IVABRADIN (PROCORALAN) BEI CHRONISCH STABILER ANGINA PECTORIS | ||||
Zur Prävention von Angina-pectoris-Anfällen bei chronischer koronarer Herzkrankheit (KHK) sind Betablocker Mittel der Wahl. Sie senken die Anfallsfrequenz, bessern die Belastbarkeit und reduzieren das Auftreten kardiovaskulärer Komplikationen. Bei Kontraindikation oder unzureichender Wirksamkeit werden alternativ oder ergänzend in erster Linie langwirksame oder retardierte Nitrate eingesetzt. Sie verbessern ebenfalls die Belastbarkeit und verringern die Anfallsfrequenz, jedoch nicht das Auftreten von Komplikationen. Zur Therapie bei chronischer KHK eignen sich auch Kalziumkanalblocker vom Verapamil-Typ oder langwirksame vom Dihydropyridin-Typ. Auch sie wirken rein symptomatisch.1Eine Nischenindikation besitzt Molsidomin (CORVATON u.a.), z.B. zur Überbrückung bei nitratfreien Intervallen. Mit dem f-Ionenkanalblocker Ivabradin (PROCORALAN) ist jetzt seit mehr als 30 Jahren erstmals wieder ein Mittel mit neuem antianginösen Wirkprinzip zur symptomatischen Therapie der chronischen KHK verfügbar. Die Zulassung ist beschränkt auf Patienten mit Unverträglichkeit oder Kontraindikation für Betablocker.2 WIRKPRINZIP: Ivabradin hemmt selektiv und spezifisch durch Blockade des so genannten f-Ionenkanals den f-Strom*. Dieser ist für
die spontanen diastolischen Depolarisationen des Membranpotenzials der Schrittmacherzellen im Sinusknoten verantwortlich und spielt für die Herzfrequenz
eine zentrale Rolle. Die Wirkung ist konzentrations- und aktivierungsabhängig ("use-dependent"), sodass die Frequenz um so deutlicher gesenkt
wird, je höher die Herzfrequenz ist. Andere Ionenkanäle und das übrige Reizleitungssystem des Herzens (intraatrial, atrioventrikulär und
intraventrikulär) sowie die myokardiale Kontraktilität sollen unbeeinflusst bleiben. Die antiischämische Wirkung von Ivabradin wird allein mit der
Senkung der Herzfrequenz erklärt: Der Sauerstoffverbrauch des Myokards wird reduziert, die diastolische Koronarperfusion verlängert und damit
verbessert.3-6
KLINISCHE WIRKSAMKEIT: Studien, die die zugelassene Indikation (bei Nichtanwendbarkeit von Betablockern) prüfen, liegen nicht vor. Eine
doppelblinde Dosisfindungsstudie über zwei Wochen vergleicht bei 360 Patienten mit chronisch stabiler KHK zweimal täglich 2,5 mg, 5 mg und 10 mg
Ivabradin mit Plazebo.7 Nur 257 werden protokollgerecht (keine Intention-to-treat-Analyse) ausgewertet. Ivabradin vermindert im Vergleich zu den
Ausgangswerten dosisabhängig die Herzfrequenz in Ruhe und unter Belastung um etwa 5, 10 bzw. 15 Schläge pro Minute. ST-Senkungen um 1 mm
(primärer Endpunkt) treten bei standardisierter Belastung unter 5 mg und 10 mg Ivabradin signifikant später auf als unter Plazebo (Verlängerung im
Vergleich zu den Ausgangswerten um 44 Sekunden [sec.] bzw. 46 sec. gegenüber 9 sec. unter Plazebo). Nur unter 10 mg wird die Zeit bis zu limitierenden
Anginabeschwerden unter Belastung verlängert (41 sec. vs. 13 sec.). Die Anzahl der Anginaattacken ist unter allen drei Ivabradin-Dosierungen numerisch, aber
nicht signifikant geringer als unter Plazebo.
