Mich interessiert, ob es internationale Studien darüber gibt, ob die Mistelextrakte zusätzlich oder allein bei malignen
Erkrankungen eine gesicherte therapeutische Basis haben (insbesondere bei Mamma-, Kolon- und Uteruskarzinomen). Soll man sie jetzt nur noch privat
verschreiben, wenn kein gesicherter Nutzen besteht?
Dr. med. H. QUAST (Facharzt für Allgemeinmedizin)
D-49143 Schledehausen
Trotz über 70-jähriger Anwendung von Mistelextrakten (ISCADOR u.a.) bei Krebs sind bis heute keine methodisch einwandfreien randomisierten
Studien veröffentlicht, die einen Nutzen im Sinne von Tumorremission, Lebensverlängerung oder auch nur besserer Lebensqualität
belegen.1,2 1994 haben holländische Autoren in einer systematischen Übersicht den Kenntnisstand aus kontrollierten Studien mit klinischen
Endpunkten bewertet. Sie finden keine doppelblind angelegte Untersuchung. Nur in vier von elf Studien werden die Teilnehmer den Vergleichsgruppen
adäquat randomisiert zugeordnet. Die methodisch beste Studie findet keinen Unterschied zwischen Mistelextrakten und Plazebo.3
Vorrangig beforscht wird die immunmodulatorische Wirkung des Mistellektins 1. Das Lektin fördert - wie im Übrigen andere pflanzliche Lektine auch - die
Freisetzung von Zytokinen wie Interleukine und Tumornekrosefaktor alpha, von denen tumorhemmende Effekte bekannt sind.
Auch die Werbung stellt die immunmodulatorischen Effekte der Mistelextrakte in den Vordergrund ("Selbstverteidigung" "aktiviert die
Abwehrkräfte"4) und kommt damit der verbreiteten Vorstellung entgegen, dass die "Stärkung des Immunsystems" vor Krebs
schützen oder Krebs heilen kann. Klinisch manifestieren sich diese Effekte aber in erster Linie als schwerwiegende Immunerkrankungen wie Arzneimittelfieber
(häufig als Heileffekt fehlgedeutet), Anaphylaxie, Serumkrankheit oder LÖFGREN-Syndrom.5
Experimentell ist für die durch Lektine vermehrt freigesetzten Zytokine auch ein stimulierender Einfluss auf verschiedene Krebszelltypen gesichert, etwa auf
Zellen des Kolon-, Prostata- oder Mammakarzinoms sowie auf Non-HODGKIN-Lymphome und Leukämien.6 Bei einem 73-jährigen Patienten mit
Non-HODGKIN-Lymphom, der ein Mistelpräparat erhält, bilden sich im Bereich der Injektionsstellen subkutane Lymphomknoten. Als Ursache vermuten die
Autoren einen proliferativen Stimulus des Präparates, möglicherweise vermittelt durch Interleukin 6.7
Mistelextrakte gehören zu den Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen (Anthroposophie, Homöopathie, Phytotherapie). Acht Ampullen des
meistverordneten ISCADOR kosten 77,75 DM, die Behandlung pro Jahr um 1.000 DM. Unabhängig von der Verordnungsfähigkeit zu Lasten der
Gesetzlichen Krankenversicherung erscheint uns in Anbetracht der wissenschaftlichen Datenlage die Nutzen-Risiko-Bilanz für Krebspatienten negativ, -
Red.
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