Das Zervixkarzinom ist die zweithäufigste Krebstodesursache bei Frauen weltweit.2 80% der Erkrankungen treten in
Entwicklungsländern auf, während in den Industrienationen Inzidenz und Sterblichkeit nach Einführung des Gebärmutterhals-Screenings
(PAPANICOLAOU- oder Pap-Test) stark zurückgegangen sind (vgl. S. 116).3 Erkrankten in Deutschland
beispielsweise 1971 noch 35/100.000 Frauen an einem Zervixkarzinom, waren es 2001 12/100.000.4 Laut Robert Koch-Institut sollen im Jahr 2002 6.700
Neuerkrankungen registriert worden und etwa 1.700 Frauen verstorben sein.5
In nahezu allen invasiven Zervixkarzinomen lassen sich histologisch humane Papillomviren (HPV) nachweisen, mit etwa 70% am häufigsten die HPV-Typen 16
und 18.6 Seit den 80er Jahren gilt die Infektion mit onkogenen HPV-Typen als ursächlich (siehe Kasten Seite 118).1 Mit (GARDASIL ist seit
Oktober ein Impfstoff zur Prävention hochgradiger Dysplasien an Zervix und Vulva, des Zervixkarzinoms sowie äußerer Genitalwarzen (Condylomata
acuminata) verfügbar, soweit diese durch die HPV-Typen 6, 11, 16 und 18 verursacht werden.7 Während in den USA die Zulassung auf
Mädchen und Frauen zwischen 9 und 26 Jahren beschränkt ist,8 darf GARDASIL in Europa auch bei Jungen von 9 bis 15 Jahren angewendet
werden.7 Die Neuerung ist nach dem Hepatitis-B-Impfstoff (HBVAXPRO u.a.)9 die zweite Vakzine, die vor einer Krebserkrankung schützen
soll.
Ein US-amerikanisches Beraterkomitee empfiehlt die Immunisierung gegen HPV in erster Linie für 11- bis 12-Jährige, außerdem als Catch-up-Impfung
für 13- bis 26-Jährige.10 In Australien wurde die Aufnahme in das nationale Impfprogramm wegen fehlender Langzeitdaten und des hohen Preises
abgelehnt.11 Die STIKO hat sich bislang nicht geäußert.
EIGENSCHAFTEN: GARDASIL enthält virusähnliche Partikel des Hauptkapsidproteins der HPV-Typen 6, 11, 16 und 18. Diese Partikel rufen
eine humorale Immunantwort hervor, enthalten aber keine virale DNA und sind daher nicht infektiös. Für eine Grundimmunisierung werden jeweils 0,5 ml
an Tag 1 und nach 2 sowie nach 6 Monaten intramuskulär injiziert.7 Gleichzeitige Anwendung von GARDASIL und Hepatitis-B-Impfstoff beeinflusst
zwar weder die Immunantwort auf den HPV-Impfstoff noch den Anteil der Personen, die eine als schützend angesehene Anti-HBs-Antikörper (AK)-
Konzentration von mindestens 10 mIE/ml erreichen. Die geometrischen Mittelwerte der Anti-HBs-AK-Konzentrationen sind bei zeitgleicher Verabreichung jedoch
niedriger. Die klinische Bedeutung ist unklar.7
KLINISCHE WIRKSAMKEIT: Von den vier zulassungsrelevanten klinischen Studien mit insgesamt knapp 21.000 Frauen unter anderem aus Europa, den
USA und Südamerika sind lediglich zwei Phase-2-Studien12,13 vollständig veröffentlicht, davon eine mit einem "Prototyp" von GARDASIL,
der ausschließlich HPV-16-Partikel enthält. Die beiden entscheidenden Phase-3-Studien FUTURE* I und II liegen dagegen nur als Abstract vor. In allen
vier Untersuchungen werden Frauen zwischen 16 und 23 (26) Jahren eingeschlossen, die zuvor maximal vier verschiedene Sexualpartner hatten. Im Mittel sind sie
etwa 20 Jahre alt und hatten ihren ersten sexuellen Kontakt mit 16,7 Jahren. Mehr als die Hälfte nimmt hormonelle Kontrazeptiva ein.2 Frauen mit
früherer oder aktueller Infektion mit einem im Impfstoff enthaltenen HPV-Typ dürfen zwar an den Studien teilnehmen, gehen aber nicht in die primäre
Analyse ein, soweit sie den entsprechenden Typ betrifft. In dieser werden nur Frauen ausgewertet, bei denen sich bis einen Monat nach der letzten Dosis keine
Infektion mit HPV 6, 11, 16 und/oder 18 nachweisen lässt, die alle drei Impfungen erhalten und das Protokoll im Wesentlichen eingehalten haben (Per-
Protokoll-Population, 64% bis 84%).2 Insgesamt 73% werden bei Studienbeginn negativ für alle vier Typen getestet. Beide Phase-3-Studien laufen
