Bitte nehmen Sie zur NALCAM-Studie1 Stellung. Besonders interessiert mich Ihre Beurteilung der dort gezogenen
"Schlussfolgerungen für die Praxis".
Dr. med. H. Keller (Chefarzt Med. Klinik, Schwerpunkt Abhängigkeitserkr.)
D-13359 Berlin
Interessenkonflikt: keiner
In der an zwei Hamburger Kliniken durchgeführten plazebokontrollierten NALCAM-Studie wird der Einfluss des Opioidantagonisten Naltrexon (NEMEXIN),
des Alkoholentwöhnungsmittels Acamprosat (CAMPRAL) sowie der Kombination beider Wirkstoffe auf die Abstinenzrate von alkoholkranken Patienten
geprüft. Naltrexon ist in den USA und anderen Ländern, nicht jedoch in Deutschland, zur Rückfallprophylaxe nach Alkoholentwöhnung
zugelassen. 160 stationär behandelte, abstinente Patienten werden in die Dreimonats-Studie eingeschlossen. Innerhalb der letzten Woche vor Entlassung
beginnen sie mit der Einnahme der Studienmedikation. Während der folgenden ambulanten Phase werden sie einmal in der Woche verhaltenstherapeutisch
betreut. In allen mit Verum behandelten Gruppen erleiden weniger Patienten einen schweren Rückfall als unter Plazebo, definiert als Trinken von fünf oder
mehr "Standarddrinks" bei Männern, vier Drinks bei Frauen. Die Kombination ist der Monotherapie mit Acamprosat überlegen, jedoch nicht
besser als Naltrexon allein. Das Alkoholverlangen (Craving) wird in allen Behandlungsgruppen im Verlauf geringer. Nur für die Kombination ist der Unterschied zu
Plazebo signifikant. Auf Labormarker für Alkoholkonsum wie Gamma-GT, MCV und CDT* hat die Therapie keinen Einfluss.1
Methodische Probleme und Qualitätsmängel der Publikation schmälern die Aussagekraft der Studie: Die Randomisierung erfolgt vermutlich nicht
verdeckt, sodass Einfluss auf die Zuordnung der Patienten möglich erscheint. Von 782 alkoholkranken Patienten, die im Studienzeitraum in den Kliniken
behandelt werden, nimmt nur ein Fünftel an der Untersuchung teil. Diese starke Selektion macht eine Übertragbarkeit der Ergebnisse problematisch. Eine
nachvollziehbare Darstellung der Hauptergebnisse, Fallzahlkalkulation und Angaben zur Präzision der Ergebnisse mittels Konfidenzintervallen fehlen.
Darüber hinaus werden, wie in den meisten Studien zur Abstinenz, nur Kurzzeitdaten präsentiert. Der langfristige Effekt auf Alkoholabhängigkeit oder
Organschäden durch Alkohol bleibt offen.
Die Schlussfolgerung der Autoren, dass eine "Nichtverordnung der medikamentösen Rückfallprophylaxe ... nur in rational begründbaren
Einzelfällen erfolgen (sollte)",1 lässt sich mit diesen Daten nicht rechtfertigen. Interessanterweise werden diese Forderungen in einer
Zweitpublikation2 nicht erhoben. Unsere Einschätzung von Acamprosat als Mittel mit allenfalls marginalem Nutzen (a-t 2002; 33: 73) ändert sich durch diese Studiendaten nicht. Auch für Naltrexon liegen vor allem positive
Kurzzeitstudien über drei Monate vor. Eine Einjahresstudie kommt zu einem negativen Ergebnis.3
Die methodisch mangelhafte NALCAM-Studie zur Rückfallprophylaxe bei Alkoholabhängigkeit ist nicht geeignet, den therapeutischen Stellenwert des
hierzulande hierfür nicht zugelassenen Opioidantagonisten Naltrexon (NEMEXIN), von Acamprosat (CAMPRAL) oder der Kombination beider Mittel zu
sichern.
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(R =randomisierte Studie) |
R 1 |
KIEFER, F. et al.: Sucht 2003; 49: 342-51 |
R 2 |
KIEFER, F. et al.: Arch. Gen. Psychiatry 2003; 60: 92-9 |
R 3 |
KRYSTAL, J.H. et al.: N. Engl. J. Med. 2001; 345: 1734-9 |
R * |
CDT = Carbohydrate Deficient Transferrin |
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