logo
logo
Die Information für medizinische Fachkreise
Neutral, unabhängig und anzeigenfrei
vorheriger Artikela-t 2001; 32: 21-4nächster Artikel
Übersicht

DIE BOVINE
SPONGIFORME ENZEPHALOPATHIE (BSE) -
EINE TIERSEUCHE MIT ERHEBLICHER BEDEUTUNG FÜR DEN MENSCHEN

Die folgende Übersicht wurde im Robert Koch-Institut erarbeitet und enthält Beiträge aus dem Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz. Sie repräsentiert wichtige Teile des Erkenntnisstandes von Mitte Januar 2001 und wurde veröffentlicht in: Epidemiologisches Bulletin 2001, Nr. 4: 23-6.

Der Übersichtsartikel gibt eine gute und komprimierte Darstellung zum Problem BSE, die wir deshalb unseren Lesern zur Verfügung stellen wollen. Der Nachdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber.

CHARAKTERISTIK,
ENTSTEHUNG UND VERBREITUNG DER BSE


ERSCHEINUNGSBILD DER BSE/TSE: 1985 wurden im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland (GB) die ersten vereinzelten Fälle einer bis dahin unbekannten Rindererkrankung beobachtet, die mit zentralnervösen Störungen einherging. Im Jahr 1986 wird sie als eigenständige Krankheit erkannt und als ,bovine spongiforme Enzephalopathie' (BSE, deutsch: schwammartige Hirnkrankheit des Rindes) bezeichnet. In der Folgezeit tritt die Krankheit hauptsächlich in den Milchviehherden im Süden des Landes auf, später wird sie auf der ganzen britischen Insel registriert. Die Tiere können ab einem Alter von 20 Monaten über die gesamte Lebensspanne hinweg an BSE erkranken. Das durchschnittliche Alter erkrankter Rinder liegt bei 4-6 Jahren. Neben Verhaltensänderungen wie Ängstlichkeit oder Aggressivität kommt es zu Bewegungsstörungen, die zum plötzlichen Niederstürzen der Tiere führen können. Nach einer mit fortschreitender Schwäche einhergehenden Krankheitsdauer von bis zu 6 Monaten kommt es zum endgültigen Festliegen der Tiere. Eine spontane Heilung oder eine Therapie gibt es nicht. Die Krankheit endet immer tödlich.

Auf Grund der Übertragbarkeit einerseits und der sehr spezifischen Veränderungen im Gehirn andererseits rechnet man die BSE zu den transmissiblen spongiformen Enzephalopathien (TSE). Zu den TSE zählen auch Erkrankungen des Menschen: die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK), das Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom (GSS), die fatale familiäre Insomnie und Kuru (in Neuguinea im Zusammenhang mit kannibalistischen Riten beobachtet).

URSACHEN DER ENTSTEHUNG UND VERBREITUNG VON BSE: Zwei Hypothesen zu den Ursachen des seuchenhaften Auftretens der BSE in GB, die beide epidemiologisch gut belegt sind, gelten als am wahrscheinlichsten:

 Schafkadaver und Schlachtabfälle von Schafen, bei denen angesichts der Häufigkeit von Scrapie unter britischen Schafen davon ausgegangen werden muss, dass sie teilweise mit dem Erreger der Schafkrankheit Scrapie belastet waren, wurden neben anderen Tierkadavern und Schlachtabfällen in Tierkörperbeseitigungsanstalten unter Hitzeeinwirkung zu Tierkörpermehlen verarbeitet (seit Ende der 70er Jahre unter veränderten Bedingungen, s.u.) und dann in der Tierfütterung als proteinreiche Futtermittel verwendet.

 Durch die geschilderten Fütterungspraktiken könnte sich ein bislang nicht erkannter Erreger einer spezifischen Rinderenzephalopathie im Rinderbestand ausgebreitet und letztlich zu der großen Zahl von BSE-Erkrankungen geführt haben.

