Das Antiepileptikum Topiramat (TOPAMAX), dessen geplante Verwendung als Antiadipositum an seiner Unverträglichkeit scheiterte (a-t 2002; 33: 76-7), wird jetzt auch zur Migräneprophylaxe bei Erwachsenen angeboten (TOPAMAX MIGRÄNE), wenn Betablocker wie Propranolol (DOCITON u.a.) nicht
ausreichend wirken oder kontraindiziert sind. Eine vorbeugende medikamentöse Behandlung der Migräne kann erwogen werden, wenn pro Monat mehr
als drei nicht ausreichend therapierbare Migräneattacken auftreten. Die Prophylaxe soll Häufigkeit, Intensität und Dauer der Anfälle mindestens
halbieren und Medikamenten-induziertem Kopfschmerz vorbeugen.1
Drei vierarmige plazebokontrollierte Studien2-4 sollen den Nutzen der sechsmonatigen vorbeugenden Einnahme von Topiramat belegen. Verglichen werden
jeweils 50 mg, 100 mg und 200 mg des Antiepileptikums mit Plazebo bei insgesamt 1.545 überwiegend weiblichen Patienten (85%) mit mindestens sechs bzw.
zwölf Monate bestehender Migräne. Eine der Studien beinhaltet statt der 50-mg-Gruppe einen Propranolol-Arm, der jedoch nur deskriptiv ausgewertet
wird.4 Versagen von mehr als zwei prophylaktisch eingenommenen Mitteln in der Vorgeschichte sowie Gebrauch von Ergotaminen oder Triptanen an mehr
als acht Tagen im Monat gehört zu den vielen Ausschlusskriterien.
Angesichts gravierender Mängel in Design und Durchführung erachten wir die nahezu identisch konzipierten Untersuchungen als ungeeignet,
Wirksamkeit und Verträglichkeit von Topiramat zu belegen:
Als primärer Endpunkt wird nicht, wie international üblich und auch von
der europäischen Arzneimittelbehörde EMEA empfohlen, die Häufigkeit von Migräneattacken untersucht.5 Statt dessen werden
so genannte "Migräneperioden" konstruiert, Kopfschmerz, der innerhalb von 24 Stunden beginnt, endet oder wiederholt auftritt. Länger als 24
Stunden anhaltender Kopfschmerz stellt demnach eine erneute "Migräneperiode" dar. Für die Auswertung wird zudem ein unüblicher
statistischer Test gewählt. Die Beeinflussung von Migräneattacken wird nur in einer der drei Studien als einer von mehreren sekundären Endpunkten
untersucht: Topiramat wirkt hier nicht besser als Plazebo (Verringerung der durchschnittlichen Zahl der Attacken von eingangs 4,1 unter Plazebo bzw. 3,6 unter 100
mg Topiramat um -0,8 bzw. -1,1).4
"Migräneperioden" werden unter Topiramat nur in den 100-mg-
Gruppen signifikant von durchschnittlich 4,9 bis 5,8 pro Monat um 0,8 bis 1,3 mehr als unter Scheinmedikament verringert.2-4
Für die 50-mg-Dosis lassen sich in keiner der drei Studien Vorteile
gegenüber Plazebo erkennen. Warum in der deutschen Fachinformation6 50-100 mg/Tag als "übliche Dosis" angeführt werden, bleibt
unverständlich.
37% bis 47% der Teilnehmer scheiden vorzeitig aus den Studien aus. Valide
Schlussfolgerungen sind auf einer solchen Datenbasis nicht möglich. Als häufigster Grund wird in den Topiramat-Gruppen die schlechte
Verträglichkeit angegeben, unter Plazebo mangelnde Wirksamkeit.
Bei den verbleibenden Teilnehmern stellen die häufigen Störwirkungen,
beispielsweise Parästhesien bei jedem Zweiten, eine adäquate Verblindung in Frage.7
Der allenfalls bescheidene Nutzen von Topiramat wird mit massiven
Störwirkungen erkauft: Unter der am ehesten nachvollziehbaren Dosis von 100 mg dominieren Effekte auf das zentrale und periphere Nervensystem wie
Parästhesien (51%), Müdigkeit (15%), Geschmacksstörungen, Schwindel (je 8%), Somnolenz (7%) und kognitive Beeinträchtigungen durch
Konzentrationsprobleme (6%), Gedächtnis- und Sprachstörungen (je 7%) sowie gastrointestinale Störwirkungen wie Appetitlosigkeit (15%),
Übelkeit (13%), Durchfall (11%) und Gewichtsabnahme (9%).8 Ebenfalls häufig ist mit Angst (5%),8 Nervosität und Depression (je
4%)9 zu rechnen. Missbrauch ist beschrieben.10,11 Im Tierversuch wirkt Topiramat teratogen und embryotoxisch.6 In
Postmarketingberichten, unter anderem in der Indikation Epilepsie, werden Hypospadien bei männlichen Neugeborenen beobachtet.9 Vorsicht:
Topiramat vermindert möglicherweise die Wirksamkeit oraler Kontrazeptiva.6
Das Antiepileptikum Topiramat (TOPAMAX) wird neuerdings auch zur
Migräneprophylaxe angeboten (TOPAMAX MIGRÄNE), wenn Betablocker
unzureichend wirken oder kontraindiziert sind.
Der Nutzen ist unzureichend belegt, da die vorgelegten Studien gravierende
Mängel aufweisen.
Migräne ist letztlich eine gutartige Erkrankung, für die es verschiedene
Therapieprinzipien sowohl zur akuten Linderung als auch zur vorbeugenden Anwendung gibt. Angesichts des allenfalls bescheidenen Effekts von Topiramat und der
Häufigkeit und Schwere der Störwirkungen raten wir von der Verwendung des Antiepileptikums zur Migräneprophylaxe ab.
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