Bluthochdruck ist mit bis zu 9% die häufigste Komplikation in der Schwangerschaft. Als erhöht gelten Werte ab 140/90 mm Hg, als schwere
Hypertonie ein diastolischer Druck von 110 mm Hg und darüber. 1% bis 2% der Frauen leiden schon vor der Schwangerschaft oder der 20. Woche und auch
nach der Entbindung an Bluthochdruck, der daher als "chronisch" bezeichnet wird. Die eigentliche Schwangerschaftshypertonie (Spätgestose) setzt
in der Regel nach der 20. Woche ein und bildet sich nach der Geburt des Kindes zurück. 4% bis 5% der Schwangeren sind betroffen. Eine weitere spezifische
Erkrankung der zweiten Schwangerschaftshälfte ist die durch Hochdruck und Proteinurie gekennzeichnete Präeklampsie, an der etwa 2% leiden, vor
allem Erstgebärende.1
Solange der Hochdruck mild bis mäßig bleibt (RR unter 160/110 mm Hg), sind Mutter und Kind wenig gefährdet.2,3 Frauen mit chronischer
Hypertonie tragen aber ein erhöhtes Präeklampsierisiko (Pfropfgestose).3,4 Der Schwangerschaftshochdruck kann erstes Zeichen dieser mitunter
lebensbedrohlichen systemischen Gefäßerkrankung sein.3 Eine Schwangere mit Präeklampsie ist durch Hirnblutung, Krampfanfälle
(Eklampsie), Lungenödem, Gerinnungsstörung, Leber- oder Niereninsuffizienz gefährdet. Die einzige kausale Therapie ist die Entbindung. Beim Feten
können aus einer Plazentainsuffizienz Sauerstoffmangel und Wachstumsstörung resultieren. Das Risiko von Plazentalösung und Frühgeburt ist
erhöht.
NICHTMEDIKAMENTÖSE MASSNAHMEN: Schwangere mit Bluthochdruck sollen sich schonen. Strenge Bettruhe ist selten erforderlich.2
Sie hat keinen günstigen Einfluss auf den Verlauf einer Präeklampsie.1,3 Salzarme Kost ist nicht zu empfehlen. Salzentzug senkt das
Plasmavolumen, das bei hypertonen Schwangeren ohnehin erniedrigt ist.2,4 Auch von kalorienarmen Diäten zur Gewichtsabnahme wird in der
Schwangerschaft abgeraten. Frauen mit Präeklampsie sollen stationär betreut werden.1
INDIKATION UND ZIEL MEDIKAMENTÖSER THERAPIE: Ob Schwangere mit mildem Hochdruck von einer Arzneitherapie profitieren, bleibt
offen.4 Ein amerikanischer Konsensusreport empfahl 1990, ab einem diastolischen Druck von 100 mm Hg zu behandeln.2 Andere Autoren halten
Antihypertensiva erst bei 105 bis 110 mm Hg diastolisch für angezeigt.5 Um die Blutversorgung der fetouterinen Einheit nicht zu gefährden, darf
der Druck nicht zu stark gesenkt werden. Bei Präeklampsie wären diastolische Werte um 100 mm Hg anzustreben.1 Bei Frauen mit
Nierenerkrankung oder linksventrikulärer Hypertrophie sind Werte über 90 bis 95 mm Hg zu meiden.1,5
Die Behandlung soll Organkomplikationen wie Hirnblutung bei der Mutter verhindern. Das Therapieziel leitet sich aus der Hochdruckbehandlung in der
Allgemeinbevölkerung ab sowie aus retrospektiven Studien mit schwangeren Frauen.4,5 Es gibt keine hinreichenden Belege dafür, dass die
verfügbaren Antihypertensiva die Blutversorgung der Frucht und das fetale Wachstum günstig beeinflussen, eine Präeklampsie verhindern, der
Verschlechterung einer Präeklampsie oder Frühgeburten vorbeugen können.1
AUSWAHL DER HOCHDRUCKMITTEL: Die meisten Erfahrungen und randomisierten Studien zur chronischen Hypertonie Schwangerer liegen mit dem - in
