STELLENWERT VON ARZNEIMITTELN | ||||
In a-t 4 (1999), 42 bewerteten wir Nutzen und Risiken von Kalzium, Vitamin D und Sexualhormonen zur
Prophylaxe und Therapie der Altersosteoporose. In dieser Ausgabe folgen Bisphosphonate, Calcitonin, Fluorid und nichtmedikamentöse Maßnahmen wie
der Hüftprotektor.
Unter den Störeffekten dominieren Magen-Darm-Beschwerden. Unter Anwendung von Alendronat soll jede achte Frau eine behandlungsbedürftige gastrointestinale Störwirkung erleiden.9 Bei gleichzeitiger Einnahme nichtsteroidaler Antirheumatika nimmt die Gefahr zu.10 Besonders bedrohlich sind die schweren Ulzerationen und Perforationen der Speiseröhre. Die US-amerikanische Produktinformation gibt die Häufigkeit mit 1,5% an.11 Die oral schlecht verfügbaren Mittel müssen nüchtern eingenommen werden, Alendronat morgens mindestens eine halbe Stunde vor dem Frühstück. Nach Einnahme mit einem vollen Glas Leitungswasser (keine anderen Getränke, auch kein Mineralwasser) dürfen sich die Patienten wegen der Gefahr der Ösophagitis nicht hinlegen. Bei ersten Zeichen wie Schluckbeschwerden oder Sodbrennen muss das Mittel abgesetzt werden. Überempfindlichkeitsreaktionen mit Urtikaria oder Angioödem kommen vor. Serumkalzium und -phosphat können sinken. Ausreichende Zufuhr von Kalzium und Vitamin D ist sicherzustellen.1 Bisphosphonate reichern sich im Knochen an. Die terminale Halbwertszeit von Alendronat soll zehn Jahre überschreiten. Ein Teil der Mittel könnte lebenslang im Körper bleiben. Die langfristigen Folgen sind unbekannt. In der Primärprävention der Osteoporose sehen wir für Bisphosphonate keinen Platz. Bei manifester Osteoporose ist die Indikation streng zu stellen. Unseres Erachtens kommen die Mittel nur im Einzelfall für Frauen mit hohem Risiko, erneute Wirbelbrüche zu erleiden, und nur für einen zeitlich begrenzten Therapieversuch in Betracht. Die etwas bessere Datenlage spricht zwar für Alendronat. Wegen der Gefahr einer Ösophagitis bis hin zu Ösophagusperforation und Mediastinitis geben wir jedoch zyklischem Etidronat den Vorzug. Anwenderinnen sind über das Ausmaß des Nutzens sowie die unbekannten Langzeitfolgen (z.B. lebenslanger Verbleib des Stoffes im Körper) aufzuklären. CALCITONIN (KARIL U.A.): Das Peptidhormon Calcitonin hemmt die knochenresorbierende Aktivität der Osteoklasten. Verwendet wird vor allem Calcitonin vom Lachs (KARIL u.a.). In randomisierten Interventionsstudien steigert injiziertes oder in die Nase gesprühtes Calcitonin die Knochendichte an der Wirbelsäule. Der Einfluss auf kortikalen Knochen ist nicht gesichert.1 Eine Schutzwirkung vor Frakturen ist nicht hinreichend belegt. Die drei publizierten randomisierten Studien, in denen Calcitonin gegen Plazebo oder Nichtbehandlung verglichen wird, sind zum Teil sehr klein und methodisch mangelhaft. Zwischenergebnisse einer laufenden größeren Studie mit Lachs-Calcitonin sind widersprüchlich: Während neue Wirbelbrüche unter täglich 200 IE um 38% abnehmen, findet sich unter 100 IE oder 400 IE/Tag kein Unterschied zu Plazebo.12 In kleinen randomisierten Studien lindert Calcitonin vom Lachs Knochenschmerzen nach osteoporotischen Wirbelfrakturen.13,14 Studien, die einen Vorteil gegenüber Standardschmerzmitteln nachweisen, finden wir nicht. Humanes Calcitonin (CIBACALCIN) soll nach einer unveröffentlichten Untersuchung nicht besser wirken als Plazebo.15 Calcitonin-Injektionen werden schlecht vertragen. Störwirkungen sind auch unter dem Nasenspray häufig. Übelkeit und Erbrechen, Hitzegefühl, Kopfschmerzen, entzündliche Reaktionen an der Injektionsstelle und Rhinitis durch das Spray machen den Anwendern zu schaffen. Lachs-Calcitonin wirkt immunogen mit der Gefahr systemischer allergischer Reaktionen. Neutralisierende Antikörper können eine sekundäre Resistenz erzeugen, die bei bis zu 44% der Patienten beschrieben wird.16 Das möglicherweise weniger immunogene humane Calcitonin wird offenbar aus patentrechtlichen Gründen nicht weiterentwickelt. Eine begründete Indikation für die Primärprävention der Osteoporose mit Calcitonin sehen wir nicht. Ob das Nasenspray in der Sekundärprophylaxe einen therapeutischen Platz hat, bleibt nach Abschluss und vollständiger Veröffentlichung der laufenden Untersuchung zu entscheiden. Das relativ schlecht verträgliche und teure Hormon