Beide Erklärungen zum Ursprung von BSE haben ihre Schwächen. Für die Hypothese der Annahme einer seltenen Erkrankung des Rindes selbst spricht, dass die biologischen Eigenschaften des BSE-Erregers von denen aller bisher bekannten Scrapiestämme abweichen. Falls BSE von Anfang an eine Rinderenzephalopathie war, müsste BSE auch in anderen Ländern aufgetreten sein, die ähnliche Tiermehl-Herstellungsverfahren wie in GB angewendet haben (z.B. auch in den USA). Wäre der Ursprung von BSE in Scrapie begründet, bliebe unverstanden, warum nicht auch die Scrapie- Fallzahlen in GB, bedingt durch die Verfütterung von infektiösem Tiermehl an Schafe, dramatisch angestiegen sind.

Aus produktionstechnischen Gründen wurden etwa ab Ende der 70er Jahre in GB in vielen Tierkörperbeseitigungsanstalten die Herstellungsbedingungen von Tierkörpermehlen geändert. Zum Entzug von Fetten dienende Chemikalien wurden nicht mehr verwendet. Damit entfielen sekundäre Erhitzungsprozesse mit Dampf, die zum Ziel hatten, die Entzugschemikalien zu verflüchtigen. Folglich wurden seither die etwa vorhandenen Scrapie-Erreger oder BSE-Erreger nicht mehr ausreichend inaktiviert und verblieben als infektiöses Potenzial im Tierkörpermehl. Durch den bis 1986 unbemerkten Anstieg der BSE-Infektionen wurden von etwa 1980 bis 1985 in immer größerer Zahl infizierte Tiere wieder zu Tiermehl verarbeitet und der Erreger dadurch massenhaft weiter verbreitet.

Im Auftrag der EU wurden alle in den Mitgliedsländern angewandten Verfahren zur Tierkörpermehlherstellung auf ihre Fähigkeit überprüft, den BSE-Erreger zu inaktivieren. Durch ein Verfahren, das eine Erhitzung auf mindestens 133 °C bei 3 bar Überdruck für 20 min erreicht, wurde in diesen Versuchen eine deutliche - allerdings bei hoher Erreger-Belastung nicht vollständige - Inaktivierung von BSE- bzw. Scrapie-Erregern erreicht. Durch eine EU-Entscheidung vom Mai 1996 ist dieses, in Deutschland seit etwa 60 Jahren übliche Verfahren, als alleinige Produktionsmethode in der gesamten EU zugelassen (Übergangsfrist bis 1. April 1997), dennoch wurden daneben auch in Deutschland weiterhin in großem Umfang unzureichende Produktions- bzw. Inaktivierungsverfahren angewendet.

BSE IN EUROPA: Im Laufe der Jahre stieg die Zahl der erkrankten Tiere auf bisher mehr als 177.000. Das wäre allein schon Grund genug, die BSE mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen. Mittlerweile ist BSE in unterschiedlichem Ausmaß in fast allen Ländern Europas einschließlich Deutschlands aufgetreten.

Die ersten BSE-Fälle in anderen Ländern als GB waren in der Frühphase durch den Import infizierter Tiere oder durch den Einsatz erregerhaltiger Tierkörpermehle aus GB zu erklären. Inzwischen dürfte es, nicht zuletzt durch die ungenügende Umsetzung und Kontrolle des EU-weiten Verfütterungsverbots von Tiermehl an Wiederkäuer von 1994, in den meisten Ländern Europas zu einer eigenständigen BSE-Epidemie gekommen sein.

Folgende BSE-Fallzahlen wurden in Europa für das Jahr 2000 registriert: Belgien 9, Dänemark 1, Deutschland 7, Frankreich 125, GB 1.241, Niederlande 2, Portugal 114, Republik Irland 57, Schweiz 33, Spanien 2 (Quelle: Office International des Epizooties, Stand: 11. Jan. 2001). Ein weiterer Anstieg der Fallzahlen in einzelnen Ländern der EU in den nächsten Jahren ist wahrscheinlich. Die Wirkung der im Jahr 2000 getroffenen Maßnahmen, etwa des Verfütterungsverbotes von Tiermehl an jegliche Tierarten, wird erst ab dem Jahr 2004 deutlich sichtbar werden. Die Erfahrungen in GB seit 1996 zeigen, dass durch ein entsprechend umfassendes Verfütterungsverbot und damit einhergehende Kontrollen die Fallzahlen tatsächlich drastisch gesenkt werden können. - Außerhalb Europas ist BSE nur in Einzelfällen bei aus GB importierten Rindern in Kanada, in Oman und auf den Falklandinseln aufgetreten.

