* Vorversion am 15. Apr. 2005 als blitz-a-t veröffentlicht.
Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA warnt vor erhöhter Sterblichkeit älterer dementer Patienten, die wegen Verhaltensstörungen
oder psychotischer Symptome "atypische" Neuroleptika einnehmen. In 17 plazebokontrollierten, durchschnittlich zehnwöchigen Studien mit 5.106
Demenzkranken, die Risperidon (RISPERDAL), Olanzapin (ZYPREXA), Aripiprazol
(ABILIFY) oder Quetiapin (SEROQUEL) erhalten, steigt das Risiko gegenüber Plazebo konsistent auf das 1,6- bis 1,7fache. Die Sterblichkeit unter
"atypischen" Neuroleptika liegt bei 4,5% gegenüber 2,6% unter Plazebo. Unter den Todesursachen dominieren kardiale Komplikationen wie
plötzlicher Herztod und Infektionen wie Pneumonie. Die Konsistenz der Ergebnisse bei den vier untersuchten "atypischen" Neuroleptika stützt
nach Ansicht der FDA die Übertragbarkeit auf alle Mittel dieser Gruppe einschließlich Clozapin (LEPONEX u.a.) und Ziprasidon (ZELDOX). Begonnene Behandlungen mit "atypischen" Neuroleptika bei Demenzkranken sollen
überprüft werden. Begrenzte, noch nicht vollständig ausgewertete Daten weisen auf einen ähnlichen Anstieg der Sterblichkeit unter
älteren Neuroleptika hin.1-3
In den USA gibt es bereits seit Ende der 80er Jahre Bestrebungen, den exzessiven Gebrauch von Neuroleptika in Pflegeheimen einzudämmen.4 In
Europa liegt er nach britischen und norwegischen Studien heute bei 24% bis 30%.5,6 Neuroleptika werden Pflegeheimbewohnern meist langfristig (89%)
verordnet, vorwiegend wegen Unruhe (40%) und häufig kombiniert mit weiteren Psychopharmaka (38%).7 Zunehmend finden "atypische"
Neuroleptika Verwendung.8
Von der Einnahme von Olanzapin in dieser Indikation raten wir wegen der auch nach Firmenangaben nicht belegten Wirksamkeit9 und des
erhöhten Schlaganfallrisikos seit längerem ab (a-t 2004; 35: 36). Zu Aripiprazol, Clozapin und Ziprasidon
finden wir keine randomisierten kontrollierten Studien, die die Wirksamkeit bei diesen Patienten belegen. In einer aktuell publizierten kleinen Studie mit
Quetiapin bleibt ein Nutzen aus.10 Risperidon, das bei Demenz ebenfalls mit erhöhtem Schlaganfallrisiko einhergeht (a-t 2002; 33: 130), führt nur in zwei von drei veröffentlichten plazebokontrollierten Studien zu signifikanter
Verbesserung in den primär ausgewerteten neuropsychiatrischen Tests, wobei insbesondere Aggressivität beeinflusst wird.11-13 In einer
unveröffentlichten Studie mit 473 an ALZHEIMER-Demenz und Psychose erkrankten Patienten beeinflusst Risperidon weder die psychotische Symptomatik
noch den klinischen Gesamteindruck besser als Plazebo.14
Klassische Neuroleptika wie Haloperidol (HALDOL u.a.) haben nach zwei neueren Metaanalysen nur einen mäßigen Nutzen bei
Demenz,15,16 der sich in Studien mit Haloperidol auf Dämpfung der Aggressivität zu beschränken scheint.15 Wesentliche
Unterschiede zwischen den verschiedenen konventionellen Neuroleptika lassen sich nicht erkennen.16 Auch ein Wirkvorteil von Risperidon
gegenüber Haloperidol ist nicht belegt.8 Der hohe Plazeboeffekt von zum Beispiel 70% in den Studien weist auf die hohe Spontanbesserungsrate
sowie auf die Bedeutung nichtmedikamentöser Interventionen wie vermehrte Zuwendung hin.8,17
Für weitere im klinischen Alltag bei dieser Indikation verwendete Arzneimittel ist kein überzeugender Nutzen belegt. Ein systematisches
Review zur Pharmakotherapie neuropsychiatrischer Symptome bei Demenz findet weder für Serotonin-Wiederaufnahmehemmer noch für
Valproinsäure (ERGENYL u.a.), Carbamazepin (TEGRETAL u.a.) oder Benzodiazepine ausreichende Nutzennachweise.18 Mit unerwünschten
Effekten wie den paradoxen Reaktionen unter Benzodiazepinen ist aber zu rechnen.18 In Studien mit Antidementiva wie Cholinesterasehemmern wird
überwiegend der Einfluss auf kognitive Parameter geprüft. Der geringfügige Vorteil in Tests zur neuropsychiatrischen Symptomatik wird als klinisch
irrelevant eingestuft.18 Wesentliche Endpunkte wie Lebensqualität werden durch diese Mittel offenbar nicht beeinflusst (a-t 2005; 36: 31).
Das Sterblichkeitsrisiko älterer dementer Patienten, die wegen
Verhaltensstörungen oder psychotischer Symptome "atypische" Neuroleptika einnehmen, steigt in plazebokontrollierten Studien auf das 1,6- bis
1,7fache. Ähnliches gilt nach vorläufigen Daten wahrscheinlich auch für konventionelle Neuroleptika.
Die neuen Warnungen unterstreichen die Notwendigkeit, die unkritische
Anwendung insbesondere "atypischer" Neuroleptika bei Pflegeheimbewohnern mit Demenz einzuschränken.
Eine Therapie mit Neuroleptika soll nur in Betracht gezogen werden, wenn
nichtmedikamentöse Maßnahmen versagt haben oder ungeeignet sind und nur bei schwerer psychotischer Symptomatik oder Aggressivität, wenn
diese mit Selbst- oder Fremdgefährdung einhergehen.
Nach individueller Nutzen-Schaden-Abwägung kommen unseres Erachtens am
ehesten klassische, möglichst wenig anticholinerg wirkende Mittel wie Haloperidol und bei deutlich schlechterer Beleglage eventuell auch Melperon
(EUNERPAN u.a.) oder Pipamperon (DIPIPERON u.a.) infrage. Sie sollen niedrig dosiert und nur kurzfristig mit regelmäßigen Absetzversuchen verordnet
werden.
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