Mit Vorschusslorbeeren der Laienpresse wie "Fett-Weg-Pille"1 kommt das Roche-Produkt Orlistat (XENICAL) auf den Markt, ein
Enzymhemmer gegen Übergewicht. Für ein weiteres Antiadipositum, das appetithemmende Antidepressivum Sibutramin (REDUCTIL), erwartet die BASF-
Tochter Knoll demnächst die Zulassung. Beide Produkte sollen die Lücke füllen, die durch Marktrücknahme von Fenfluramin (PONDERAX) und
Dexfenfluramin (ISOMERIDE) wegen lebensbedrohlicher Herzklappenschäden entstanden ist (a-t 12 [1997],
127).
ORLISTAT (XENICAL): Die Idee, zum Abnehmen in die Verdauung einzugreifen, ist nicht neu. Schon 1982 wurden fälschlich als Lebensmittel
bezeichnete alpha-Amylaseblocker (KALBLOCKER u.a.) vom Markt genommen. Sie sollten die Verdauung von Stärke verhindern. Der Nutzen blieb unbelegt
(a-t 11 [1982], 100).2 Auch Acarbose (GLUCOBAY) ist ein Enzymhemmer. Dieser soll die Aufnahme von Glukose bremsen, wie bekannt, ohne relevanten
Einfluss auf das Körpergewicht.
Orlistat greift am Fett an. Es hemmt gastrointestinale Lipasen und blockiert die Aufnahme von etwa 30% des zugeführten Fettes (a-t 9 [1997], 98).3,6 Im plazebokontrollierten klinischen Vergleich mit 688 Patienten unter
hypokalorischer Diät haben diejenigen, die dreimal täglich 120 mg Orlistat einnehmen, nach einem Jahr 4 kg mehr abgenommen als Personen der
Plazebogruppe (10 kg versus 6 kg). Wird Orlistat ein weiteres Jahr unter weniger strikter Diät eingenommen, steigt das Körpergewicht wieder um
durchschnittlich 2 kg. Wird Orlistat jedoch abgesetzt, nimmt das Gewicht unter der gelockerten Diät innerhalb des Jahreszeitraumes um 4 kg zu (Abbildung).
Eine geringe Abnahme des Gesamt- und LDL-Cholesterins ist beschrieben.4
Die Störwirkungen sind um so ausgeprägter, je mehr Fett die Nahrung enthält. Wie beim unverdaulichen Fettersatz OLESTRA (a-t 9 [1997], 98) beruhen sie auf dem Wirkprinzip: fettige (bis 31%) und flüssige Stühle (bis 13%),
Defäkationsdrang (22%), Blähungen mit Stuhlabgang (24%) und Stuhlinkontinenz (8%).4,7 Bis 6% der Anwender verspüren
Kopfschmerzen.4 Durch Einnahme von Multivitaminpräparaten mindestens zwei Stunden nach Orlistat soll einem Verlust fettlöslicher Vitamine
vorgebeugt werden.7
In den USA steht die Zulassung aus, da in klinischen Studien unter Orlistat mehr Frauen an Brustkrebs erkrankten (12 versus 2;7 vgl. a-t 9 [1997], 98).3,5 Die in Fragen des Patientenschutz untätige europäische Zulassungsbehörde
(vgl. a-t 9 [1997], 93) setzt sich über warnende Minderheitsvoten hinweg.7 In der
Gebrauchsinformation7,8 fehlt ein Hinweis auf den Brustkrebsverdacht, nicht aber in Neuseeland, wo das Mittel bereits seit Jahresmitte erhältlich
ist.9
Mit 198 DM für die Vierwochenpackung (84 Kapseln) kostet XENICAL bei dreimal täglicher Einnahme 2.500 DM im Jahr.
SIBUTRAMIN (REDUCTIL): Der in den USA bereits seit Anfang 1998 als MERIDIA erhältliche Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
Sibutramin (außerhalb der USA: REDUCTIL) war zunächst als Antidepressivum vorgesehen. Wegen geringer antidepressiver Effektivität und
besserer Marktchancen wird er jetzt als Mittel gegen Übergewicht profiliert.10,11 Auch für andere Antidepressiva wie den selektiven Serotonin-
Wiederaufnahmehemmer Fluoxetin (FLUCTIN) sind appetithemmende Effekte beschrieben (a-t 4 [1990],
40).11,12
In einer sechsmonatigen plazebokontrollierten Dosisfindungsstudie mit 170 Patienten senkt Sibutramin das Gewicht dosisabhängig. Unter der in den
USA empfohlenen maximalen Einnahme von 15 mg täglich13 nehmen Frauen durchschnittlich etwa 6 kg ab.12 Die unzureichende Gewichtsminderung
von weniger als 1 kg in der Plazebogruppe weist darauf hin, dass die empfohlene, aber nicht überprüfte kalorienreduzierte Diät nicht eingehalten
wurde. Nach Absetzen von Sibutramin steigt das Gewicht "wie erwartet" am schnellsten bei denen, die am meisten abgenommen haben (Jo-Jo-
Effekt).12 In einer zwölfmonatigen Studie ist nach sechs Monaten die maximale Gewichtsabnahme erreicht (3-4 kg mehr durch 10-15 mg Sibutramin als
unter Plazebo) und bleibt für weitere sechs Monate weitgehend konstant mit einer Tendenz zur Gewichtszunahme am Ende des Jahres.10,14
Dosisabhängig steigen Blutdruck (2%) und Herzfrequenz (2,6%). Kopfschmerzen (30%), Mundtrockenheit (17%), Verstopfung (11%), Schlafstörungen
(11%), Übelkeit (6%), Schwindel (7%), Menstruationsstörungen (3,5%), Parästhesien (2%), Palpitationen (2%) u.a. kommen vor.13 Die
Langzeitverträglichkeit ist unbekannt.
Sibutramin ist extrem teuer. Für über 1.000 DM lassen sich 100 Kapseln MERIDIA zu 10 mg importieren, entsprechend Tageskosten von 10 DM bis 15
DM (4.000 DM/Jahr).
FAZIT: Der Lipasehemmer Orlistat (XENICAL) und der Serotonin-/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Sibutramin (REDUCTIL, Einführung steht bevor)
senken das Körpergewicht 4 kg bzw. bis etwa 6 kg mehr als Plazebo. Nach Absetzen schwindet der Effekt, wie auch von üblichen stimulierenden
Appetithemmern bekannt. Beide verschreibungspflichtigen Neuerungen dürften eher die einzig erfolgversprechenden Maßnahmen zur Gewichtsreduktion
(Umstellen von Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten) behindern, als dass sie diese unterstützen.
Unerwünschte Wirkungen und ungeklärte Risiken - z.B. Stuhlinkontinenz und Verdacht auf erhöhtes Brustkrebsrisiko bei Orlistat sowie Anstieg von
Blutdruck und Herzfrequenz bei Sibutramin - können das medikamentöse Abspecken zur Tortur machen bzw. mehr Schaden als Nutzen anrichten.
Behauptete positive Auswirkungen auf Laborwerte sind erst dann relevant, wenn sie sich im Langzeitversuch bestätigen und die Lebenserwartung günstig
beeinflussen. Hierzu fehlen Daten. Wir raten von der Verwendung beider Mittel wegen der zum Teil beträchtlichen unerwünschten Folgen ab.
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