weiter, die im europäischen Beurteilungsbericht dargestellten Analysen erfolgen nach einer medianen Beobachtungszeit von 2,4 bzw. 2,0 Jahren nach
Abschluss der Grundimmunisierung.2
* FUTURE = Female United To Unilaterally Reduce Endo/Ectocervical Disease
BEDEUTUNG HUMANER PAPILLOMVIREN
Von den über 100 bekannten humanen Papillomviren (HPV) infizieren mehr als 35 den Genitaltrakt.6 Die HPV-Infektion gilt als häufigste
sexuell übertragbare Erkrankung weltweit. Fünf Jahre nach Aufnahme sexueller Aktivitäten lässt sie sich bei jeder zweiten jungen Frau
nachweisen.2 Die Lebenszeitprävalenz beträgt bis zu 70%.6 Obwohl Männer Hauptüberträger sind und selbst erkranken
können, ist über Epidemiologie und Pathogenese männlicher HPV-Infektionen wenig bekannt.2
HPV-Infektionen verlaufen in der Mehrzahl symptomlos und klingen spontan ab.3 Begünstigt durch Faktoren wie hohe Geburtenzahl, Rauchen und
Langzeiteinnahme oraler Kontrazeptiva kann die Besiedelung jedoch gelegentlich persistieren.6 Ein Teil der infizierten Frauen entwickelt in der Folge
dysplastische Epithelveränderungen im Bereich des Muttermundes, so genannte zervikale intraepitheliale Neoplasien (CIN), die in drei Schweregrade**
eingeteilt und als Präkanzerosen angesehen werden. Die Mehrzahl dieser Läsionen bildet sich nach einiger Zeit zurück oder bleibt konstant. Wie
häufig daraus ein Zervixkarzinom resultiert, ist unklar.6 Nach Daten einer retrospektiven kanadischen Kohortenstudie schreiten milde Dysplasien
unbehandelt über einen Zeitraum von zehn Jahren konstant bei jährlich 1% der Betroffenen zu mindestens hochgradigen Läsionen fort. Die
entsprechenden kumulierten Raten für Frauen mit mäßiger Dysplasie betragen 16% nach zwei Jahren, 25% nach fünf Jahren und 32% nach
zehn Jahren.15
** |
CIN 1 = geringgradige (leichte) Dysplasie |
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CIN 2 = mäßiggradige (mittelschwere) Dysplasie
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CIN 3 = hochgradige (schwere) Dysplasie oder Carcinoma in situ
|
Eine Assoziation von Gebärmutterhalskrebs mit Papillomviren wurde bereits in den 70er Jahren vermutet, seit den 80er Jahren gilt die Infektion mit bestimmten
onkogenen HPV-Typen als ursächlich.1 Inzwischen sind 13 karzinogene Hochrisiko-Typen bekannt, wobei rund 70% der Erkrankungen auf die Typen
16 und 18 zurückgeführt werden.2,3 Beide spielen zudem bei etwa der Hälfte der seltenen Vulva- und Vaginakarzinome eine Rolle sowie
beim Penis- und Analkarzinom des Mannes und bei einigen Krebserkrankungen im Bereich der Mundhöhle und der Tonsillen.2,3 Daneben rufen
Papillomviren gutartige Erkrankungen hervor wie Warzen der äußeren Genitalien und die vorwiegend im Larynx lokalisierte juvenile Papillomatose, bei der
eine Übertragung von einer infizierten Mutter auf ihr Kind vermutet wird. Die mit GARDASIL abgedeckten Typen 6 und 11 sollen für etwa 90% dieser
beiden Erkrankungen sowie für 10% bis 20% milder zervikaler Dysplasien (CIN 1) verantwortlich sein.2
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In Future I verhindert GARDASIL nach Per-Protokoll-Analyse HPV-6-, -11-, -16- bzw. -18-assoziierte Läsionen vollständig, und zwar sowohl an Vulva
und Vagina (erster kombinierter primärer Endpunkt: Genitalwarzen und dysplastische Veränderungen aller Schweregrade sowie Karzinome; 0/2.261 versus
40/ 2.279 unter Plazebo) als auch am Gebärmutterhals (zweiter kombinierter primärer Endpunkt: zervikale intraepitheliale Neoplasien [CIN] aller
Schweregrade, Adenokarzinom in situ [AIS], Zervixkarzinome; 0/2.240 vs. 37/2.258). In FUTURE II erweist sich GARDASIL hinsichtlich HPV-16- und -18-
assoziierter mittel- oder hochgradiger Dysplasien der Zervix (CIN 2/3***), AIS und invasiver Zervixkarzinome (kombinierter primärer Endpunkt) ebenfalls als 100%
