Ich las in einem nichtmedizinischen Wochenmagazin über Raloxifen... Es scheint ein ideales Prophylaktikum für postmenopausale Frauen zu
sein, wenn zutrifft, was die Studien behaupten. Mich würde eine kritische Stellungnahme Ihrerseits zu dem bisherigen Wissensstand interessieren.
Dr. med. C. HARNASCH
D-79104 Freiburg
Das seit 1. September auch in Deutschland erhältliche Raloxifen (EVISTA), ein sogenannter selektiver Östrogenrezeptor-Modulator vom Typ des
Tamoxifen (NOLVADEX u.a.), soll Frauen mit hohem Osteoporoserisiko nach der Menopause vor Wirbelbrüchen schützen. Raloxifen wurde
ursprünglich als Mittel zur Behandlung von Brustkrebs entwickelt.1 Die vorbeugende Anwendung bei Gesunden bietet jedoch höhere
Absatzchancen. Das Brustkrebsmittel Tamoxifen gehört nicht zu den 1.000 meistverordneten Arzneimitteln, das zur Hormontherapie nach der Menopause
verwendete PRESOMEN COMP liegt dagegen 1996 auf Platz 37.2
EIGENSCHAFTEN: Wie Tamoxifen wirkt Raloxifen östrogenartig am Knochen und antiöstrogen am Brustgewebe. An der Gebärmutter soll
es, anders als Tamoxifen, ebenfalls östrogenantagonistische Effekte haben.
KLINISCHER NUTZEN: Eine Studie mit Surrogatkriterium als Endpunkt liegt veröffentlicht vor: Bei 600 Frauen zwischen 45 und 60 Jahren nimmt unter
Einnahme von täglich 30 mg bis 150 mg Raloxifen die Knochendichte im Vergleich zu Plazebo innerhalb von zwei Jahren um 2% bis 3% zu.3 Eine
laufende Studie (MORE*) untersucht den Einfluss auf Wirbelbrüche bei Frauen mit manifester Osteoporose.
UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN: Häufigste Störeffekte sind Hitzewallungen (25% bis 29%). Deutlich häufiger als unter
Scheinmedikament kommen auch Beinkrämpfe, Gewichtszunahme, Hautausschlag, Ausfluss, Muskelschmerzen, periphere Ödeme und Störungen
des Endometriums vor.4 Raloxifen steigert das Thromboembolierisiko in ähnlichem Ausmaß wie Östrogene (a-t 11 [1996], 105).5 Endometriumkarzinome, wie sie unter Tamoxifen beobachtet werden (a-t 5 [1994], 48), nehmen in den bisherigen klinischen Prüfungen nicht zu, jedoch sind diese nach Patientenzahl und
Studiendauer ohne sicheren Aussagewert.
Nach den kurzfristigen Erfahrungen in Osteoporosestudien sinkt die Brustkrebsrate unter Raloxifen. Untersuchungen zur Primärprophylaxe des
Mammakarzinoms und Langzeitdaten zum Brustkrebsrisiko fehlen.6 Das Wirkstoff-verwandte Tamoxifen bringt nach mehr als fünfjähriger
Einnahme keinen weiteren Schutz vor einem Karzinomrezidiv, sondern erhöht das Risiko möglicherweise (a-t 1
[1996], 14).
Bei Ratten und Mäusen verursacht Raloxifen auch in therapeutischen Dosierungen gut- und bösartige Ovarialtumoren, ein Befund der trotz des
experimentellen Charakters zu Bedenken Anlass gibt. Raloxifen wirkt teratogen.3
FAZIT: Der Östrogenrezeptor-Modulator Raloxifen (EVISTA) steigert die Knochendichte (Surrogatkriterium) bei Frauen nach der Menopause. Daten zum
Einfluss auf die Frakturrate - auch im Vergleich mit Östrogenen - liegen nicht vor, ebenso keine Langzeitdaten zur Sicherheit, insbesondere des
Brustkrebsrisikos. Hormonelle Osteoporoseprophylaxe kommt u.E. nur für einzelne Frauen mit hohem Risiko und nach sorgfältiger Abwägung von Pro
und Kontra in Betracht (a-t 4 [1995], 37). Für Raloxifen sehen wir bisher keine hinreichenden Belege für
Nutzen und Sicherheit bei Osteoporose. Mit monatlich 100 DM kostet Raloxifen vier- bis fünfmal mehr als z.B. PRESOMEN COMPOSITUM.
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MORE = Multiple Outcomes of Raloxifene Evaluation
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