BSE IN DEUTSCHLAND: Zwischen 1985/86 (dem Auffälligwerden der BSE in GB) und 1993 wurden über 13.000 Rinder aus GB nach Deutschland eingeführt. Außerdem wurden in den Jahren 1987-89 etwa 1.200 Tonnen Tiermehl direkt aus GB importiert. In Deutschland wurde die weitere Verbreitung von BSE trotz des vergleichsweise recht hohen Sicherheitsstandards bei der Herstellung von Tierkörpermehlen begünstigt durch

 die Tiermehlherstellung unter Verwendung potenziell stark erregerhaltiger Risikomaterialien (Hirn, Rückenmark) sowie von Tieren mit erhöhtem Risiko (verendete Rinder, Not- und Krankschlachtungen)

 und eine unzureichende Erregerinaktivierung z.B. bei der Knochenmehlproduktion.

Etwa 30% des in Deutschland produzierten Tiermehls und Tierfetts wurden noch bis Mitte 2000 bei Temperaturen nicht über 100 °C und ohne Überdruck erzeugt. Der in der Vergangenheit immer aufs Neue wiederholte Hinweis auf die hohe Sicherheit des Tiermehls in Deutschland ließ zudem außer Acht, dass Importe von Tiermehlen aus anderen Ländern jederzeit möglich waren und auch stattfanden. - Die aktuell als mögliche Ansteckungsquelle diskutierten Milchaustauscher enthalten Tierfette, die u.U. zum Teil aus Risikogeweben gewonnen wurden und die zudem möglicherweise nicht ausreichend hitzeinaktiviert worden sind.

Trotz dieser Risikofaktoren sind zwischen 1986 und 2000 in Deutschland nur 6 BSE-Fälle bekannt geworden, die alle bei importierten Tieren auftraten (5 Importe aus GB, einer aus der Schweiz). Es ist sehr wahrscheinlich, dass es bereits vor 2000 weitere BSE-Fälle in Deutschland gegeben hat, die aber - zum Teil auf Grund ungenügender Überwachungsmaßnahmen - nicht entdeckt wurden. Mit Einführung der BSE-Schnelltests hat sich diese Situation drastisch geändert. Seit Beginn der Tests in großem Umfang im Oktober 2000 wurden bisher 19* BSE-Fälle bestätigt (Stand: 24. Jan. 2001). Die weitere Entwicklung der BSE-Fallzahlen in Deutschland ist zur Zeit noch nicht absehbar. Auf der Basis der aktuell verfügbaren Daten kann in Deutschland bis Ende des Jahres 2001 mit 150-500 BSE-Fällen gerechnet werden. Die im Jahr 2000 getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung von BSE konnten das Gefahrenpotenzial nicht sofort grundsätzlich ausschalten, sie dürften aber spätestens in 4-5 Jahren eine deutliche Wirkung zeigen.

ZUM ERREGER UND SEINER ÜBERTRAGUNG

ART UND EIGENSCHAFTEN DES ERREGERS: Nach der Prion-Hypothese besteht das infektiöse Agens aus einer infektiösen, fehlgefalteten Form eines körpereigenen Proteins, dem Prion-Protein. Das Prion-Protein wird z.B. auf neuronalen und lymphoiden Zellen exprimiert. Die Vermehrung des Erregers erfolgt durch Umwandlung der normalen Struktur des Prion-Proteins in die fehlgefaltete Form, deren Auftreten mit der Infektion bzw. mit der Erkrankung assoziiert ist. In Übereinstimmung mit dieser Hypothese sind Maus-Stämme, denen das Prion-Protein fehlt, nicht infizierbar. Demzufolge werden die TSE- Erreger auf Grund der Prion-Hypothese auch häufig als ,Prionen' bezeichnet und der gesamte Formenkreis dieser Krankheitsbilder als Prion-Erkrankungen zusammengefasst.

Die TSE-Erreger weisen sehr ungewöhnliche Eigenschaften auf:

 eine hohe Resistenz gegen Hitze (die Hitzeresistenz übertrifft die Überlebensfähigkeit bakterieller Sporen deutlich!), ionisierende Strahlung, UV sowie gegen DNAsen und RNAsen,

 das Fehlen einer messbaren Immunantwort gegen den Erreger im infizierten Organismus, das die Diagnostik dieser Erkrankungen erheblich erschwert.