der allgemeinen Hochdruckbehandlung nur noch wenig verwendeten - zentralen Alphablocker Methyldopa (PRESINOL u.a.) vor.4
Fruchtschädigende Effekte sind nicht beschrieben. Methyldopa ist das einzige Hochdruckmittel, dessen potentielle Langzeitfolgen für die Kinder in Studien
untersucht wurden. Bis zum Alter von sieben Jahren finden sich keine unerwünschten Auswirkungen.5,10
Jedoch leiden Anwenderinnen von Methyldopa häufig unter Müdigkeit, Schwindel und Mundtrockenheit. Bei Depression in der Vorgeschichte ist das
Mittel zu meiden.1 Mit bedrohlichen immunogen bedingten Störwirkungen wie hämolytischer Anämie, Hepatitis, Vaskulitis und Lupus-erythematodes-
ähnlichen Erkrankungen ist zu rechnen. Der direkte COOMBS-Test fällt bei 20% der Anwender positiv aus. Methyldopa gilt besonders in
englischsprachigen Ländern dennoch nach wie vor als Mittel der Wahl bei chronischer Hypertonie Schwangerer oder zur langfristigen Behandlung bei
Präeklampsie.5
Große Verbreitung in der Hochdrucktherapie Schwangerer besitzen Betarezeptorenblocker. Teratogene Wirkungen beim Menschen sind nicht
beschrieben.1 Beim Neugeborenen kann die Behandlung der Mutter Bradykardie, Blutdruckabfall, Hypoglykämie und Atemdepression auslösen.
Geburtshelfer und Pädiater sollen über die Medikation informiert sein.10 Das Kind ist engmaschig zu überwachen.
International werden unterschiedliche Betablocker bevorzugt. Es ist aber bisher nicht erwiesen, ob bestimmte Wirkstoffe oder Wirkstoffgruppen tatsächlich
Vorteile haben. In deutschen Lehrbüchern werden Beta1-selektive Rezeptorenblocker empfohlen. Durch Studien lässt sich diese Präferenz nicht
eindeutig begründen. Das relativ kardioselektive Atenolol (TENORMIN u.a.) mindert im Vergleich zum nichtselektiven Pindolol (VISKEN u.a.)
die uteroplazentare Durchblutung.7 Ab dem zweiten Trimenon eingenommen, sinkt das Gewicht der Neugeborenen im Vergleich zu Plazebo.8
Metoprolol (BELOC u.a.) und Atenolol dämpfen die fetale Herzfrequenz.9 Im Vergleich mit dem Kalziumantagonisten Nicardipin (ANTAGONIL)
nimmt unter Metoprolol die Perfusion der fetouterinen Einheit ab. Die Zahl der Kaiserschnittentbindungen steigt wegen fetalem Distress.10 Einer unserer
Berater merkt jedoch an, dass Metoprolol in der Praxis viel verordnet wird, ohne dass sich etwa aus Einzelberichten oder Meldungen an das europäische
Netzwerk teratologischer Beratungszentren (ENTIS) Hinweise auf schwerwiegende nachteilige Effekte ergeben.18 Vorsicht scheint aber angebracht, wenn
Wachstumsverzögerung des Feten zu befürchten ist wie bei Präeklampsie, sowie bei langfristigem Gebrauch in der Schwangerschaft.1
Von Atenolol wird abgeraten.5 Dies gilt auch für Propranolol (DOCITON u.a.). Der nicht selektive Betablocker wird unter anderem mit
niedrigem Geburtsgewicht und erhöhter perinataler Sterblichkeit in Verbindung gebracht.5
Ein skandinavischer Workshop empfiehlt den nicht selektiven Betablocker Pindolol, der wegen intrinsischer stimulierender Aktivität (ISA) Herzfrequenz
und Schlagvolumen weniger dämpfen soll.1 Der hierzulande wenig gebräuchliche Blocker scheint nach bisherigen Erkenntnissen den Fetus nicht
ungünstig zu beeinflussen. Es fehlen aber größere Studien mit Pindolol sowie Daten zum langfristigen Gebrauch in der Schwangerschaft.
