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BOTULINUMTOXIN UND ANDERE VERFAHREN GEGEN HYPERHIDROSE

Schwitzen dient primär der Regulierung der Körpertemperatur. Starkes Schwitzen über die Erfordernisse der Thermoregulierung hinaus wird als Hyperhidrose bezeichnet. Infektionskrankheiten, maligne Erkrankungen, Stoffwechselstörungen oder auch bestimmte Arzneimittel können mit krankhaft vermehrtem Schwitzen einhergehen. Starkes Schwitzen ohne erkennbare Ursache, die primäre Hyperhidrose, ist typischerweise auf Achselhöhlen (Hyperhidrosis axillaris), Handinnenflächen (H. palmaris) und Fußsohlen (H. plantaris) begrenzt. Valide Daten zur Häufigkeit der primären Hyperhidrose fehlen. Vorwiegend scheinen Heranwachsende und junge Erwachsene betroffen. Die Störung soll sich mit dem Alter bessern, kann aber bei einem Teil der Betroffenen lebenslang anhalten.1,2 Sie kann besonders bei starker Ausprägung eine erhebliche psychische Belastung darstellen.

LOKALE BEHANDLUNG: Wegen der Gutartigkeit der Störung haben - neben allgemeinen hygienischen Maßnahmen - nicht invasive risikoarme Behandlungsverfahren Vorrang. Veröffentlichte Nutzenbelege für diese Verfahren aus kontrollierten Studien sind allerdings spärlich. Therapie der Wahl bei Hyperhidrosis palmaris oder plantaris ist die Leitungswasseriontophorese. Dabei werden Hände oder Füße 10 bis 30 Minuten auf Metallplatten, die an schwachem Gleichstrom (8-25 mA, 20-40 V) angeschlossen sind, in Leitungswasser gebadet. Der Wirkmechanismus ist nicht geklärt. Die Therapie muss anfangs etwa zwei Wochen lang täglich wiederholt werden, bis ein Effekt spürbar wird. Für einen dauerhaften Erfolg ist eine Erhaltungstherapie erforderlich, allerdings meist nur in größeren Abständen, in der Regel etwa ein- bis dreimal wöchentlich.3-5

In einem randomisierten Rechts-Links-Vergleich lässt sich das Schwitzen der Hände durch Iontophorese bei 15 (83%) von 18 Teilnehmern deutlich mindern. Bei zwei Patienten (11%) bleibt ein Effekt aus.6 Die Iontophorese mit gepulstem Gleichstrom kommt mit geringerer Stromstärke und Spannung (8-12 mA, 16 V) aus, soll aber ähnlich wirken und besser vertragen werden.7 An unerwünschten Wirkungen sind Kribbeln, Brennen, Hautrötung, Blasenbildung, Austrocknung und Schuppung der Haut sowie Juckreiz beschrieben.4,5 Heimgeräte werden angeboten, sind jedoch teuer (z.B. 922,20 € für HIDREX SET PS2).

Mittel der Wahl zur Behandlung der ausgeprägten axillären Hyperhidrose ist Aluminiumchloridhexahydrat als Externum. Die Wirkung des Metallsalzes wird darauf zurückgeführt, dass es die Ausführungsgänge der Schweißdrüsen verlegt. Empfohlen wird eine 15%- bis 20%ige wässrige Zubereitung (vgl. a-t 1994; Nr. 10: 99), die als Rezeptur in der Apotheke hergestellt (z.B. Aluminiumchlorid-Hexahydrat-Gel 20% [NRF 11.24], 50 g im Roll-on-Stift 9,55 €) zur Nacht auf die trockene Haut aufgetragen wird. Anfangs muss die Behandlung mehrere Wochen lang täglich wiederholt werden. Anschließend kann eine Erhaltungstherapie von ein- bis zweimal pro Woche ausreichen.3 Aluminiumchloridlösung wirkt nach einer kleinen kontrollierten Studie auch bei Schweißhänden,8 erfahrungsgemäß aber schlechter als in den Achselhöhlen.3 Die saure Lösung reizt die Haut bei einem hohen Prozentsatz der Anwender. Manche Patienten vertragen dies nicht.9 Vorsicht ist bei Niereninsuffizienz geboten wegen der Gefahr der Aluminiumüberladung.10