Die große Hitzestabilität bedingt, dass der Erreger bei den in der Speisenherstellung üblichen küchenmäßigen Zubereitungstemperaturen nicht ausreichend abgetötet wird.

ÜBERTRAGUNG DES ERREGERS AUF VERSCHIEDENE TIERARTEN: Experimentelle Übertragungen haben gezeigt, dass sowohl die Schafkrankheit Scrapie als auch die Rinderkrankheit BSE oder die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) des Menschen auf eine Vielzahl anderer Tierarten übertragbar sind, so z.B. auf andere Wiederkäuer, Nagetiere, Fleischfresser (Katzen, Nerze), Schweine und unterschiedliche Affenarten. BSE konnte auf Krallenaffen (Marmosets) durch Injektion in das Gehirn übertragen werden, bei Makaken gelang die Übertragung auch über das Futter. Auch Katzen und Nerze können sich durch Aufnahme erregerhaltigen Futters infizieren.

Nach dem Auftreten von BSE in Rinderbeständen kam es bis heute in mehreren Ländern Europas in zoologischen Gärten bei 24 Tierarten zu über 85 BSE-Erkrankungen. Außerdem sind seit 1990 mindestens 90 Fälle bei Hauskatzen bekannt geworden, davon die meisten in GB. Dies zeigt, dass der BSE-Erreger auf natürlichem Weg über die Nahrungsaufnahme auf eine Vielzahl weiterer Tierarten übertragbar ist.

ZUR FRAGE EINER BSE-INFEKTION VON SCHAFEN, SCHWEINEN, GEFLÜGEL, FISCHEN: Besorgniserregend ist, dass potenziell infektiöses Tiermehl auch an andere Tierarten als Rinder verfüttert wurde; die Verfütterung an Schafe besitzt eine besondere Relevanz. Tatsächlich sind Schafe und Ziegen experimentell über die Nahrung mit BSE infizierbar. Eine BSE-Infektion des Schafes könnte, da die Symptome mit denen einer Scrapie- Infektion identisch sind, leicht mit Scrapie verwechselt werden. Bisher ist kein schnelles Verfahren zur Unterscheidung von Scrapie und BSE im Schaf bekannt. Während Scrapie bisher weitgehend als harmlos für den Menschen angesehen wurde, muss dies für BSE in Schafen nicht unbedingt gelten. BSE im Schaf könnte zudem unter Umständen wie Scrapie in der Schafpopulation persistieren, d.h. es könnte in der Folge zu einer von Tiermehl unabhängigen Infektion von Schafen mit BSE kommen.

Auf Grund dieser Problematik ist gegenüber Scrapie eine deutlich stringentere Vorgehensweise als in der Vergangenheit notwendig. Die Wahrscheinlichkeit der BSE-Infektion des Schafes muss durch eine genaue Überprüfung der Fütterungspraktiken in der Vergangenheit abgeklärt werden. Außerdem wäre es sinnvoll, z.B. durch Adaptation der BSE-Schnelltests für Schafe eine Bestandsaufnahme der tatsächlichen Scrapie- Prävalenz in den Ländern der EU zu machen, da Scrapie möglicherweise verbreiteter ist, als bisher angenommen wurde. Eine Ausweitung der Schnelltests, die bisher Scrapie nicht von BSE unterscheiden können, aber geeignet sind, infizierte Tiere zu erfassen, auf alle Schlachttiere würde von der Bewertung der Ergebnisse der Voruntersuchungen abhängen. Verbesserte diagnostische Möglichkeiten und schnellere Verfahren zur Diskriminierung von BSE und Scrapie in Schafen und Ziegen sind dringend erforderlich. Die frühe Infektion lymphoider Gewebe bei Schafen und Ziegen könnte auch für die Entwicklung möglicher Frühdiagnostika genutzt werden.

