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NEUE "ATYPISCHE" NEUROLEPTIKA:
Olanzapin (ZYPREXA)/Sertindol (SERDOLECT)

Sogenannte atypische Neuroleptika sollen bei geringer Rate extrapyramidaler Symptome gut antipsychotisch wirken, und zwar auch bei Patienten, die auf Standardtherapie nicht hinreichend ansprechen. Der wichtigste Vertreter Clozapin (LEPONEX) ist wegen der Gefahr der Agranulozytose/Granulozytopenie bei 1% bis 2% der Anwender (a-t 2 [1992], 24) Mittel der Reserve. Das 1994 als "atypisch" eingeführte Risperidon (RISPERDAL, a-t 5 [1994], 42) unterscheidet sich dagegen praktisch nicht von herkömmlichen Wirkstoffen. Wie werden das mit Clozapin chemisch eng verwandte, seit einem Jahr erhältliche Olanzapin (ZYPREXA) und das seit August angebotene Sertindol (SERDOLECT) dem Anspruch gerecht?

Zwei Hypothesen sollen die niedrigere Rate extrapyramidaler Störwirkungen unter "atypischen" Neuroleptika erklären: Zum einen soll die bevorzugte Hemmung mesolimbischer dopaminerger Neurone vor Bewegungsstörungen schützen. Klassische Neuroleptika blockieren auch im nigrostriatalen System Dopaminrezeptoren. Selektive limbische Effekte werden besonders für Sertindol beansprucht. Zum anderen wird die im Vergleich zum Dopamin-D2-Antagonismus größere Serotonin-HT2-Rezeptor-Blockade für die "atypische" Wirkung verantwortlich gemacht.1,2

KLINISCHER NUTZEN: Zwei sechswöchige Studien, in denen Olanzapin mit Haloperidol (HALDOL u.a.) verglichen wird, liegen veröffentlicht vor, darunter eine mit knapp 2.000 Teilnehmern. Demnach unterdrücken Tagesdosierungen zwischen 5 mg und 20 mg Olanzapin Plussymptome wie Halluzinationen ebenso gut wie Haloperidol, wirken jedoch besser auf Minussymptome wie Rückzug oder Apathie.3,4 Der Einfluss auf negative Symptome ist allerdings in keiner der Studien primärer Endpunkt. Das Vergleichspräparat Haloperidol kann zudem Depressionen auslösen, die Minussymptome vortäuschen können.5 Nach den Zwischenergebnissen einer für ein Jahr angelegten Studie nimmt die antipsychotische Wirksamkeit von Olanzapin zwischen 1 mg und 17,5 mg dosisabhängig zu. Wirkvorteile gegenüber Haloperidol ergeben sich nicht, auch nicht hinsichtlich Minussymptomen.6 Veröffentlichte Langzeiterfahrungen und ein direkter Vergleich mit Clozapin z.B. bei therapierefraktären Psychosen fehlen.

Noch spärlicher sind die publizierten Daten zu Sertindol: Es findet sich lediglich eine (plazebokontrollierte) Vergleichsstudie mit Haloperidol. Bei knapp 500 Patienten wirken Tagesdosierungen von 12 mg, 20 mg und 24 mg Sertindol ähnlich gut antipsychotisch wie 4 mg, 8 mg und 16 mg des Standardpräparates. Minussymptome werden im 20-mg-Studienarm deutlich besser beeinflusst als im Plazeboarm, ein signifikanter Unterschied zu Haloperidol fehlt jedoch.2 Klinische Belege für eine "atypische" Wirksamkeit von Sertindol stehen demnach aus.

STÖRWIRKUNGEN: 19% der in der größeren klinischen Studie mit Olanzapin Behandelten erleiden mindestens eine akute extrapyramidale Bewegungsstörung (EPS), im Vergleich zu 45% unter Haloperidol.4 Mit zunehmender Olanzapin-Dosis nehmen auch EPS zu.7 Die EPS-Rate unter Sertindol soll sich nach der einzigen publizierten Studie nicht von der unter Scheinmedikament unterscheiden (13% bis 24%, Plazebo: 27%, Haloperidol: 44% bis 56%).2 Zweifel sind angebracht, ob sich diese vor allem mit schwer chronisch kranken Patienten gewonnenen Ergebnisse auf jüngere, weniger schwer erkrankte Anwender, die besonders empfindlich für EPS sind, übertragen lassen.8

Ob schwer beeinflussbare späte Dyskinesien unter den Neuerungen ebenfalls seltener vorkommen, bleibt zu klären. Die amerikanische Produktinformation für Olanzapin gibt ihre Rate mit 1% an (herkömmliche Neuroleptika: 15% bis 20%).9,10

In Verbindung mit Olanzapin fallen häufig Schläfrigkeit (26%), Mundtrockenheit (7%), gesteigerter Appetit (2%) und Gewichtszunahme (6%) um durchschnittlich 5 1/2 kg11 auf. Wegen der Gefahr des orthostatischen Blutdruckabfalls besonders zu Behandlungsbeginn empfiehlt es sich, einschleichend zu dosieren. Leberschädigung mit mindestens dreifach erhöhter GPT trifft 2% der Anwender.9 Das Risiko scheint mit höheren Dosierungen zuzunehmen. Etwa 1% brechen in klinischen Studien wegen Transaminasenanstieg die Einnahme ab.7 Die Leberenzyme sollen trotz fortgesetzter Therapie häufig sinken.5

