Seit Anfang September ist mit dem Renininhibitor Aliskiren (RASILEZ) ein
neuartiger Wirkstoff zur alleinigen und kombinierten Behandlung der essenziellen Hypertonie im Handel. Der Hersteller Novartis erhofft sich einen neuen
Marktrenner1 und beansprucht eine "neue Dimension in der Hypertonie-Behandlung".2 Die Wirksamkeit von Aliskiren ist bislang nur in
Kurzzeitstudien ohne klinische Endpunkte überprüft worden.
Ob sich die Hochdruckbehandlung durch die Einführung immer neuer Wirkstoffe verbessern lässt, kann bezweifelt werden. Hauptproblem ist nicht der
Mangel an wirksamen blutdrucksenkenden Substanzen, von denen es ausreichend gut untersuchte gibt, sondern die erhebliche Unterversorgung, die auch durch
die Einführung neuer Medikamente nicht behoben wird: Oft erhalten weniger als einer von zehn Patienten mit hohem Blutdruck eine angemessene
Behandlung.3
EIGENSCHAFTEN: Wie ACE-Hemmer und Angiotensin-II-Hemmer greift Aliskiren am Renin-Angiotensin-System an. Es hemmt selektiv das
Enzym Renin und verhindert die Umwandlung von Angiotensinogen in Angiotensin I. Die Spiegel von Angiotensin II und Aldosteron fallen ab. Kompensatorisch nimmt
die Reninkonzentration zu, die Reninaktivität sinkt jedoch im Gegensatz zur Behandlung mit ACE-Hemmern und AT-II-Blockern. Ob dies mehr ist als ein
theoretischer Vorteil, ist bislang nicht belegt.
Die Bioverfügbarkeit von Aliskiren ist mit 2,6% gering und wird zudem durch fettreiche Kost verringert. Der Reninhemmer soll daher mit einer leichten Mahlzeit
und immer zur gleichen Tageszeit eingenommen werden (150 mg bis 300 mg täglich als einmalige Dosierung).4
Die Plasmaspiegel von Aliskiren steigen bei gleichzeitiger Einnahme starker Hemmstoffe von Zytochrom P450 3A4 wie Azolantimykotika beträchtlich, weniger
ausgeprägt bei Komedikation mit Atorvastatin (SORTIS). Die mittlere Halbwertszeit beträgt 25 bis 60 Stunden, etwa 50% des absorbierten Wirkstoffs wird
metabolisiert. Trotz erhöhter Spiegel bei Nieren- und Leberfunktionseinschränkung sowie im höheren Lebensalter ist keine Dosisreduktion
vorgesehen, obwohl bereits Tagesdosierungen von 75 mg für über 65-Jährige als wirksam erachtet werden, und die Rate an Nebenwirkungen
dosisabhängig steigt.5
In Analogie zu ACE-Hemmern und aufgrund fehlender Daten soll Aliskiren nicht in der Schwangerschaft eingenommen werden.
KLINISCHE WIRKSAMKEIT: Langzeitstudien mit klinischen Endpunkten liegen nicht vor. Die zulassungsrelevanten Studien dauern überwiegend
nur acht Wochen und überprüfen ausschließlich den Einfluss auf die Blutdruckwerte im Vergleich zu Plazebo oder anderen Antihypertensiva als
Monotherapie und in verschiedenen Kombinationen. Nur eine Arbeit berücksichtigt Patienten mit schwerem Bluthochdruck, bei allen anderen werden
ausschließlich Patienten mit milder Hypertonie (Blutdruck systolisch <180 mmHg, diastolisch <110 mmHg) eingeschlossen. Patienten mit schweren
Begleiterkrankungen sind ausgeschlossen.4,5
Nach zusammenfassender Auswertung der europäischen Arzneimittelbehörde4 sinken unter den zugelassenen Dosierungen die Blutdruckwerte
systolisch um 9 bis 11 mmHg, diastolisch um 11 bis 15 mmHg, unter Plazebo um 5 bis 9 mmHg systolisch und 3 bis 5 mmHg diastolisch. Die meisten, jedoch nicht alle
Studien zur Kombinationsbehandlung mit Hydrochlorothiazid (ESIDRIX u.a.), Amlodipin (NORVASC u.a.), Ramipril (DELIX u.a.), Valsartan (DIOVAN u.a.) oder
Atenolol (TENORMIN u.a.) lassen eine stärkere blutdrucksenkende Wirkung der Kombination gegenüber der jeweiligen Monotherapie erkennen
(systolisch -1 bis -7 mmHg, diastolisch -1 bis -4 mmHg). Das Ausmaß der Blutdrucksenkung entspricht in direkten Vergleichen dem etablierter Antihypertensiva.