wirksam (0/5.301 vs. 21/5.258).2 Invasive Zervixkarzinome treten in den Studien nicht auf. Für höhergradige Vaginaläsionen (VaIN 2/3)
lässt sich, vermutlich aufgrund des seltenen Vorkommens, auch bei gemeinsamer Auswertung aller Studien kein statistisch signifikanter Effekt
belegen.2
*** |
CIN 2 = mäßiggradige (mittelschwere) Dysplasie
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CIN 3 = hochgradige (schwere) Dysplasie oder Carcinoma in situ
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Um den zu erwartenden Nutzen von GARDASIL besser abschätzen zu können, werden weitere Analysen durchgeführt:
Frauen ohne Hinweise auf eine bestehende oder frühere Infektion mit im
Impfstoff enthaltenen oder anderen HPV-Typen (kein Nachweis von HPV 6, 11, 16 und 18 sowie unauffälliger Pap-Test als Surrogat für andere HPV-
Typen zu Studienbeginn) sollen "jungfräuliche Jugendliche"2 repräsentieren. Für sie ergibt sich auch ein positiver Effekt auf
höhergradige Zervixdysplasien (mindestens CIN 2) durch irgendeinen HPV-Typ (-38%) sowie auf HPV-assoziierte Erkrankungen der
äußeren Genitalien insgesamt (Genitalwarzen, Vulva- und Vaginadysplasien, -66%). Kolposkopien, Biopsien und therapeutische Eingriffe im
Bereich der Zervix werden um 15% bis 28% gesenkt (keine statistische Auswertung angegeben).2
Bei der "typischen weiblichen Bevölkerung dieser
Altersgruppe"2 fällt der Nutzen von GARDASIL dagegen deutlich geringer aus: Werden Frauen unabhängig von ihrem HPV-Status zu
Studienbeginn ausgewertet (HPV-Nachweis positiv oder negativ, Pap auffällig oder unauffällig), kommen höhergradige Dysplasien des Muttermunds
durch die im Impfstoff enthaltenen onkogenen Typen 16 und 18 nur noch 39% seltener vor als unter Plazebo, was auf fehlende frühe
therapeutische Wirksamkeit bei bereits infizierten Frauen deutet.2 Warzen und Dysplasien an Vulva und Vagina durch HPV 6, 11, 16 oder 18 werden um
etwa 70% gesenkt. Ein Einfluss auf die Gesamtzahl höhergradiger Zervixdysplasien (alle HPV-Typen) lässt sich für diese Frauen nicht
nachweisen.2
Ungeklärt ist bislang die Frage eines möglichen Serotypen-Replacements: Bei Geimpften kommen Erkrankungen durch HPV-Typen, die nicht in
GARDASIL enthalten sind, um 5,5% häufiger vor als unter Plazebo. Eine Überwachung im Rahmen eines Risiko-Managementplans ist
vorgesehen.2 Zudem gibt es Hinweise, dass Infektionen mit Niedrigrisiko-HPV-Typen wie 6 oder 11 vor Krebs durch Hochrisiko-Typen schützen
könnten. Ob und wie sich die Elimination von HPV 6 und 11 in der Bevölkerung auf das Krebsrisiko auswirkt, bleibt offen.14 Dass GARDASIL
mittels "Kreuzneutralisation" auch vor Erkrankungen durch andere onkogene HPV-Typen (z.B. 31 oder 45) schützt, ist bislang nicht belegt.
IMMUNOGENITÄT: Eine schützende Mindest-Antikörperkonzentration ist derzeit nicht bekannt, ebensowenig die Dauer des Schutzes und
die Notwendigkeit von Auffrischimpfungen.7 Insgesamt lassen sich einen Monat nach Grundimmunisierung bei allen Geimpften Antikörper gegen die im
Impfstoff enthaltenen HPV-Typen nachweisen. Nach weiteren 30 Monaten betragen die Serokonversionsraten für Typ 6, 11 und 16 immer noch über
90%, für Typ 18 dagegen nur noch 76%.12 Die mittleren Antikörpertiter nehmen bis Monat 24 ab und bleiben dann mindestens weitere 12 Monate
auf stabilem, den Konzentrationen nach stattgehabter Infektion entsprechendem Niveau.7 Für 9- bis 15-jährige Mädchen und Jungen gibt
es nur Daten zur Immunogenität: Mittlere Antikörperkonzentrationen und Serokonversionsraten einen Monat nach dreimaliger Impfung entsprechen im
direkten und indirekten Vergleich den Werten bei 16- bis 26-jährigen Frauen. Für die Antikörpertiter soll dies bis zu ein Jahr nach Grundimmunisierung
belegt sein,2 ohne dass hierzu nachvollziehbare Daten mitgeteilt werden. In der Fachinformation fehlt dieser Hinweis.