Schweine, Geflügel und Fische sind, soweit bisher untersucht, nicht bzw. nicht über die Nahrung infizierbar. Offenbar ist hier die sog. Spezies-Barriere so hoch, dass selbst die jahrelange Exposition mit für Rinder infektiösem Tiermehl, wie in GB geschehen, nicht zu BSE-Erkrankungen geführt hat. Mit dem Verbot der Verfütterung von Tiermehl an jegliche Tierarten ist diese hypothetische Möglichkeit einer Infektion weiterer Spezies zunächst unterbunden. - Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse haben noch einmal deutlich gemacht, dass beim Übergang des Erregers von einer Spezies auf die andere subklinische Infektionsverläufe auftreten können, in denen sich der Erreger sehr langsam im Wirtsorganismus vermehrt, ohne dass es zum Ausbruch der Erkrankung kommt. Dass in einer Spezies bisher keine BSE-Erkrankung beobachtet wurde, ist also allein noch kein Grund zur Entwarnung. Insgesamt gesehen besteht bzgl. der BSE-Infektion von Schafen, Ziegen, Schweinen, Geflügel und Fischen noch deutlicher Forschungsbedarf.

DIE NEUE VARIANTE DER CREUTZFELDT-JAKOB-KRANKHEIT (vCJK)
Manifestation der BSE-Erkrankung beim Menschen


Nachdem die Übertragbarkeit und der Infektionsweg von BSE erkannt waren, befasste sich eine unabhängige wissenschaftliche Kommission in GB mit der entstandenen Situation und den daraus resultierenden Gefahren für die menschliche Gesundheit. Sie fasste ihr Urteil folgendermaßen zusammen: "Nach heutiger Erkenntnislage ... wird BSE für die menschliche Gesundheit keine Folgen haben. Dennoch, sollten unsere Abschätzungen dieser Wahrscheinlichkeiten falsch sein, wären die Folgen äußerst ernsthaft." (Southwood-Report, Februar 1989, S. 21, Absatz 9.2) Der erste Teil dieser Aussage erwies sich als Fehleinschätzung. Tatsächlich ist die Gefährdung des Menschen durch BSE sehr realer Natur, und die Folgen sind dementsprechend ernst. Im März 1996 wurden in GB 10 Fälle einer neuen Variante von CJK bekannt (vCJK). Sie trat bei relativ jungen Patienten auf (Durchschnittsalter 27 Jahre) und wies einen im Vergleich zur klassischen CJK veränderten Krankheitsverlauf sowie ein spezifisches, neuartiges Bild der Gehirnveränderungen auf.

Eine ganze Reihe von Infektionsexperimenten mit transgenen Mäusen, die entweder das humane oder das bovine Prion-Protein exprimieren, hat beeindruckend gezeigt, dass der Erreger von BSE und vCJK in diesen Modellsystemen biologisch und biochemisch praktisch nicht zu unterscheiden ist. Im Vergleich zu Scrapie wiesen in diesen Untersuchungen sowohl der BSE- als auch der vCJK-Erreger eindeutig andere Eigenschaften auf.

Bisher sind in GB 92 gesicherte oder wahrscheinliche vCJK-Fälle aufgetreten (Stand: 18. Jan. 2001), dazu kommen 3 Fälle in Frankreich und 1 Fall in der Republik Irland. Zusammengenommen zeigen die erwähnten experimentellen Befunde und der zeitlich-räumliche Zusammenhang zwischen dem Auftreten von BSE und vCJK in GB, dass vCJK mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Analogon der BSE beim Menschen darstellt. Über den weiteren Verlauf der vCJK-Epidemie in GB und den anderen Ländern Europas lassen sich derzeit keine verlässlichen Aussagen treffen. Mit dem Auftreten von vCJK ist in weiteren Ländern der EU und damit auch in Deutschland zu rechnen. Bisher wurde in Deutschland noch kein Erkrankungsfall der vCJK beobachtet.

Die Wahrscheinlichkeit für vCJK-Infektionen auch in Deutschland dürfte in direktem Zusammenhang zur Aufnahme des BSE-Erregers über die Nahrung stehen. Zur retrospektiven Abschätzung dieser Gefährdung in Deutschland müsste untersucht werden, welche Nahrungsmittel in den letzten 20 Jahren Risikomaterialien enthielten. In diesem Zeitraum lag mit Sicherheit eine BSE-Exposition der Bevölkerung vor, diese ergab sich durch

 Importe von Rindern bzw. Rindfleischprodukten aus GB von 1980-1996,

 entsprechende indirekte Importe aus GB über Drittländer,

 Importe aus anderen EU-Ländern mit eigener BSE-Problematik,

 BSE-infizierte Rinder in Deutschland selbst.

