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Korrespondenz

OP UNTER ASS:
DESMOPRESSIN (MINIRIN) ZUR BLUTUNGSPROPHYLAXE?

Vor einiger Zeit las ich eine Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift ... über die Möglichkeit, Azetylsalizylsäure (ASS; ASPIRIN u.a.)-induzierte Blutungen mittels Desmopressin (MINIRIN) antagonisieren zu können... Diese o.g. Tatsache wurde in dieser Arbeit als absolutes Basiswissen dargestellt. Es war sogar von Kunstfehler die Rede, wenn MINIRIN bei entsprechender Problematik nicht eingesetzt würde... Kann Desmopressin prophylaktisch vor invasiver Diagnostik oder Therapie gegeben werden, ohne die übliche ASS-Karenz von fünf bis sieben Tagen einzuhalten? ...

Dr. med. J. NISBLÉ (Facharzt für Urologie)
D-29439 Lüchow

Bei Desmopressin (MINIRIN) handelt es sich um einen synthetischen Abkömmling des antidiuretischen Hormons (Vasopressin). Wie Vasopressin steigert Desmopressin bei Gesunden und Patienten mit milder Hämophilie A oder VON-WILLEBRAND-Syndrom die Konzentration der Gerinnungsfaktoren VIII und VON-WILLEBRAND-Faktor im Blut (vgl. a-t 1 [1978], 1).1 Die parenterale Zubereitung wird zur Blutungsprophylaxe bei bestimmten Formen dieser Gerinnungsstörungen angeboten.

Das Hormonderivat kann auch der durch Thrombozytenaggregationshemmer wie Azetylsalizylsäure (ASS; ASPIRIN u.a.) oder durch Heparin (LIQUEMIN u.a.) verlängerten Blutungszeit entgegenwirken.1 Der Wirkmechanismus ist unklar. Hersteller Ferring will die Zulassung bei Thrombozytendysfunktion beantragen. Eine höher konzentrierte Nasenzubereitung (OCTOSTIM [Schweiz]) als die bisher verfügbare ist ebenfalls für das Anwendungsgebiet vorgesehen.2

Zur Blutungsprophylaxe bei Operation innerhalb weniger Tage nach Einnahme von ASS liegen drei randomisierte plazebokontrollierte Studien mit insgesamt 149 Patienten und Bypass-OP vor.3-5 Unterschiede in den Studienendpunkten erschweren eine vergleichende Bewertung. In zwei Untersuchungen mindern Infusionen mit 0,3 µg/kg bzw. 10 µg/m2 Desmopressin den durchschnittlichen peri- und postoperativen Blutverlust gegenüber Plazebo deutlich, nicht aber die mittlere Zahl der verwendeten Erythrozyten- und Plättchenkonzentrate sowie der Frischplasmainfusionen3 bzw. das Gesamtvolumen transfundierter Blutprodukte.4 Die dritte Untersuchung misst nur den postoperativen Blutverlust und lässt keinen deutlichen Unterschied zwischen den Vergleichsgruppen erkennen. Die Zahl der Vollbluttransfusionen nimmt unter dem Prüfpräparat aber ab,5 andere Blutprodukte bleiben unerwähnt. In einer weiteren nicht randomisierten Untersuchung mit Desmopressin bei Bypass-Operation findet sich auch in der Untergruppe der ASS- oder NSAR-Anwender kein Vorteil hinsichtlich Blutungen oder Transfusionsbedarf.6 Eine kleine, nicht randomisierte kontrollierte Studie deutet auf einen Nutzen von Desmopressin zur Vorbeugung ASS-bedingter Blutungen bei Cholezystektomie.7

Desmopressin kann Kopfschmerzen, Übelkeit und Flush-Phänomene auslösen. In einer Studie erleiden 6 von 19 Patienten eine behandlungsbedürftige arterielle Hypotonie.5 Einzelberichte zu thrombotischen Ereignissen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall lassen einen klaren zeitlichen Zusammenhang mit der Anwendung von Desmopressin erkennen.8 Die Auswertung kontrollierter Studien ergab 1993 ein höheres, aber nicht signifikant erhöhtes Risiko gegenüber Plazebo (3,4% vs. 2,7%).9 Aus der Behandlung der Enuresis mit Desmopressin sind Wasserintoxikation und Hyponatriämie mit Krampfanfällen bekannt. Hyponatriämie ist vereinzelt auch nach parenteraler Anwendung zur Blutungsprophylaxe beschrieben.10

FAZIT: Die Vasopressin-Variante Desmopressin (MINIRIN) scheint eine z.B. durch Thrombozytenaggregationshemmer wie Azetylsalizylsäure (ASS; ASPIRIN u.a.) verlängerte Blutungszeit zu verkürzen. Randomisierte Studien zur Prophylaxe von Blutungen nach chirurgischen Eingriffen unter ASS-Anwendung liegen nur zu koronaren Bypass-Operationen vor. Einen klaren Nutzen lassen die bisherigen Daten nicht erkennen.

Bei elektiven Eingriffen bleibt rechtzeitiges Absetzen von ASS oder Verschieben der Operation Vorgehen der Wahl. Zur Einschätzung der Nutzen/Risiko-Bilanz einer Prophylaxe mit Desmopressin sind weitere gut angelegte Studien erforderlich.1


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