Am Beispiel von Alosetron (LOTRONEX), einem Mittel gegen Reizdarmsyndrom, rollt der Herausgeber von The Lancet in einem Editorial mit
ungewöhnlich deutlichen Worten Verstrickungen der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA mit der Pharmaindustrie auf. Der Serotonin3-
Rezeptorantagonist wurde nach nur siebenmonatiger Bearbeitung zugelassen und nach neun Monaten - zu spät - wegen schwerer Obstipation mit
Notwendigkeit operativer Eingriffe, ischämischer Kolitiden und Todesfällen wieder vom Markt genommen (vgl. a-t
2000; 31: 82, s. auch Seite 61). Alosetron ist kein Einzelfall, sondern Indiz dafür, dass die FDA zum "Handlanger der Industrie geworden
ist".1 Wissenschaftler der Behörde, die frühzeitig vor den Risiken von Alosetron warnen, werden von weiteren Tätigkeiten bei dem
Reizdarmmittel ausgeschlossen. Absprachen auf privater Ebene zwischen FDA-Beamten und GlaxoSmithKline bleiben undurchsichtig.1 Inzwischen gibt es
sogar Bestrebungen zur Neuvermarktung von Alosetron - und dies, obwohl sich die Anzeichen der lebensbedrohlichen Schadwirkungen nicht von Symptomen der
behandelten Erkrankung abgrenzen und deshalb Risikopatienten nicht im Voraus erkennen lassen.1,2
Die Vorgänge spiegeln ein verbreitetes Problem der Arzneimittelzulassung wider, das sich dank des US-amerikanischen Informationsfreiheitgesetzes am Beispiel
Alosetron gut darstellen lässt. Ein detailliertes Memorandum3 gibt der Internet-Öffentlichkeit Einblicke in die begründeten Bedenken, denen
sich Hersteller und obere FDA-Beamten verschließen. In Deutschland und der EU fehlen Möglichkeiten, behördeninterne Diskussionen und
Widersprüche nachzuvollziehen. Bisweilen erfährt man jedoch, dass auch hierzulande kritische Mitarbeiter versetzt, entlassen oder per Dienstanweisung
ausgebremst werden (a-t 1993; Nr. 10, Sonderausgabe: 120).*
Arzneimittelgesetze und Zulassungskriterien wurden weltweit unter dem Eindruck tausender CONTERGAN-Geschädigter verschärft. Industrie und
Behörden haben die Lektion jedoch nicht gelernt, wie ihr Verhalten in der Blut/ AIDS-Katastrophe erkennen lässt (a-t 1992; Nr. 12: 127-30). Heute gelten nicht mehr Sorgfalt und Unabhängigkeit der Entscheidungen als
Maßstab für die Qualität einer Zulassungsbehörde, sondern zunehmend deren Geschwindigkeit im Interesse der Warenanbieter (a-t 1999; Nr. 6: 59-60).
Für unabhängige Beobachter lassen sich Zulassungsentscheidungen oft nicht mehr mit vorhandenen Daten nachvollziehen. Voreingenommenheit und
Beeinflussung sind zu befürchten. Zweifel an der sachgerechten Abwägung von Nutzen und Schaden haben wir beispielsweise bei der Zulassung von
Sirolimus (RAPAMUNE, Seite 59), dem neuen Potenzmittel Apomorphin (IXENSE, UPRIMA; s. unten), Glitazon-Antidiabetika (Seite
64) und dem Raucherentwöhnungsmittel Bupropion (ZYBAN; Seite 64, a-t
2001; 32: 56).
Häufung zweifelhafter Zulassungsentscheidungen und undurchsichtige Verquickungen von Behördenvertretern und Firmenmitarbeitern erfüllen mit
Sorge, weil Patientenschutz dabei unterzugehen droht. Transparenz und eindeutige Verhaltensregeln müssen gewährleistet werden, um
Interessenkonflikte zu erkennen und zu vermeiden.
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