges "Zentrum für Gesundheit und Schönheit" um Klienten wirbt: "Die Alterserscheinungen" konnten bei vielen Patienten "um 10 bis 20 Jahre zurückgedreht werden".8 In den USA macht jetzt eine "El Dorado Rejuvenation and Longevity Company" Schlagzeilen. Sie soll den Handel mit einem in Frankreich produzierten HUMATROPE-Präparat organisieren, das amerikanische Ärzte Erwachsenen als "Verjüngungskur" für jährlich 20.000 DM verschreiben. Die Firma Lilly dementiert jede Beteiligung und vermutet Fälschung.9 Hierzulande sollen in Bodybuilder-Kreisen gefälschte wirkstofffreie "Wachstumshormon"-Präparate kursieren, z.T. unter der Bezeichnung "HUMATROPE 16".10

Der Annahme, das Hormon könne die Lebensqualität älterer Menschen verbessern, fehlt die wissenschaftliche Grundlage.6 In einer soeben publizierten US-amerikanischen Studie mit 56 gesunden über 70jährigen Männern haben drei Somatropin-Injektionen pro Woche über ein halbes Jahr keinen Einfluß auf Muskelkraft, körperliche Belastbarkeit, Geschicklichkeit und Stimmung. Störeffekte wie Schwellungen, Steifheit und Gelenkschmerzen sind aber häufig.11 Von Patienten mit Wachstumshormonüberschuß (Akromegalie) weiß man, daß der Botenstoff u.a. Glukoseintoleranz und Diabetes mellitus, Bluthochdruck und Herzinsuffizienz verursachen kann. Erkenntnisse über die langfristigen Folgen der exogenen Zufuhr bei gesunden Erwachsenen fehlen.12 Schließlich bleibt der Verdacht, das die Zellteilung anregende Somatropin könne Krebsentwicklung fördern (vgl a-t 9 [1992], 94).6

FAZIT: Nur kleinwüchsige Kinder mit nachgewiesenem Hormonmangel profitieren bei zeitgerechter Anwendung von der Behandlung mit Wachstumshormon (Somatropin; HUMATROPE u.a.). Anabole Eigenschaften des heute gentechnisch hergestellten Mittels verführen offenbar zum Mißbrauch als "Jungbrunnenhormon". Dürftigen Effekten bei gesunden älteren Menschen stehen hohe Kosten und unüberschaubare langfristige Risiken gegenüber.


© 1996 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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