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                            a-t 2006; 37: 61-2nächster Artikel
Im Blickpunkt

DIABETESPROPHYLAXE: WAS BEDEUTEN DIE STUDIENERGEBNISSE?

Für wie wichtig halten Sie den Effekt einer prophylaktischen Maßnahme, die nach drei Jahren das Auftreten eines Diabetes mellitus von 29% in der Kontrollgruppe auf 14% in der Interventionsgruppe mindert? Und wie bedeutsam erscheint Ihnen eine Intervention, die nach drei Jahren das mittlere HbA1c von 6,1% auf 6,0% senkt? Mit diesen und acht weiteren ähnlich gearteten Fragen sind mehr als 300 Teilnehmer von drei europäischen Diabeteskonferenzen im Rahmen einer Hamburger Studie konfrontiert worden.1 Schätzt man das erste Resultat als nützlich, das zweite hingegen als unbedeutend ein, befindet man sich zwar in guter Gesellschaft mit den zum Teil in "evidenzbasierter Medizin" geschulten Diabetesexperten, wurde jedoch gezielt in die Irre geführt: Beide Ergebnisdarstellungen sind Resultat derselben Intervention aus einer Studie zur Diabetesverhütung mit Modifikationen des Lebensstils und Metformin (GLUCOPHAGE u.a.).2

Wird bei der Erfassung eines Endpunktes ein Schwellenwert ("Cut off") definiert - wie es bei der Definition von Diabetes mellitus erforderlich ist - und werden somit alle diejenigen, die über diesem Wert liegen, als krank, die darunter als gesund klassifiziert, kann dies den Therapieeffekt künstlich aufblähen. Es muss nur eine Vielzahl von Patienten in der Interventionsgruppe knapp unterhalb, ein großer Teil der Kontrollpatienten knapp oberhalb des Schwellenwertes liegen. Ob die minimalen real existierenden Unterschiede bei den Blutzuckerwerten klinisch relevant sind, kann bezweifelt werden.

Die Hervorhebung von Diabetesinzidenzen ist in Prophylaxestudien jedoch die Regel: Nach Daten der STOP-NIDDM*-Studie soll das Auftreten von Diabetes bei Gesunden mit gestörter Glukosetoleranz nach 3,3 Jahren mit Acarbose (GLUCOBAY) von 42% auf 32% gesenkt werden.3 Abgesehen von zahlreichen Mängeln der Studie werden in der Veröffentlichung keine Blutzucker- oder HbA1c-Werte angegeben. Nur mündlich wird mitgeteilt, dass es hierbei im Verlauf keine signifikanten Unterschiede zwischen Plazebo und Acarbose gibt (a-t 2002; 33: 72-3). Eine Diabetes-verhütende Wirksamkeit wird auch für den Lipasehemmer Orlistat (XENICAL) in Anspruch genommen. In der XENDOS*-Studie wird eine Reduktion neuer Diabeteserkrankungen von 9% unter Plazebo auf 6,2% unter Orlistat angegeben.4 Profitieren sollen Menschen mit gestörter Glukosetoleranz. Allerdings fehlen auch hier Daten zum Verlauf des Blutzuckers und des HbA1c. Zufall? Auf Anfrage erhalten wir vom Sponsor Roche weitere Auswertungen. Danach steigt der durchschnittliche Nüchternblutzucker in der Plazebogruppe von 83 mg/dl auf 87 mg/dl, unter Orlistat von 83 mg/dl auf 85 mg/dl.5

*  STOP-NIDDM = Study to Prevent Non-Insulin Dependent Diabetes Mellitus;
    XENDOS = XENical in the Prevention of Diabetes in Obese Subjects

Neben anderen, geläufigeren Methoden, Studienergebnisse zu schönen wie zum Beispiel die Angabe relativer statt absoluter Risikoreduktionen und Spreizung von Ergebnisskalen kann auch die Umsetzung eines kontinuierlichen metabolischen Parameters in diagnostische Klassifizierungen zur Fehleinschätzung führen - insbesondere, wenn dazugehörige Messdaten verschwiegen werden.

  • Studien zur Diabetesprophylaxe suggerieren durch vorrangige Angaben von Krankheitsinzidenzen erhebliche Wirkungen, die sich bei Betrachtung der metabolischen Messwerte oft nicht bestätigen.
  • Um den Nutzen prophylaktischer Maßnahmen für Diabetes mellitus bewerten zu können, sind Studien mit klinischen Endpunkten, beispielsweise Diabeteskomplikationen, unabdingbar.

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