In a-t 2004; 35: 28 wurde über die Marktrücknahme des Migränemittels
Pestwurz (PETADOLEX) in der Schweiz berichtet. Die Zulassungsbehörde der Schweiz hatte aufgrund von sechs in Deutschland gemeldeten
Verdachtsfällen von Leberschädigungen durch PETADOLEX dieses Präparat bei nicht gesichertem Nutzen verboten. Für uns hat dies
Bedeutung, da wir die Klinik waren, die den sechsten Verdachtsfall einer Hepatitis im Zusammenhang mit PETADOLEX gemeldet hat.
Überraschenderweise erhielten wir jetzt ein Werbeschreiben der Firma Weber & Weber, in dem PETADOLEX als Therapiestandard in der
Migräneprophylaxe beworben wird. Die wesentliche Begründung für diese Werbeschlagzeile ist die Aufnahme des Präparates in die
Therapieleitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.
Für mich ist nicht nachvollziehbar, dass ein Medikament, das von einer europäischen Zulassungsbehörde nach entsprechender Prüfung
verboten wurde, in Deutschland massiv beworben werden kann und in einer Leitlinie geführt wird. Es wäre zu erwarten gewesen, dass an Stelle des
Werbeschreibens eine erklärende Stellungnahme der Herstellerfirma, bezogen auf die Vorgänge in der Schweiz, verschickt wird und dass die Deutsche
Gesellschaft für Neurologie eine Erklärung abgibt und auch die deutschen Arzneimittelbehörden umgehend reagieren...
Dr. med. M. DON (Funktionsoberarzt, Innere Med., St. Ansgar Krankenhaus) D-37671 Höxter
Interessenkonflikt: keiner
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat die Maßnahme der Schweizer Zulassungsbehörde bisher nicht kommentiert.
Konsequenzen sind kaum zu erwarten, da nach der Vorstellung des Bundesgesundheitsministeriums Beschleunigung und "Verschlankung" der
Zulassungsprozesse weitaus wichtigere Handlungsziele des BfArM darstellen sollen als die Patientensicherheit.1
Die positive Bewertung von Pestwurz (PETADOLEX) als Mittel der zweiten Wahl zur Migräneprophylaxe in der aktuellen Migräne-Leitlinie der deutschen
Gesellschaft für Neurologie ist wissenschaftlich nicht haltbar. In der angeblich "Evidenz-basierten" Leitlinie werden für Pestwurz keine
Störwirkungen angegeben. Auf die Gefährdung durch schwere Leberschäden, die in der Schweiz Anlass für die Marktrücknahme war,
wird nicht eingegangen (a-t 2002; 33: 41 und 2004; 35: 28). Der nach
oben gerichtete Pfeil in dem Dokument soll dem Leser bedeuten, dass eine positive Datenlage aus mindestens einer guten klinischen Studie
vorliegt.2
Eine Literaturrecherche führt jedoch nach wie vor nur zu einer vollständig publizierten randomisierten Studie mit 60 Patienten,3 die wegen
schwerer methodischer Mängel nicht aussagekräftig ist (a-t 2001; 32: 4, 13). In diesem Jahr ist eine
"unabhängige" Reanalyse veröffentlicht worden,4 die die zweifelhaften Daten der Original-Publikation aufwerten soll. Die Post-hoc-
Analyse wird unter Beteiligung des Herstellers durchgeführt, der Erstautor ist gleichzeitig federführend bei der Migräne-Leitlinie. Eine Nachauswertung
bekannter Studiendaten unter Beteiligung des Herstellers kann keine unverzerrten Ergebnisse liefern, auch wenn das Autorenteam dies suggeriert. Neben dieser
fragwürdigen "Evidenzschönung" liegen keine nachprüfbaren Belege für eine Wirksamkeit von Pestwurz vor. Eine darüber
hinaus angeführte größere Studie mit 245 Patienten ist seit 2002 trotz angeblich positiver Ergebnisse nur als Abstract veröffentlicht4
und daher einer objektiven Bewertung nicht zugänglich.
Der Vorgang ist ein eklatantes Beispiel für den Missbrauch des Etiketts "EbM" durch Firmen und beteiligte führende Meinungsbildner.
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