kann als Reservemittel bei Schmerzen nach Wirbelbruch und unzureichender Wirkung von Standardanalgetika versuchsweise verwendet werden. FLUORIDE: Als einzige unter den Arzneimitteln zur Osteoporosetherapie stimulieren Fluoridsalze wie Natriumfluorid (NAFRIL RETARD u.a.) die Osteoblasten und die Neubildung von Knochengrundsubstanz. Über die Qualität des neu entstandenen Knochens herrscht jedoch Unklarheit. Besonders unter hohen Dosierungen und bei mangelnder Kalziumzufuhr wird viel Fluorid in den Knochen eingebaut und verursacht Mineralisationsdefekte.17 Trotz Anstiegs der Knochendichte bleibt die Frakturrate unter Fluoriden in mehreren randomisierten Studien unverändert oder nimmt sogar zu - besonders am peripheren Skelett (a-t 1 [1991], 3).1 Erst in jüngster Zeit erscheinen drei positive Untersuchungen mit insgesamt 370 Frauen und Männern.18-20 Neue Wirbelbrüche kommen unter der drei- bis vierjährigen Behandlung deutlich seltener vor als in den Kontrollgruppen (z.B. 0,064 vs. 0,205 radiologisch ermittelte Frakturen pro Patientenjahr bei 99 Frauen18). Nichtvertebrale Frakturen unterscheiden sich nicht. Als entscheidende Verbesserungen gegenüber den älteren Untersuchungen werden niedrigere Dosierungen (z.B. täglich 50 mg Natriumfluorid18), Retardformulierung (a-t 7 [1997], 78)18 und die in zwei Studien vorgeschriebenen Therapiepausen18,20 angesehen, durch die sich toxische Mengen und Spitzenspiegel möglicherweise vermeiden lassen. In einer weiteren aktuellen Studie mit zwei Niedrigdosis-Armen wird allerdings kein Vorteil von zusätzlichem Fluorid gegenüber Kalzium plus Vitamin D allein nachgewiesen.21 Fluoride rufen häufig Magen-Darm-Beschwerden hervor. Unter schnell freisetzenden Natriumfluoridpräparaten sind Geschwüre und Blutungen beschrieben. Gelenkbeschwerden und Schmerzen an Knöcheln und Schienbein werden auf Mikrofrakturen bei rapidem Knochenumsatz zurückgeführt und als Überdosierung bewertet. Trotz jahrzehntelangen Gebrauchs ist die Therapie der Osteoporose mit Fluoriden nach wie vor als experimentell anzusehen.19 In niedrigen Dosierungen sowie bei ausreichender begleitender Zufuhr von Kalzium haben Fluoride möglicherweise einen klinischen Nutzen. Das "therapeutische Fenster" dürfte sehr eng sein. Ein etabliertes Schema fehlt. In den drei kleinen Positivstudien wurden drei verschiedene Low-dose-Regime verwendet. Bestätigung in groß angelegten Studien steht aus. Fluoride sollen unseres Erachtens vorzugsweise im Rahmen klinischer Studien angewendet werden, um die Patienten vor möglicherweise riskanten Interventionen zu schützen und um den Kenntnisstand systematisch zu erweitern. NICHTMEDIKAMENTÖSE PROPHYLAXE: Belastung ist ein wichtiger Stimulus für den Knochenaufbau während des Wachstums. Im Erwachsenenalter scheint körperliches Training eher eine knochenerhaltende Funktion zu haben.22 Verschiedene epidemiologische Studien dokumentieren einen Schutz vor Oberschenkelhalsbrüchen durch körperliche Aktivität. Intensives Training in der Jugend senkt nach retrospektiven Untersuchungen das Risiko späterer Hüftfrakturen.23 Prospektive Studien lassen eine günstige Wirkung körperlicher Aktivität auch im Alter erkennen. Selbst wenig intensive Tätigkeiten wie Spazierengehen oder Gartenarbeit für mindestens eine Stunde pro Woche haben danach einen deutlichen Nutzen.24 Unklar ist der Zusammenhang mit Brüchen des Unterarms oder der Wirbel. Körperliche Aktivität im Alter könnte die Gefahr von Handgelenksfrakturen wegen des erhöhten Sturzrisikos sogar steigern.23 Immobilisierung führt dagegen zu Knochenverlust und geht mit deutlich erhöhtem Risiko einer Schenkelhalsfraktur einher.25 ![]() Mehr als 90% der Oberschenkelhalsbrüche sind Folge von Stürzen. Besonders gefährlich sind Stürze auf die Seite. Sie
steigern das Risiko auf das Sechsfache.26 Verschiedene beeinflussbare Umstände tragen zur Gefährdung im Alter bei: Sehbehinderungen,
Gleichgewichts- und Gangstörungen, Einnahme sedierender oder die Koordination beeinträchtigender Medikamente, aber beispielsweise auch
Stolperstellen in der häuslichen Umgebung. Interventionsstrategien, die sich gezielt gegen die individuellen Risikofaktoren richten, senken die Sturzrate in
randomisierten Studien um 20%.27 ![]() | ||||
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