Bei schwarzen Patienten sinkt der Blutdruck weniger als bei weißen.
STÖRWIRKUNGEN: Diarrhöen treten häufig auf (2,4%; Plazebo: 1,2%). Die langfristigen Auswirkungen von Aliskiren auf den
Dickdarm müssen dringend geklärt werden: Im Tierversuch hypertrophiert die Dickdarmschleimhaut dosisabhängig bei Ratten und Mäusen. Bei
Ratten finden sich ein Kolonkarzinom und ein Kolonadenom, die bei dem untersuchten Stamm sonst sehr selten sind.4,5 Eine von der amerikanischen
Arzneimittelbehörde FDA vor der Zulassung geforderte achtwöchige Koloskopiestudie mit 20 Probanden ließ keine Schleimhautveränderungen
erkennen. Diese Untersuchung ist jedoch zu klein und zu kurz, um ein kanzerogenes Risiko ausräumen zu können. Die FDA fordert in ihrem positiven
Zulassungsbescheid eine weitere Koloskopiestudie mit mehr Patienten und über eine längere Zeitdauer.5
Husten kommt häufiger vor als unter Plazebo (0,9% vs. 0,6%), anscheinend jedoch seltener als unter ACE-Hemmern. Angioödeme sind mehrfach unter
Aliskiren beschrieben, darunter zwei Ereignisse mit Luftnot. Anstiege des Serumkaliums über 5,5 mval/l kommen bei Monotherapie gelegentlich vor (0,9%),
treten jedoch in Kombination mit dem ACE-Hemmer Ramipril in einer Studie mit Diabetikern häufig auf (5,5%). Bei zwei Patienten ohne Epilepsie kam es unter
Aliskiren zu tonisch-klonischen Krampfanfällen.5
KOSTEN: Monatlich ist für Aliskiren mit 35 € (150 mg täglich) bis 41 € (300 mg täglich) das Sechs- bis Achtfache
aufzuwenden verglichen mit generischem Enalapril (z.B. ENALAPRIL ABZ; 20 mg/Tag) oder Metoprolol (z.B. METOPROLOL RETARD 1A PHARMA; 100 mg/Tag)
sowie mit Chlortalidon (HYGROTON; 25 mg/Tag), die lediglich 5 € bis 6 € pro Monat kosten.
Der seit September 2007 angebotene Renininhibitor Aliskiren (RASILEZ) senkt in Kurzzeitstudien zur Behandlung der essenziellen Hypertonie den
Blutdruck nicht besser als bereits etablierte Antihypertensiva.
Langzeitdaten zur klinischen Wirksamkeit und Sicherheit fehlen.
Wegen der sehr geringen und vom Fettgehalt der Nahrung abhängigen
Bioverfügbarkeit stufen wir Aliskiren als schlecht steuerbare Wirksubstanz ein.
Mit typischen Störwirkungen der Hemmstoffe des Renin-Angiontensin-Systems
wie Angioödem und Husten ist auch unter Aliskiren zu rechnen. Ein kanzerogenes Potenzial muss durch geeignete Langzeitstudien ausgeschlossen werden.
Aliskiren verteuert die Hochdruckbehandlung, verbessert sie jedoch nach
vorliegenden Daten nicht. Ein Beleg fehlt, dass die im Vergleich zur Behandlung mit ACE-Hemmern oder Diuretika niedrigere Reninaktivität einen klinisch
relevanten Vorteil darstellt. Wir sehen derzeit für den direkten Reninhemmer keinen Stellenwert.
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