STÖRWIRKUNGEN: Unter GARDASIL ist sehr häufig mit Lokalreaktionen an der Injektionsstelle zu rechnen wie Schmerz (84%), Schwellung
und Rötung (jeweils 25%) sowie Juckreiz (3%). Bis zu 8% der Ereignisse werden als schwerwiegend eingestuft. 10% entwickeln Fieber.8 In Verbindung
mit der Impfung sind zudem Bronchospasmus, Urtikaria sowie unspezifische Arthritis beschrieben.7,8
KOSTEN: Eine Fertigspritze GARDASIL kostet 155,05 € (Österreich 208 €). Für die Grundimmunisierung (drei Injektionen) sind 465
€ aufzuwenden und damit deutlich mehr als für jeden anderen Impfstoff. Dabei fallen beträchtliche Preisunterschiede auf: So kosten drei Injektionen
in den USA mit umgerechnet 275 € (360 $)16 nur knapp die Hälfte.
Der Impfstoff gegen humane Papillomviren (HPV) GARDASIL enthält Bestandteile der HPV-Typen 6, 11, 16 und 18. Auf diese Typen werden
70% der Zervixkarzinome, die Hälfte der sehr seltenen Vulva- und Vaginakarzinome sowie 90% der Genitalwarzen (Condylomata acuminata)
zurückgeführt. Die Vakzine ist zugelassen für junge Frauen zwischen 16 und 26 Jahren sowie Kinder und Jugendliche beiderlei Geschlechts von 9
bis 15 Jahren.
Nach dreimaliger Immunisierung ist für 16- bis 26-jährige Frauen, die zuvor
nicht mit einem der im Impfstoff enthaltenen HPV-Typen (z.B. HPV 18) infiziert waren, innerhalb eines medianen Beobachtungszeitraums von bis zu zweieinhalb
Jahren ein vollständiger Schutz vor mittel- bis hochgradigen Dysplasien im Bereich des Gebärmutterhalses und der Vulva durch eben diesen HPV-Typ (im
Beispiel HPV 18) belegt. Die Zellveränderungen gelten als Surrogatmarker für Zervix- und Vulvakarzinome. Genitalwarzen werden ebenfalls gänzlich
verhindert.
Bei Frauen ohne Hinweise auf eine bestehende oder frühere Infektion mit im
Impfstoff enthaltenen oder anderen HPV-Typen (kein serologischer oder histologischer HPV-Nachweis, unauffälliger Pap-Test) als Surrogat für
"jungfräuliche Jugendliche" ergibt sich zudem ein positiver Effekt auf mittel- bis hochgradige Zervixdysplasien insgesamt (-38%) sowie auf die
Gesamtzahl an Genitalwarzen, Vulva- und Vaginaldysplasien (-66%), unabhängig vom HPV-Typ. Auch Kolposkopien, Probeentnahmen und
therapeutische Eingriffe im Bereich der Zervix nehmen ab.
Werden Frauen unabhängig von ihrem HPV-Status zu Studienbeginn
ausgewertet, entsprechend der typischen weiblichen Bevölkerung dieser Altersgruppe, fällt der Nutzen von GARDASIL hinsichtlich
Erkrankungen an Vulva und Vagina (-70%) oder höhergradiger zervikaler Dysplasien (-39%), die durch Impfstoff-HPV-Typen verursacht werden,
deutlich geringer aus. Ein Einfluss auf die Gesamtzahl höhergradiger Muttermunddysplasien (mindestens CIN 2, alle HPV-Typen) lässt sich
für sie nicht nachweisen.
Für Mädchen und Jungen zwischen 9 und 15 Jahren ist bislang lediglich
hinreichend dokumentiert, dass mittlere Antikörpertiter und Serokonversionsraten einen Monat nach der dritten Impfung nicht niedriger sind als bei 16- bis 26-
jährigen Frauen.
Die Grundimmunisierung kostet 465 €. Wie lange der Schutz anhält und
ob Auffrischimpfungen erforderlich werden, ist nicht bekannt.
Der Nutzen von GARDASIL ist für Frauen belegt, die nicht mit den im Impfstoff
enthaltenen HPV-Typen infiziert sind. Die Vakzine erscheint daher in erster Linie für junge Mädchen und Frauen sinnvoll, die bislang keine sexuellen
Kontakte hatten. Unbedingt zu fordern ist aber eine langfristige konsequente Dokumentation HPV-assoziierter Erkrankungen, um Aufschluss über den
klinischen Nutzen in der Zielgruppe, die Dauer des Schutzes und ein mögliches Serotypen-Replacement zu erhalten.
Die Impfung ersetzt nicht die regelmäßigen
Früherkennungsuntersuchungen (Pap-Test).
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