SYSTEMISCHE BEHANDLUNG UND OPERATIVE VERFAHREN: Ekkrine Schweißdrüsen werden sympathisch innerviert, Botenstoff ist jedoch Azetylcholin. Übermäßiges Schwitzen lässt sich daher auch mit systemischen Anticholinergika dämpfen.3 Bornaprin (SORMODREN) wird für diese Indikation angeboten (in Nachzulassung). Das Störwirkungsprofil systemischer Anticholinergika mit Mundtrockenheit, Sehstörungen, Verstopfung, Harnverhalt und Verschlechterung hirnorganischer Leistungsstörungen schränkt ihre Brauchbarkeit in der Praxis aber erheblich ein.3,9

Operativ können entweder - bei axillärer Hyperhidrose - die Schweißdrüsen entfernt werden oder - bei palmarer Hyperhidrose - die sympathischen Ganglienzellen entlang der Wirbelsäule (sympathischer Grenzstrang), die die Schweißdrüsen innervieren. Operative Verfahren sollen eine definitive Lösung des Problems bringen, können aber mit potenziell schwerwiegenden Komplikationen einhergehen. Nekrosen, Plexusverletzungen und Narben, die die Beweglichkeit einschränken können, gehören zu den Risiken der Schweißdrüsenentfernung, Horner-Syndrom, Pneumothorax und zum Teil irreversibles kompensatorisches Schwitzen in anderen Körperregionen zu denen der Sympathektomie.3,9

BOTULINUMTOXIN A: Das Botulinumtoxin-A-Präparat BOTOX (vgl. a-t 1993; Nr. 9: 87-9; 2003; 34: 39) ist seit August in Deutschland auch zur Behandlung der starken primären axillären Hyperhidrose zugelassen, die sich auf Alltagsaktivitäten störend auswirkt und auf topische Behandlung nicht hinreichend anspricht.11,12 Botulinumtoxin blockiert irreversibel die Freisetzung von Azetylcholin aus präsynaptischen Nervenendigungen. Die Innervation der motorischen Endplatten kehrt durch Nachwachsen neuer Nervenendigungen innerhalb von drei Monaten zurück.12 Auch die Blockade der die Schweißdrüsen innervierenden sympathischen Nerven scheint reversibel zu sein.

Zum Nutzen von BOTOX bei axillärer Hyperhidrose liegt eine randomisierte Phase-III-Studie vor, an der 320 Patienten mit axillärer Schweißproduktion von mindestens 50 mg in fünf Minuten teilnehmen. Eine einmalige Therapie mit 50 Einheiten (E) Botulinumtoxin A pro Axilla, verteilt auf je 10 bis 15 intradermale Injektionen, reduziert die Schweißsekretion nach vier Wochen bei 94% (227 von 242) der Patienten um mindestens die Hälfte. Die Ansprechrate unter Plazebo beträgt 36% (28 von 78 Patienten; Number needed to treat [NNT] = 2).13 Der Nutzen hält in einer offenen Nachfolgestudie, in der ein Teil der Patienten bis zu 16 Monate nachbeobachtet und bei Bedarf erneut behandelt wird, durchschnittlich sieben Monate an. 16 Wochen nach der ersten, zweiten und dritten Behandlung liegen die Ansprechraten zwischen 80% und 85%.14 Nach anderen Erfahrungen ist bereits nach etwa vier Monaten der Ausgangszustand wieder erreicht.15 Der Einfluss der Therapie auf die allgemeine Lebensqualität ist gering und von fraglicher klinischer Relevanz.16 Langzeiterfahrungen fehlen. Eine Behandlung mit 100 E BOTOX kostet 408,02 € (Österreich 452,55 €; keine Zulassung für Hyperhidrose).