Das humanpathogene Potenzial des BSE-Erregers macht deutlich, dass vor allem bezüglich der Diagnostik, der Therapie, der Pathogenese und der Übertragung der TSE noch erheblicher Forschungsbedarf von gesundheitspolitischer Relevanz besteht, der weit über die Probleme für die Landwirtschaft hinausgeht. In diesem Zusammenhang ist eine deutliche Verbesserung der nationalen TSE-Forschungsförderung dringend geboten.

In Deutschland besteht nach dem Infektionsschutzgesetz eine ärztliche Meldepflicht für humane spongiforme Enzephalopathien (außer familiär-hereditären Formen). Für die klassische CJK und die neue Variante der CJK wurden als Grundlage für die Meldung vom RKI Falldefinitionen erarbeitet und veröffentlicht. Zu den in den vergangenen Jahren registrierten klassischen CJK-Erkrankungsfällen wird in Kürze im Epidemiologischen Bulletin berichtet.

ZUM VERLAUF DER INFEKTION UND ERKRANKUNG

Übertragbare Enzephalopathien der Tiere und des Menschen nehmen nach der Aufnahme einer ausreichenden Erregermenge über die Nahrung folgenden Verlauf: Der Erreger gelangt vermutlich über sogenannte M-Zellen aus dem Darm in angrenzendes lymphoides Gewebe. In der Folge tritt in der Regel (jedoch nicht bei der BSE-Infektion des Rindes) eine Infektion der Milz und von Lymphknoten auf. Vermutlich befällt der Erreger zunächst Nervengewebe, das diese lymphoiden Organe versorgt. Alternativ oder zusätzlich könnten direkt Nervenbahnen befallen werden, die in der Mukosa des Darms enden. Die weitere Ausbreitung durch Aufsteigen über den Nervus splanchnicus und/oder den N. vagus führt in jedem Fall letztlich zur Infektion des Gehirns mit den für die Krankheit charakteristischen Veränderungen.

KRANKHEITSBEDINGTE VERÄNDERUNGEN IM GEHIRN: Unabhängig vom eigentlichen Beginn der Infektion bzw. Erkrankung - bei vCJK wird von einer Infektion über die Nahrung ausgegangen, bei der klassischen CJK von einer Erkrankung, die im ZNS beginnt - vermehrt sich der Erreger im Gehirn sehr stark, ohne sofort sichtbare Schäden oder Symptome zu verursachen. Im Zuge dieser Vermehrung bildet sich in der Regel unlösliches Amyloid, das überwiegend aus der fehlgefalteten Form des Prion-Proteins besteht. Dieser Prozess der Akkumulation von unlöslichem, aggregiertem Prion- Protein wird begleitet von einer Aktivierung von Gliazellen (Gliose), die durch die Produktion von pro-inflammatorischen Zytokinen und neurotoxischen Faktoren gekennzeichnet ist. Ob die zunehmende Ablagerung des Prion-Protein-Amyloids direkt neurotoxisch ist oder die letztlich letale Zerstörung des neuronalen Gewebes im ZNS (Neurodegeneration) eine Folge der Gliose ist, konnte bisher nicht eindeutig geklärt werden. Mit der dringend notwendigen intensiven Erforschung der Vorgänge, die zur Neurodegeneration führen, dürften sich auch bessere Ansatzpunkte zur Therapie von CJK/vCJK ergeben.

Die Krankheit ist nicht behandelbar und führt zum Tod des Patienten (in fast allen Fällen etwa 6-12 Monate nach Auftreten erster klinischer Symptome, vCJK ist häufig durch längere Verläufe gekennzeichnet). Bei vCJK ist, je nach genetischer Disposition des infizierten Individuums und der infektiösen Dosis, mit unterschiedlichen, teilweise sehr langen Inkubationszeiten von bis zu mehreren Jahrzehnten zu rechnen. - Bisher zeigen alle vCJK- Patienten einen bestimmten Genotyp des Prion-Proteins, der bei etwa 40% der Normalbevölkerung gefunden wird. Personen mit anderem Genotyp könnten also erst später erkranken oder Teilresistenzen aufweisen.

