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Therapiekritik

IDEAL-STUDIE: HOCHDOSIERTES ATORVASTATIN (SORTIS) OHNE VORTEIL

Bei Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit ist der Nutzen einer Therapie mit täglich 20 mg bis 40 mg Simvastatin (ZOCOR u.a.) oder 40 mg Pravastatin (PRAVASIN u.a.) gut belegt (a-t 2004, 35: 56-60). Dagegen steht der Beweis für den Nutzen von Atorvastatin (SORTIS) bei chronischer koronarer Herzerkrankung bisher aus (a-t 2004; 35: 135-6). Die jetzt publizierte, von Pfizer gesponserte randomisierte IDEAL*-Studie vergleicht Atorvastatin in einer Hochdosis von täglich 80 mg mit Simvastatin in einer als üblich bezeichneten Dosis von täglich 20 mg bei Patienten mit Herzinfarkt in der Vorgeschichte und Statinindikation entsprechend nationaler Leitlinien. Bei Vorbehandlung mit einem Statin darf die Dosis maximal 20 mg Simvastatin entsprechen. Liegt der Cholesterinwert 24 Wochen nach Studienbeginn über 190 mg/dl, kann die Simvastatindosis auf täglich 40 mg erhöht werden. Die Atorvastatindosis kann bei Verträglichkeitsproblemen auf täglich 40 mg reduziert werden. Die Studie wird offen durchgeführt; lediglich die Bewertung der Endpunkte durch ein zentrales Evaluations-Komitee wird ohne Kenntnis der Gruppenzuteilung vorgenommen (PROBE**-Design).1

*

IDEAL = Incremental Decrease in Endpoints Through Aggressive Lipid Lowering

**

PROBE = Prospective Randomized Open label Blinded endpoint Evaluation

Zwischen März 1999 und März 2001 werden 8.888 im Mittel 62 Jahre alte Patienten aufgenommen. 81% sind Männer. 76% sind mit einem Statin, 79% mit Azetylsalizylsäure (ASS; APIRIN u.a.) und 75% mit einem Betablocker vorbehandelt. Nach 24 Wochen wird die Simvastatindosis bei 21% der Patienten auf täglich 40 mg erhöht und die Atorvastatindosis bei 6% auf täglich 40 mg reduziert. Am Ende nehmen 23% bzw. 13% 40 mg des jeweiligen Statins pro Tag.

Nach 4,8 Jahren sind unter Atorvastatin koronare Todesfälle, stationäre Aufnahmen wegen Infarkts oder Reanimationen wegen Herzstillstands (primärer kombinierter Endpunkt) insgesamt nicht signifikant seltener als unter Simvastatin (9,3% vs. 10,4%; Hazard Ratio 0,89, 95% Konfidenzinterval [CI] 0,78- 1,01; p = 0,07). Drei von sieben prädefinierten sekundären Endpunkten bleiben ebenfalls unbeeinflusst: koronare Todesfälle (3,9% vs. 4,0%; p = 0,90), Gesamtmortalität (8,2% vs. 8,4%; p = 0,81) und erfolgreiche Reanimationen (je 0,2%). Nicht-tödliche Infarkte (6,0% vs. 7,2%; p = 0,02), die Kombination aus koronaren Ereignissen plus Insulten (12,0% vs. 13,7%; p = 0,02), koronare Ereignisse inklusive koronarer Revaskularisationen und Aufnahmen wegen instabiler Angina (20,2% vs. 23.8%; p<0,001) sowie kardiovaskuläre Ereignisse (26,5% vs. 30,8%; p<0,001) sind unter Atorvastatin seltener.

Unter Atorvastatin brechen mehr Patienten die Studienmedikation wegen unerwünschter Ereignisse ab als unter Simvastatin (9,6% vs. 4,2%; p<0,001). Unter anderem sind Anstiege der Transaminasen und Myalgien häufiger. Gesicherte Myopathien treten unter beiden Mitteln nicht auf.1

Wesentliche methodische Schwäche der Studie ist zum einen das PROBE-Design mit der für Arzt und Patienten fehlenden Verblindung. Dadurch dass die Prüfärzte Begleitbehandlung und Endpunkterhebung in Kenntnis der jeweiligen Statintherapie durchführen, können die Ergebnisse, wie die Autoren selbst einräumen, verzerrt sein.1 Nach einer Metaanalyse ist bei fehlender Verblindung in kontrollierten Studien mit einer Effektüberschätzung von im Mittel 14% zu Gunsten der Prüfsubstanz zu rechnen.2 Auch die positiven Ergebnisse für einige der sekundären Endpunkte können nicht als Beweis für eine Überlegenheit von hoch dosiertem Atorvastatin dienen, da trotz multiplen Testens keine Adjustierung des Signifikanzniveaus erfolgt. Selbst eine Gleichwertigkeit von 80 mg Atorvastatin mit 20 mg Simvastatin ist durch die Studie nicht belegt, da diese Hypothese nicht getestet wird. Des weiteren vergleicht die IDEAL-Studie 80 mg Atorvastatin nicht mit der derzeitigen Standarddosis für Simvastatin. Zwar ähnelt das Dosierschema für Simvastatin dem der 4S*-Studie, in der schließlich 37% der Patienten mit 40 mg/d Simvastatin behandelt wurden und in der erstmals eine Senkung der Mortalität durch Simvastatin bei chronischer koronarer Herzerkrankung nachgewiesen wurde.3 Seit Publikation der HPS***-Studie (a-t 2002; 33: 83-4) gelten bei klinisch manifester Atherosklerose wegen der besseren Datenlage jedoch 40 mg Simvastatin pro Tag als Dosis der Wahl.4

***

4S = Scandinavian Simvastatin Survival Study; HPS = Heart Protection Study

Die Ergebnisse der IDEAL-Studie bekräftigen die aktuelle Entscheidung des Sozialgerichts Berlin, das Atorvastatin bei der Festsetzung der Festbeträge für Statine keine Sonderstellung zuerkannt hat.5

 Der Nachweis einer Überlegenheit von täglich 80 mg Atorvastatin (SORTIS) gegenüber 20 mg bis 40 mg Simvastatin (ZOCOR u.a.) bei Patienten mit Herzinfarkt in der Vorgeschichte, auf den die jetzt publizierte IDEAL-Studie angelegt war, ist misslungen.

 Gesamtsterblichkeit und koronare Mortalität bleiben unbeeinflusst. Die Vorteile für täglich 80 mg Atorvastatin bei anderen, überwiegend kombinierten sekundären Endpunkten haben keinen Beweischarakter.

 Auch eine Gleichwertigkeit von Atorvastatin mit Simvastatin ist durch die Studie nicht belegt.

 Unter Atorvastatin brechen mehr Patienten die Medikation wegen Störwirkungen ab als unter Simvastatin.

 Täglich 40 mg Simvastatin bleiben bei Patienten mit manifester Atherosklerose wie koronarer Herzkrankheit Mittel der Wahl.


 

 

(R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse)

R

1

PEDERSEN, T.J. et al.: JAMA 2005; 294: 2437-45

M

2

JÜNI, P. et al.: BMJ 2001; 323: 42-6

R

3

4S Study Group: Lancet 1994; 344: 1383-9

R

4

HPS Collaborative Group: Lancet 2002; 360: 7-22

 

5

Dt. Ärzteblatt online vom 22. Nov. 2005

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