Zweimal täglich 7,5 mg oder 10 mg Ivabradin sind in einem nicht publizierten Vergleich auch dem Kalziumantagonisten Amlodipin (NORVASC u.a., täglich 10 mg) nicht unterlegen. Die maximal tolerierten Belastungszeiten nehmen innerhalb von drei Monaten unter Ivabradin um 28 sec. bzw. 22 sec. und unter Amlodipin um 31 sec. gegenüber den Ausgangswerten zu. Die Belastungszeiten werden jedoch deutlich weniger verlängert als in den Vergleichen mit Atenolol und, gemessen an den Kriterien der Studie, in klinisch unbedeutendem Ausmaß. Bei der Zeit bis zum Auftreten von Anginabeschwerden unter Belastung, der Anzahl der Anginaattacken und dem Nitratverbrauch lassen sich keine Unterschiede zwischen Ivabradin und Amlodipin nachweisen. Beide Dosierungen von Ivabradin scheinen gleich zu wirken.4 In der zweiten unveröffentlichten Studie wird Ivabradin (zweimal täglich 5 mg bzw. 7,5 mg) mit Plazebo als Zusatz bei Patienten verglichen, deren Angina mit Amlodipin (10 mg täglich) nicht ausreichend behandelt ist. Beide Ivabradin-Dosierungen verbessern die Belastungszeiten nicht signifikant. Auch hinsichtlich der Zeit bis zum Auftreten von ST-Senkungen oder Anginabeschwerden bringt die Kombination keine Vorteile gegenüber Amlodipin allein.4 Die antianginöse Wirkung von Ivabradin scheint nach Daten aus Sicherheitsstudien (Anginafrequenz, Nitratverbrauch als sekundäre Endpunkte) in einem Zeitraum von zwölf Monaten nicht nachzulassen.4 Vergleiche mit Nitraten oder den frequenzsenkenden Kalziumkanalblockern Verapamil (ISOPTIN u.a.) und Diltiazem (DILZEM u.a.) sind nicht publiziert. Diese gelten derzeit bei Kontraindikation oder Unverträglichkeit von Betablockern als Alternativen der Wahl. VERTRÄGLICHKEIT: Am häufigsten sind Sehstörungen (16% unter täglich 10 mg bis 15 mg und 27% unter täglich 20 mg). Sie werden als reversible Lichtempfindlichkeit, umschriebene Lichtphänomene im Gesichtsfeld und Verschwommensehen beschrieben und mit den auch in der Retina nachweisbaren f-Ionenkanälen in Verbindung gebracht. Meist werden die Sehstörungen als harmlos empfunden. Einige Patienten brechen aber die Therapie ihretwegen ab.2,4 Bradykardien kommen bei 3% bis 5% der Patienten vor, schwere mit Frequenz unter 40/min bei 0,5%. Ventrikuläre Extrasystolen betreffen 3%. AV-Block ersten Grades ist selten. In den Vergleichsstudien kommt es unter Ivabradin ähnlich häufig zu meist als rhythmogen eingeordneten Todesfällen wie unter Amlodipin und Plazebo, aber häufiger als unter Atenolol.4 Kopfschmerz, Schwindel, Übelkeit, Palpitationen sowie Obstipation und Diarrhö treten gelegentlich auf.2,4 In Schwangerschaft und Stillzeit ist Ivabradin kontraindiziert. Da Ivabradin überwiegend durch CYP3A4 abgebaut wird, dürfen Hemmstoffe dieses Zytochroms (Azolantimykotika, Makrolide, Proteasehemmer u.a.; vgl. a-t 2001; 32: 89-91) wegen der Gefahr erhöhter Ivabradin-Spiegel und bedrohlicher Bradykardien nicht gleichzeitig eingenommen werden. Auch Verapamil und Diltiazem können die Ivabradinspiegel erhöhen und die Frequenz zusätzlich senken. Grapefruitsaft erhöht ebenfalls die Verfügbarkeit des Mittels. KOSTEN: Bezogen auf die monatlichen Kosten ist Ivabradin (PROCORALAN) mit 76 € bei zweimal täglich 7,5 mg acht- bis elffach teurer als preiswerte Generika mit Amlodipin (AMLO-CORAX, 9 € bei 10 mg/Tag), Atenolol (ATE ABZ, 7 € bei 100 mg/Tag), Diltiazem (DILTIAZEM BASICS, 10 € bei zweimal 90 mg Retard), Isosorbiddinitrat (ISDN AL RET., 8 € bei 80 mg Retard/Tag) oder Verapamil (VERAPAMIL ACIS RET., 9 € bei 240 mg/ Tag).
Mit Ivabradin (PROCORALAN) ist erstmals seit langem ein neues antianginöses Wirkprinzip erhältlich. |
| (R = Randomisierte Studie)
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1 | Scottish Intercollegiate Guidelines Network: Sign. Nr. 51; http://www.show.scot.nhs.uk/sign/guidelines/fulltext/51/section4.html | |
2 | Servier: Fachinformation PROCORALAN, Stand Okt. 2005 | |
3 | DiFRANCESCO, D., CAMM, J.A.: Drugs 2004; 64: 1757-65 | |
4 | EPAR PROCORALAN 2005: http://www.emea.eu.int/humandocs/Humans/EPAR/procoralan/procoral an.htm | |
5 | ER, F., HOPPE, U.C.: Dtsch. Med. Wochenschr. 2005; 130: 1501-2 | |
6 | DiFRANCESCO, D.: Curr. Med. Res. Opin. 2005; 21: 1115-22 | |
R | 7 | BORER, J.S. et al.: Circulation 2003; 107: 817-23 |
R | 8 | TARDIF, J.C. et al.: Eur. Heart J. 2005; 26: 2529-36 |
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