BISHERIGE MÖGLICHKEITEN DER DIAGNOSTIK

Die histopathologischen Veränderungen im Gehirn (schwammartige Struktur) sind ein sehr wichtiges Indiz für das Vorliegen einer TSE. Absolut spezifisch für diese Erkrankungen ist der Nachweis der aggregierten und Proteinase-K-resistenten fehlgefalteten Form des Prion-Proteins mittels Immunhistochemie oder Western Blot. Diese sehr exakten diagnostischen Möglichkeiten sind jedoch erst nach dem Tode des erkrankten Individuums anwendbar. Ein Verdacht auf CJK bzw. vCJK, auch zur Unterscheidung von anderen Demenzen, kann jedoch bereits durch die Klinik der Patienten, durch Liquor-Untersuchungen, durch EEG-Befunde und durch die Magnetresonanztomographie (MRT) weiter abgeklärt werden. Da sich bei vCJK die Vermehrung des Erregers im Regelfall - im Gegensatz zur klassischen CJK - nicht auf das ZNS beschränkt, kann der Nachweis der pathologisch veränderten Form des Prion-Proteins hier auch in lymphoiden Geweben (z.B. Appendix, Tonsillen) erfolgen.

Es gibt bisher keinen einsetzbaren Test, mit dem eine sichere Diagnose am lebenden Tier oder Menschen während der Inkubationszeit, d.h. vor Eintritt in die äußerlich erkennbare (klinische) Krankheitsphase gestellt werden kann. Dies erschwert die Bekämpfung im Tierseuchenfall ungemein, da die Träger des infektiösen Agens nicht erkannt und ausgesondert werden können. Beim Menschen erschwert das Fehlen eindeutiger Tests die Klärung epidemiologischer Zusammenhänge und eine frühzeitige Bestätigung des klinischen Verdachts.

BSE-Schnelltests und die weitere Entwicklung der TSE-Diagnostik: Durch den Nachweis der Proteinase-K-resistenten, fehlgefalteten Form des Prion- Proteins im Rinderhirn kann beim getöteten Tier mittels Western Blot oder ELISA eine schnelle Untersuchung auf eine BSE-Infektion durchgeführt werden. Im Verdachtsfall müssen zur Sicherung der Diagnose weitere Untersuchungen (Histopathologie, Immunhistochemie) folgen. Bisher ist die Sensitivität der Schnelltests nur geeignet, infizierte Tiere in späten Stadien der Erkrankung zu erfassen. Ende des Jahres 2000 wurde ein verstärkter Einsatz des BSE- Schnelltests zunächst bei ausgewählten Schlachtrindern verfügt (bis zum 15. Jan. 01 wurden 112.000 Untersuchungen durchgeführt).

Erst noch in der Entwicklung befindliche, sensitivere Testverfahren könnten Tiere während der langen symptomfreien Inkubationszeit in früheren Stadien der Erkrankung verlässlicher detektieren. Ob und wann sich während der Infektion für die TSE-Diagnostik ausreichende Erregermengen im Blut befinden, ist noch völlig unklar. Zur Erfassung von Verdachtsfällen könnte künftig auch die Messung von noch zu identifizierenden Surrogat-Markern beitragen, die möglicherweise in Folge der Infektion in Körperflüssigkeiten (z.B. Blut) in erhöhten Konzentrationen vorliegen.

Neuere Techniken (z.B. Immuno-PCR, Fluoreszenz-Korrelations-Spektroskopie) könnten die Sensitivität der Tests erheblich verbessern. Kürzlich wurden körpereigene Proteine beschrieben, die anscheinend selektiv die fehlgefaltete, infektionsassoziierte Form des Prion-Proteins binden können. Auch diese könnten indirekt wichtige Hilfsmittel zur Verbesserung der TSE-Diagnostik bei Mensch und Tier werden.

GRUNDSÄTZE DER VERHÜTUNG UND BEKÄMPFUNG

Im Rahmen dieses Berichtes wird nur auf einige Grundsätze des Verbraucherschutzes und diesbezügliche bisherige Erfahrungen im Vereinigten Königreich eingegangen. Spezielle Maßnahmen zur Prävention und zum Schutz vor BSE und vCJK werden Gegenstand künftiger Beiträge aus dem Robert Koch-Institut, dem Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin, dem Paul-Ehrlich-Institut und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sein.