In englischsprachigen und nordischen Ländern wird auch der in Deutschland nicht mehr erhältliche Alpha- und Betarezeptorenblocker Labetalol
(Schweiz: TRANDATE) empfohlen. Nach Einnahme bei chronischer Hypertonie ab Ende des ersten Trimenon ergibt sich kein Unterschied zu Methyldopa. Nach
Anwendung bei Präeklampsie findet sich jedoch in einer Untersuchung ein reduziertes Gewicht der Neugeborenen gegenüber der Kontrollgruppe, die nur
stationär aufgenommen wird.5
Dihydralazin (NEPRESOL u.a.), in anderen Ländern auch Hydralazin (in TREPRESS), dient hauptsächlich zur parenteralen
Akutbehandlung ausgeprägter Hypertonie in der Schwangerschaft, besonders bei Präeklampsie.5 Aufgrund der umfangreichen Erfahrungen
gelten diese Vasodilatatoren dabei nach wie vor als Mittel der Wahl. Um starken Blutdruckabfall mit Verschlechterung der uteroplazentaren Durchblutung zu
vermeiden, ist sehr langsam bzw. perfusorgesteuert zu dosieren. Wegen mutagener Effekte soll (Di-) Hydralazin nicht im ersten Trimenon verwendet werden. Anhalt
für teratogene Effekte beim Menschen bei Einnahme von Dihydralazin während der Organogenese gibt es nicht.10 Die längerfristige
Einnahme per os ist heute für Schwangere wegen häufiger Störeffekte weniger gebräuchlich. Kopfschmerzen und Erbrechen können
drohende Eklampsie imitieren.3,5 In früheren Untersuchungen beobachtete Zunahme der Durchblutung von Gebärmutter und Plazenta unter
Dihydralazin ließ sich später nicht bestätigen.10
Kalziumantagonisten eignen sich wegen teratogener Effekte im Tierversuch und unzureichender Dokumentation beim Menschen nicht für das erste
Schwangerschaftsdrittel.1,10 Zu den am besten untersuchten gehört Nifedipin (ADALAT u.a.). Die uteroplazentare Durchblutung scheint der
Kalziumantagonist nicht zu dämpfen.5 In der Akutbehandlung schwerer Hypertonie schneidet nicht retardiertes Nifedipin in mehreren Studien
ähnlich ab wie (Di-) Hydralazin parenteral.4,12,13 Wegen schlechter Steuerbarkeit des Blutdruckabfalls mit unter Umständen lebensbedrohlichen
kardiovaskulären Folgen werden Nifedipin-Kapseln bei Hochdruckkrisen jedoch nicht mehr empfohlen (vgl. a-t 10
[1995], 97).14 Bei längerfristigem Gebrauch von Dihydropyridinen sollen Retardformen verwendet werden. Vorsicht ist geboten bei Frauen mit
Präeklampsie, die zur Prophylaxe von Krämpfen Magnesium bekommen: Gleichzeitige Einnahme von Kalziumantagonisten kann starken Blutdruckabfall
provozieren1 (auch Obstipation bis zum Ileus). Langzeitdaten zur Behandlung chronischer Hypertonie mit retardiertem Nifedipin fehlen.5 Nicht zuletzt wegen
des Verdachts auf Kanzerogenität (a-t 12 [1997], 128) erachten wir Kalziumantagonisten auch in der
Schwangerschaft als Reservemittel.