4,5% der Patienten klagen über verstärkte Schweißbildung außerhalb der Achselhöhlen nach Anwendung von Botulinumtoxin. Häufig sind auch Reaktionen an der Injektionsstelle, Schmerzen und Hitzewallungen. Bei 0,7% kommt es zu vorübergehender Schwäche in den Armen. Als seltene unerwünschte Wirkungen sind seit Einführung von BOTOX Hautreaktionen, darunter Erythema multiforme, allergische Reaktionen, anaphylaktische Schocks und zum Teil tödliche kardiovaskuläre Komplikationen wie Herzrhythmusstörungen sowie plötzliche Todesfälle bekannt geworden.12 In der Literatur werden zudem generalisierte Muskelschwäche (Botulismus-ähnliches Syndrom), autonome Störungen wie Akkommodationsstörung und Mund- und Rachentrockenheit mit Schluckbeschwerden sowie schwere, therapieresistente Kopfschmerzen nach Anwendung von Botulinumtoxinen bei Hyperhidrose beschrieben.17-20

Die Verbreitung von Informationen über die Botulinumtoxin-Behandlung in Lifestyle-Magazinen, Fernsehen und Internet hat die Nachfrage geschürt. Behandlungswünsche kommen offenbar zunehmend auch von Patienten, bei denen sich gar keine übermäßige Schweißproduktion nachweisen lässt und deren Leiden am Schwitzen eher im Sinne einer psychischen Störung zu interpretieren ist. Botulinumtoxin ist hier als kontraindiziert anzusehen.21

Für die Anwendung gegen starkes Schwitzen der Hände ist Botulinumtoxin nicht zugelassen. Zum Nutzen bei dieser Indikation sind bisher nur zwei kleine randomisierte Studien mit Rechts-Links-Vergleich veröffentlicht, in denen jeweils eines der Botulinumtoxin-A-Präparate (BOTOX, DYSPORT) geprüft wird. Die Behandlung wirkt zwar bei den meisten Patienten.22,23 Die Handmuskeln werden jedoch in einem hohen Prozentsatz zumindest subklinisch geschwächt.24 Über eine spürbare Muskelschwäche berichten in einer Studie 26 (74%) von 35 Patienten nach intradermaler Injektion von durchschnittlich 161 E BOTOX pro Handinnenfläche.24 Wie sich diese Schädigung, die zum Beispiel im Straßenverkehr eine Gefährdung bedeuten kann, unter wiederholter Behandlung langfristig auswirkt, ist nicht bekannt.



 Therapie der Wahl bei stark vermehrtem und störendem Schwitzen ohne erkennbare Ursache (primäre Hyperhidrose) sind - wenn hygienische Maßnahmen nicht ausreichen - die risikoarmen lokalen Verfahren: die Leitungswasseriontophorese bei palmarer und plantarer Hyperhidrose und Aluminiumchlorid-Externum bei axillärer Hyperhidrose.

 Botulinumtoxin A (BOTOX) intradermal dämpft die axilläre Schweißbildung bei der Mehrzahl der Anwender mehrere Monate lang deutlich. Die Therapie ist nur als Reserve bei Versagen der Lokalbehandlung zugelassen. Ein positiver Einfluss auf die allgemeine Lebensqualität ist nicht hinreichend gesichert. Wir raten wegen fehlender Daten zu Langzeitnutzen und -sicherheit zu äußerster Zurückhaltung mit diesem Verfahren.

 Vom Gebrauch von Botulinumtoxin bei Schweißhänden raten wir ab. Die nicht zugelassene Therapie geht fast regelmäßig mit Schwäche der Handmuskeln einher. Die langfristigen Folgen sind nicht überschaubar.

© 2003 arznei-telegramm

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