In den vergangenen Jahren ist die Zahl der von der Ständigen Impfkommission (STIKO) als Standardimpfung empfohlenen Immunisierungen
beträchtlich gewachsen. Nach Einführung einer allgemeinen Impfung aller Kleinkinder gegen Windpocken im Jahr 2004 (a-t 2004; 35: 80-1) kamen 2006 die Immunisierung aller Säuglinge gegen Pneumokokken (a-t 2006; 37: 87-9) und aller Kleinkinder gegen Meningokokken (a-t 2006; 37:
100-1) hinzu. Allein für diese drei Impfungen sind pro Jahr rund 240 Mio. Euro* aufzuwenden. Dazu kommen 150 Mio. Euro* pro Jahrgang für die
aktuell in den Impfkalender aufgenommene HPV-Vakzine GARDASIL (a-t 2006; 37: 117-
9). Mit den 2006 eingeführten Rotavirus-Impfstoffen ROTARIX und ROTATEQ
stehen weitere Kandidaten bereit.
* |
Berechnet mit Preisen nach LAUER-Taxe für die jeweils preiswertesten Einzelimpfstoffe und günstigsten
Packungsgrößen sowie Durchimpfung eines Jahrgangs mit 700.000 Kindern (50% Mädchen bei GARDASIL).
|
Da überrascht es wenig, dass wir in den vergangenen Monaten mehrfach nach potenziellen Interessenkonflikten der STIKO gefragt wurden. Auf der
Homepage der Kommission1 finden sich dazu keine Angaben. Auf unsere Anfrage erklärt die STIKO:
"Die Mitglieder müssen bei Berufung eine Offenlegung aller möglichen Interessenkonflikte gegenüber dem Bundesministerium
für Gesundheit vornehmen und müssen zu jeder Sitzung eine mögliche Erweckung des Anscheins von Befangenheit beim Vorsitzenden und der
Geschäftsstelle anzeigen. ... Liegt ein Grund vor, der geeignet ist, Misstrauen gegen eine unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen, darf der
Betroffene an dieser Entscheidung nicht mitwirken und darf bei weiteren Beratungen und Beschlussfassungen zu diesem Thema nicht zugegen
sein."2
Bezüglich einer von uns erbetenen konkreten Deklaration von Interessenkonflikten der Kommissionsmitglieder - in seriösen wissenschaftlichen
Zeitschriften, aber auch beispielsweise bei der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA seit langem üblich - wird auf das "informationelle
Selbstbestimmungsrecht"2 verwiesen.
Diese Intransparenz ist nicht akzeptabel. Angesichts der Verantwortung für die öffentliche Gesundheit und der beträchtlichen Kosten, die Impfungen
verursachen, besteht ein öffentliches Interesse an einer generellen und automatischen Deklaration der Interessenkonflikte aller STIKO-Mitglieder. Beispiele
für mögliche Befangenheit aufgrund persönlicher Interessen gibt es durchaus:
Die vom STIKO-Vorsitzenden H.-J. SCHMITT und dem Kommissionsmitglied F. ZEPP
im Internet angebotene Elterninformation zum Thema Impfen (Internetseite "Gesundes Kind"3) wird vom Impfstoffhersteller GlaxoSmithKline
finanziert.
STIKO-Mitglied U. HEININGER hat von allen großen Impfstoffherstellern
Vortragshonorare erhalten, Einladungen zum Besuch wissenschaftlicher Treffen angenommen sowie für die Firmen als Berater fungiert.4 Nach der
Geschäftsordnung der STIKO dürfte er eigentlich an keiner ihrer Beratungen teilnehmen.
Verquickungen mit der Industrie lassen sich bei fast allen Kommissionsmitgliedern
feststellen: Sie sitzen im Fachbeirat des von fünf Impfstoffherstellern finanzierten "Forum Impfen" (z.B. Vorsitz: STIKO-Mitglied F. VON
SONNENBURG)5 oder in den wissenschaftlichen Beiräten der Arbeitsgemeinschaft Meningokokken (S. BIGL, J. LEIDEL)6 und der
Arbeitsgemeinschaft Masern und Varizellen (R. VON KRIES, K. WAHLE),7 die von den jeweiligen Firmen unterstützt werden.
Unter Verschluss bleiben aber nicht nur mögliche Interessenkonflikte, sondern laut Satzung auch Gegenstand der Sitzungen sowie Verlauf der Beratungen. Ob
der Ausschluss von Mitgliedern mit potenziellem Interessenkonflikt in der Praxis auch funktioniert, lässt sich daher nicht nachvollziehen. Es gibt aber zu
Bedenken Anlass, wenn in einer Stellungnahme zur HPV-Impfung, an der die Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen der Deutschen Akademie
für Kinder- und Jugendmedizin (Vorsitzender: U. HEININGER) beteiligt ist, erklärt wird, dass für die Kommissionsmitglieder kein Interessenkonflikt
bestehe.8 Dabei ist mehrfach dokumentiert, dass HEININGER Gelder vom GARDASIL-Hersteller Sanofi Pasteur MSD erhalten hat.9,10
Um es klar zu sagen: Weder das Vorliegen von Interessenkonflikten noch das Verschweigen von solchen bedeutet automatisch, dass eine Beurteilung
voreingenommen oder gar industriegesteuert ist. Honorare und geldwerte Leistungen schaffen aber Rahmenbedingungen, die eine positive Grundhaltung Anbietern
und deren Produkten gegenüber bewirken und somit Entscheidungen beeinflussen können. Die (medizinische) Öffentlichkeit hat daher ein Recht
darauf, über potenzielle Loyalitätskonflikte informiert zu werden, um dies beispielsweise bei der Interpretation der Bewertung eines Impfstoffs zu
berücksichtigen. Die anstehende Neubesetzung der STIKO sollte als Chance begriffen werden, künftig für Transparenz zu sorgen - sowohl bei der
Offenlegung von Interessenkonflikten als auch hinsichtlich des Verlaufs der Beratungen selbst.
|