Ende Mai ist der mit Spannung erwartete siebte Bericht des US-amerikanischen JNC* erschienen. In der ersten internationalen Empfehlung seit
Publikation der ALLHAT**-Studie1 (a-t 2003; 34: 1-2) wird die vorrangige Bedeutung der Thiazide und
Thiazid-artigen Diuretika einschließlich Chlortalidon (HYGROTON) unterstrichen, die besser als alle anderen antihypertensiven Substanzen den
kardiovaskulären Komplikationen der arteriellen Hypertonie vorbeugen. Daher sollen Patienten mit Bluthochdruck (über 140/90 mmHg) in der Regel initial
ein niedrig dosiertes Diuretikum der Thiazidgruppe wie Hydrochlorothiazid (ESIDRIX u.a.) oder Chlortalidon einnehmen. Sinkt der Blutdruck nicht ausreichend, wird
ein weiteres Antihypertensivum ergänzt, beispielsweise ein Betablocker oder ACE-Hemmer. Liegt der Ausgangswert um mehr als 20 mmHg systolisch bzw. 10
mmHg diastolisch über dem Therapiezielwert, kann die Monotherapie übersprungen werden und die Behandlung direkt mit einer Zweier-Kombination aus
Diuretikum und Antihypertensivum der zweiten Wahl beginnen. Lediglich bei bestimmten Begleitkrankheiten sind initial andere Antihypertensiva zu bevorzugen: So
sollen beispielsweise Patienten mit Angina pectoris zunächst einen Betablocker einnehmen, Personen mit Zeichen einer Herzinsuffizienz ACE-Hemmer und
Betablocker.2
Im Gegensatz zum JNC 7 stuft die Deutsche Liga zur Bekämpfung des hohen Blutdruckes weiterhin Diuretika, Betablocker, Kalziumantagonisten, ACE-
Hemmer und AT1-Antagonisten als gleichrangig ein und rät zu "subtiler Abwägung".3 In einer im Internet veröffentlichten
Stellungnahme wird suggeriert, dass bei den Befürwortern von Diuretika Kostenargumente im Vordergrund stehen. Die von der Liga geäußerte Kritik an
ALLHAT halten wir im Wesentlichen für unbegründet (siehe Kasten, Seite 58).
Erstmals empfiehlt das JNC eine nichtmedikamentöse Behandlung (Gewichtsabnahme, Einschränkung des Kochsalzkonsums, körperliche
Bewegung, Diät reich an Gemüse und Früchten) bereits bei Blutdruckwerten von systolisch 120-139 und/oder diastolisch 80-89 mmHg. Dieser
bislang als normoton geltende Blutdruckbereich wird jetzt als "prähypertensiv" bezeichnet. Das JNC begründet seine Empfehlung mit dem
erhöhten Risiko der Betroffenen, einen manifesten Bluthochdruck zu entwickeln (je nach Alter und Ausgangswert 2- bis 12fach höher als bei einem
Blutdruck unter 120/80 mmHg)4. Mit dieser Absenkung der Normalwerte werden die meisten Erwachsenen zu "prähypertensiv" Kranken
gemacht. Für sie ist jedoch nicht belegt, dass sich die empfohlenen nichtmedikamentösen Maßnahmen überhaupt langfristig umsetzen lassen, dass
dadurch die Entwicklung einer Hypertonie verhindert oder die Rate an Komplikationen des Bluthochdrucks gesenkt wird.
ZUR KRITIK AN ALLHAT
Die Schlussfolgerung aus ALLHAT, Diuretika vom Thiazidtyp von nun ab als erste Wahl in der Hochdrucktherapie zu betrachten, hat Kritik hervorgerufen.
Argumente wie die unten dargestellten finden sich meist nicht in den Leserbriefrubriken seriöser wissenschaftlicher Zeitschriften mit Peer Review, sondern
erscheinen unkommentiert in Blättern, die überwiegend von Anzeigen der Pharmahersteller abhängen, oder in Äußerungen von
Meinungsbildnern.5 Wir kommentieren einige häufig geäußerte Behauptungen:
Wegen des relativ hohen Anteils an Afroamerikanern (35%), die schlechter auf ACE-Hemmer ansprechen, sind die Ergebnisse nur bedingt auf europäische
Länder übertragbar. - Afroamerikaner und Nicht-Schwarze (Blacks/Nonblacks) waren prädefinierte Subgruppen. Die wichtigsten Endpunkte
wurden für sie zusätzlich getrennt ausgewertet - nachzulesen in der Originalpublikation. Danach ergibt sich für Lisinopril (ACERBON u.a.) im Vergleich
zu Chlortalidon für den Endpunkt Herzinsuffizienz bei den Afroamerikanern eine Risikosteigerung um 32% (35% Konfidenzintervall [CI] 11% bis 58%) und für
die "Nonblacks" eine geringere, aber ebenfalls signifikante Risikosteigerung um 15% (95% CI 1% bis 30%).1 Es gibt also auch für
"Nonblacks" einen signifikanten Nachteil von Lisinopril bei Herzinsuffizienz sowie einen Trend zu Ungunsten des ACE-Hemmers bei kombinierten
kardiovaskulären Komplikationen, jedoch bei keinem Endpunkt einen Vorteil von Lisinopril. Beim Vergleich von Amlodipin (NORVASC) mit Chlortalidon decken
sich die Ergebnisse der Subgruppen durchgehend mit denen der Gesamtgruppe.1
Die Erfassung des Endpunktes Herzinsuffizienz ist fehleranfällig. Knöchelödeme, eine spezifische Störwirkung von Kalziumantagonisten wie
Amlodipin, könnten als Symptom einer Herzinsuffizienz fehlgedeutet worden sein. - Die Definition des Endpunktes Herzinsuffizienz verlangte Symptome der
links- oder rechtsventrikulären Dysfunktion, die nicht anderen Ursachen zugeschrieben werden können. Neben Befunden wie Ödem, Tachykardie
u.a. waren Beschwerden wie Ruhedyspnoe oder Orthopnoe gefordert.6 81% der Fälle wurden zudem nachträglich zentral überprüft.
Werden nur diese ausgewertet, sollen die Unterschiede in den Behandlungsarmen bestehen bleiben.7
Unter Chlortalidon ist der Blutdruck deutlich niedriger als unter Lisinopril. Diese Blutdruckunterschiede erschweren die Interpretation der Ergebnisse. - Der
Zielwert, ein Blutdruck unter 140/90 mmHg, wird im Chlortalidon-Behandlungsarm nach fünf Jahren mit 68,2% häufiger erreicht als im Lisinopril-Arm (61,2%).
Chlortalidon senkt den systolischen Blutdruck stärker als Lisinopril und Amlodipin. Der diastolische Blutdruck sinkt unter dem Kalziumantagonisten stärker
als unter dem Diuretikum. Die durchschnittliche Zahl der eingenommenen Antihypertensiva ist im Chlortalidon-Arm mit 1,8 gegenüber 1,9 unter Amlodipin und 2,0
unter Lisinopril am geringsten. Eine statistische Korrektur unter Berücksichtigung der Blutdruckwerte verändert die Ergebnisse nicht relevant. Darüber
hinaus war die Wirksamkeit der Initialtherapie auch bezüglich der Effektivität der Blutdrucksenkung eine gewollte Intervention in ALLHAT. Wenn Diuretika
vom Thiazidtyp Hochdruckkomplikationen besser verhindern, weil sie den Blutdruck besser senken, spricht dies für und nicht gegen ihre Überlegenheit
gegenüber den anderen Antihypertensiva.
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