EU-WEITE MASSNAHMEN ZUR BEKÄMPFUNG VON BSE IM JAHR 2000: Besonders die in den Jahren 1999/ 2000 beobachtete starke Zunahme der BSE-Fallzahlen in Frankreich hat in der EU wieder zu einer Intensivierung der BSE-Diskussion geführt. In der zweiten Hälfte des Jahres 2000 wurden EU-weit umfassende Maßnahmen beschlossen. Insbesondere das Verbot der Verfütterung von Tiermehl an jegliche Tierarten ist, wie die Erfahrungen in GB gezeigt haben, das wirksamste Instrument überhaupt, um Neuinfektionen mit BSE zu verhindern.

Der Verbraucherschutz wird durch die Entfernung von spezifiziertem Risikomaterial bei geschlachteten Rindern (Hirn, Augen, Rückenmark, Darm), Schafen und Ziegen (zusätzliche Entfernung der Milz) aus der Nahrungskette deutlich verbessert. - Zur Intensivierung der BSE-Überwachung wurde EU-weit die Einführung von BSE-Schnelltests zunächst für über 30 Monate alte gefährdete Rinder beschlossen, dann auf alle Schlachttiere ausgedehnt, die über 30 Monate alt sind. Nicht getestete über 30 Monate alte Schlachttiere dürfen nicht in die Nahrungskette gelangen.

BISHERIGE WIRKUNG DER MASSNAHMEN GEGEN BSE IN GB: Durch den frühen Beginn und das Ausmaß der dortigen BSE-Epidemie stellt GB, im Negativen wie im Positiven, einen Modellfall für die Bekämpfung dieser Tierseuche dar. Die Maßnahmen zur Bekämpfung von BSE in GB zeigen deutliche Erfolge, obwohl das wegen der weiterhin hohen BSE-Gesamtzahlen auf den ersten Blick nicht sofort nachvollziehbar ist. Bereits das Verbot der Verfütterung von Tiermehlen von 1988 (EU-weit 1994) hat die BSE-Epidemie in GB stark eingeschränkt, was durch die rückläufigen Fallzahlen seit 1992/1993 deutlich wird. Die jährlichen Erkrankungsfälle fielen von 36.711 im Jahr 1992 (dem Höhepunkt des Seuchengeschehens) auf 1.241 Fälle im Jahr 2000. Dennoch war bereits seit 1993 klar, dass diese Maßnahme allein kein schnelles Ende der BSE-Epidemie bewirken würde, denn schon zu diesem Zeitpunkt waren 20% aller an BSE erkrankten Rinder nach dem Verfütterungsverbot von 1988 geboren worden.

Als mit dem Auftreten der neuen Variante der CJK (vCJK) 1995/1996 deutlich wurde, dass BSE auch eine Gefährdung des Menschen darstellt, wurden die Maßnahmen gegen BSE 1996 weiter verschärft. Für den Erfolg dieser Verschärfung, vor allem des Verbots der Verfütterung von Tierkörpermehlen an jegliche Art von Tieren, spricht, dass in GB bisher erst ein Tier, das nach dem August 1996 geboren wurde, an BSE erkrankt ist. Es bleibt abzuwarten, ob die sehr positive Entwicklung in GB anhält. Die Durchführung von BSE-Schnelltests auch in GB wird zudem für eine bessere Datenbasis zur Abschätzung des weiteren Geschehens sorgen.

Die Analyse der bisherigen Ergebnisse der BSE-Bekämpfung in GB insbesondere seit 1996 verdeutlicht auch, dass anderen Übertragungswegen des BSE-Erregers neben dem Tierfutter, wie z.B. der durchaus möglichen Übertragung von der Mutterkuh auf das Kalb oder der Übertragung über kontaminierte Böden, eine eher geringe Bedeutung zukommen dürfte. Dennoch müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um diese möglichen Wege der Verbreitung von BSE weiter aufzuklären und lückenlos zu unterbinden. Eine direkte Übertragung durch Kontakte von Rind zu Rind kann praktisch ausgeschlossen werden.

© 2001 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

Diese Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigung sowie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen ist nur mit Genehmigung des arznei-telegramm® gestattet.

vorheriger Artikela-t 2001; 32: 21-4nächster Artikel