Eines der nach wie vor nicht erreichten Hauptziele der Diabetestherapie ist, das erhöhte Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko dieser Patienten zu
senken. Die bisher größte Untersuchung zum Präventionspotenzial von Statinen bei Diabetes ist die Heart Protection Study (HPS).1 In diese
Studie werden als eine prädefinierte Untergruppe 5.963 Diabetespatienten zwischen 40 und 80 Jahren (mittleres Alter 62 Jahre) aufgenommen, deren
Gesamtcholesterin über 135 mg/dl liegt, und über eine Zeit von fünf Jahren mit täglich 40 mg Simvastatin (ZOCOR u.a.) oder Plazebo
behandelt. 90% haben einen Typ-2-Diabetes, 40% einen behandelten Bluthochdruck, 70% sind Männer, 68% Raucher oder Ex-Raucher. Bei der Hälfte
sind keine kardiovaskulären Erkrankungen bekannt.
Im Laufe der fünf Studienjahre erleiden unter Simvastatin 20,2% der Patienten schwere vaskuläre Ereignisse (kardiovaskulärer Tod, Herzinfarkt,
Schlaganfall oder operative vaskuläre Eingriffe) im Vergleich zu 25,1% unter Plazebo (Number needed to treat [NNT] = 21). Koronare Ereignisse werden von
12,6% auf 9,4% (NNT = 32), Schlaganfälle von 6,5% auf 5,0% (NNT = 67), erforderliche Revaskularisationen von 10,4% auf 8,7% (NNT = 59) reduziert. Wenn
zusätzlich zum Diabetes eine vaskuläre Erkrankung bekannt ist, sinkt das Risiko eines schweren vaskulären Ereignisses von 36% auf 31% (NNT =
20), bei Patienten ohne bekannte atherosklerotische Vorerkrankung von 13,5% auf 9,3% (NNT = 24).
Wie in der Gesamtstudie (a-t 2002; 33: 83-4) profitieren auch Diabetespatienten von Simvastatin unabhängig von
Alter, Geschlecht, Gewicht und Höhe des Gesamt-, LDL- und HDL-Cholesterins oder der Triglyzeride. Auch Diabetesdauer und Höhe des HbA1c-Wertes
haben keinen Einfluss auf den Nutzen der Behandlung. Simvastatin verlangsamt die Verschlechterung der Nierenfunktion gemessen am Verlauf des Serumkreatinins
signifikant: Die errechnete glomeruläre Filtrationsrate nimmt in der Plazebogruppe pro Jahr um 1,34 ml/min ab, dagegen unter Simvastatin nur um 1,18 ml/min
pro Jahr. Dieser Wert entspricht nahezu der üblichen altersbedingten Reduktion der Nierenfunktion bei Gesunden. Die statintypischen Leber- und
Muskelschäden kommen in der Untergruppe mit Diabetes wie in der Gesamtgruppe der HPS vergleichsweise selten vor.
Ob die Therapie mit Simvastatin allen über 40-jährigen Patienten mit Diabetes nützt, lässt sich unseres Erachtens mit der HPS-Studie nicht
beantworten. Sie war zwar als Primär- und Sekundärpräventionsstudie angelegt. Da die aufgenommenen Patienten jedoch nicht systematisch auf
vorliegende kardiovaskuläre Erkrankungen untersucht wurden, ist die Folgerung, dass auch Diabetespatienten mit niedrigem kardiovaskulärem Risiko von
Simvastatin profitieren, aus den Daten der HPS nicht ableitbar. Auch eine Metaanalyse randomisierter Studien kommt zum Schluss, dass der Effekt einer
Primärprävention vaskulärer Erkrankungen mit Statinen bei Diabetes unsicher ist.2 Beim jetzigen Kenntnisstand ist ein Nutzen nur für
die sicherlich große Mehrzahl der Diabetespatienten mit manifesten atherosklerotischen Erkrankungen oder hohem Risiko für solche Erkrankungen* und
nur für Simvastatin belegt.
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Hilfen für die grobe Abschätzung des kardiovaskulären Risikos bei Diabetes
bieten z.B. http://www.aok-bv.de/gesundheit/curaplan/basis/ebmed/index_004
58.html#ee oder http://www.chd-taskforce.com
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Möglicherweise sind die positiven Effekte Simvastatin-spezifisch und kein einheitlicher Gruppeneffekt der Statine. In der ASCOT-LLA**-Studie mit Atorvastatin
(SORTIS) bleibt bei den 2.532 Patienten mit Diabetes ein positiver Effekt aus (a-t 2003; 34: 38).3 Die
ALLHAT-LLT**-Studie mit Pravastatin (MEVALOTIN, PRAVASIN) zeigt weder in der Gesamtgruppe noch in der Gruppe der 3.638 Patienten mit Diabetes einen
positiven Einfluss auf Mortalität oder kardiovaskuläre Ereignisse (a-t 2003; 34: 14-5).4
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ALLHAT-LLT = The Antihypertensive and Lipid-Lowering Treatment to
Prevent Heart Attack Trial – Lipid Lowering Trial
ASCOT-LLA = Anglo-Scandinavian Cardiac Outcomes Trial – Lipid Lowering
Arm
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Täglich 40 mg Simvastatin (ZOCOR u.a.) senken bei über 40-
jährigen Patienten mit Diabetes mellitus, Gesamtcholesterin über 135 mg/dl und manifesten atherosklerotischen Erkrankungen oder hohem Risiko für
solche Erkrankungen die Rate schwerer kardiovaskulärer Ereignisse von 25% auf 20%.
Wie bei Nicht-Diabetikern besteht der Nutzen unabhängig von Alter,
Geschlecht und Höhe der Cholesterinwerte. Therapiesteuerung nach Serumcholesterin erübrigt sich daher.
Ein Nutzen von Simvastatin für Diabetespatienten mit niedrigem
kardiovaskulären Risiko lässt sich aus den bisherigen Daten einschließlich der Heart Protection Study nicht ableiten. Für andere Statine ist ein
Nutzen bei Diabetes gar nicht belegt.
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