UMSTRITTENE UND KONTRAINDIZIERTE MITTEL: Diuretika wirken nicht teratogen.1 Theoretische Bedenken - die Minderung des
Plasma-Volumens - sprechen gegen ihre Anwendung. Eine Metaanalyse randomisierter Studien mit insgesamt mehr als 7.000 Frauen erbrachte vor zehn Jahren
keine nachteiligen Auswirkungen auf die Feten.2 Aktuelle Daten fehlen.1 Wenn der Blutdruck bei chronischer Hypertonie vor der Schwangerschaft
mit Diuretika gut eingestellt ist, kann die Medikation beibehalten werden.4,5 Für Neueinstellung während der Gravidität gibt es selten
Gründe (z.B. Lungenödem). Bei Präeklampsie und intrauteriner Wachstumsverzögerung gelten Diuretika als kontraindiziert.
Wegen Oligohydramnion, Nierenversagen beim Neugeborenen und kongenitaler Missbildungen verbieten sich ACE-Hemmer in der
Schwangerschaft.4 Frauen, die unter der Einnahme schwanger werden, sollen unverzüglich auf andere Hochdruckmittel umgestellt werden. Aufgrund
der Erfahrungen mit ACE-Hemmern gelten auch Angiotensin-II-Antagonisten als kontraindiziert.5 Die Datenlage zu
Alpharezeptorenblockern reicht für Empfehlungen bislang nicht aus.
Nach kleineren Studien und Metaanalysen wurde Kalzium (CALCIUM SANDOZ u.a.) per os zur Vorbeugung einer Präeklampsie propagiert. In einer
randomisierten klinischen Untersuchung mit über 4.500 gesunden Erstgebärenden schützen täglich 2 g Kalzium aber weder vor
Schwangerschaftshochdruck noch vor Präeklampsie oder geburtshilflichen Komplikationen.17 Auch die Prophylaxe mit Azetylsalizylsäure
(ASPIRIN u.a.) versagt in zwei großen randomisierten Studien (vgl. a-t 9 [1993], 90).4
Magnesium per os (MAGNESIUM VERLA u.a.) lässt sich zum Schutz vor Präeklampsie ebenfalls nicht empfehlen (a-t 6 [1991], 51).1 Bei manifester Eklampsie dient aber Magnesiumsulfat (MG 5-SULFAT u.a.) parenteral der
peripheren Dämpfung von Krampfanfällen (a-t 6 [1995], 57).
FAZIT: In der Hochdruckbehandlung Schwangerer werden zwei ansonsten wenig gebräuchliche Altarzneimittel bevorzugt: Methyldopa (PRESINOL u.a.)
per os zur langfristigen und Dihydralazin (NEPRESOL u.a.) i.v. zur akuten Therapie. Das im Hinblick auf die fetale Entwicklung bewährte Methyldopa hat den
Nachteil häufiger und - wenn auch selten - unter Umständen bedrohlicher Störwirkungen für die Mutter. Zu den für die Schwangere
verträglicheren Betablockern liegen widersprüchliche Empfehlungen vor. Daten zum Einfluss auf die uteroplazentare Durchblutung und die fetale
Entwicklung sind uneinheitlich oder fehlen. Kurzfristiger Gebrauch von Metoprolol (BELOC u.a.) scheint sicher. Eine skandinavische Arbeitsgruppe empfiehlt Pindolol
(VISKEN u.a.). Von Atenolol (TENORMIN u.a.) wird abgeraten. Für die langfristige Anwendung bei chronischer Hypertonie kommt als Reserve nach
Methyldopa auch der relativ gut untersuchte Alpha- und Betablocker Labetalol (Schweiz: TRANDATE) in Betracht. Eine teratogene Wirkung ist bisher bei keinem
der heute gebräuchlichen Antihypertensiva nachgewiesen worden, so dass die versehentliche Einnahme keine Indikation zum Schwangerschaftsabbruch
darstellt.
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