Sertindol löst oft Schlafstörungen (bis 53%), Kopfschmerzen (bis 33%), verstopfte Nase (29%), vermindertes Ejakulat (11%) und orthostatischen Blutdruckabfall (4%, einschleichend dosieren), Benommenheit, Mundtrockenheit, Gewichtszunahme, periphere Ödeme, Dyspnoe und Parästhesien aus.7,11,12

LEBENSBEDROHLICHE RISIKEN: Wie aus "vertraulichen" Informationen des Herstellers an klinische Prüfer hervorgeht, gleicht Olanzapin in präklinischen tierexperimentellen Untersuchungen zur Auslösung immunogener Erkrankungen und Knochenmarkschäden weitgehend Clozapin. Agranulozytosen wurden in klinischen Prüfungen nicht beobachtet. Bislang sind jedoch in Studien nicht mehr als 1.000 Patienten länger als drei Monate behandelt worden.7 Seit der Zulassung werden in Europa siebenmal Veränderungen des roten Blutbildes und acht Leukopenien, sechs Granulozytopenien, je eine Eosinophilie, Neutropenie und Agranulozytose berichtet.13 Die Formulierung der Fachinformation "gelegentlich asymptomatische Blutbildveränderung"14 bedarf dringend der Revision. Unseres Erachtens ist das Blutbild beim derzeitigen Kenntnisstand wie unter Clozapin zunächst wöchentlich, später in vierwöchigem Abstand zu kontrollieren.

Sertindol verlängert das QT-Intervall im EKG. Bei über 1% der Anwender beträgt die Dauer mehr als 500 msec15, was mit deutlich erhöhter Arrhythmiegefahr einhergeht. Bis Juni 1996 starben 27 von den 2.200 in klinischen Studien mit Sertindol behandelten Patienten, davon 16 aus kardiovaskulärer Ursache. Bei 13 von ihnen wird ein plötzlicher Tod vermutet. In den USA riet der Direktor der FDA-Abteilung für kardiovaskuläre und renale Arzneimittel dringend von der Zulassung des seiner Ansicht nach gefährlichen Neuroleptikums ab.16 Aufgrund von Sicherheitsbedenken mehrerer EU-Mitgliedsstaaten hat der Hersteller Lundbeck im vergangenen Jahr die Produktinformation verschärft.17 Nicht nur Patienten mit QT-Verlängerung in der Vorgeschichte, sondern auch solche mit kardiovaskulären Störungen, Bradykardie, Hypokaliämie oder Hypomagnesiämie und schwerer Leberfunktionsstörung dürfen kein Sertindol einnehmen. Zusätzlich zu einem EKG vor Behandlungsbeginn müssen Anwender regelmäßig elektrokardiographisch überwacht werden. Überschreitet das QT-Intervall 520 msec., ist das Mittel sofort abzusetzen. Sertindol darf nicht gleichzeitig mit anderen QT-verlängernden Wirkstoffen wie Terfenadin (TELDANE u.a.) eingenommen werden (a-t 6 [1996], 60).15

KOSTEN: Bei einer Tagesdosis von 10 mg wird Olanzapin mit monatlichen Kosten von 402 DM zum Acht- bis Zehnfachen des Haloperidol-Preises (monatlich 40 bis 50 DM für täglich 10 mg) angeboten. Nochmals 7 % mehr kostet Sertindol (monatlich 430 DM für täglich 20 mg). Für die beiden neuen atypischen Neuroleptika muss knapp doppelt so viel aufgewendet werden wie für Clozapin (monatlich 234 DM für täglich 300 mg).

FAZIT: Die neuen als "atypisch" angebotenen Neuroleptika Olanzapin (ZYPREXA) und Sertindol (SERDOLECT) unterdrücken psychotische Plussymptome wie Halluzinationen ebenso wie Haloperidol (HALDOL u.a.). Wie von einer Clozapin (LEPONEX)-Variante zu erwarten, scheint Olanzapin günstiger als Haloperidol auf Minussymptome wie Apathie zu wirken. Eigens für den Einfluss auf Negativsymptome angelegte Studien fehlen jedoch für beide Neuerungen. Extrapyramidale Bewegungsstörungen kommen deutlich seltener vor als unter herkömmlichen Neuroleptika.

Olanzapin und Clozapin scheinen nicht nur hinsichtlich der Wirksamkeit, sondern auch hinsichtlich Störwirkungen wie Agranulozytose und Immunerkrankungen gleich einzuschätzen zu sein. Fehlende Vergleichsstudien mit Clozapin, insbesondere bei Therapieversagern, und die hohen Kosten bis zum Zehnfachen von Haloperidol stehen dem Gebrauch von Olanzapin außerhalb klinischer Studien entgegen.

Ob es sich bei Sertindol um ein „atypisches” Neuroleptikum handelt, bleibt offen. Das Mittel verlängert das QT-Intervall im EKG mit der Gefahr von Herzrhythmusstörungen. In klinischen Prüfungen starben bis Juni 1996 27 (1%) von 2.200 Patienten, darunter 16 aus kardiovaskulärer Ursache. Wir sehen beim derzeitigen Kenntnisstand keine Indikation für das riskante Arzneimittel.


© 1997 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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