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Therapiekritik

KINDER: NEUROLEPTIKAGEBRAUCH STEIGT

Ein führender Mitarbeiter der Firma Eli Lilly (USA) rät in einer im März dieses Jahres bekannt gewordenen E-Mail den Außendienstlern, bei Kinderärzten und Kinder- und Jugendpsychiatern für Minderjährige mit Aufmerksamkeitsstörung (ADHS) nicht nur Atomoxetin (STRATTERA) zu bewerben, sondern auch das für diese Indikation nicht zugelassene "atypische" Neuroleptikum Olanzapin (ZYPREXA, Generika).1 Solche Marketingstrategien und die Ausweitung psychiatrischer Diagnosen wie bipolare Störung auf Kinder dürften Gründe dafür sein, dass Kinder und Jugendliche in den USA seit Jahren zunehmend Antipsychotika erhalten.2-5 In Europa lagen dazu bislang kaum Zahlen vor. Eine aktuelle niederländische Studie6 mit Daten zu ca. 500.000 Versicherten lässt nun ebenfalls einen deutlichen Anstieg erkennen: Von 1997 bis 2005 hat sich der Antipsychotika-Gebrauch bei unter 19-Jährigen von 30 auf 68 pro 10.000 Jugendliche pro Jahr mehr als verdoppelt. Während die Verwendung klassischer Neuroleptika nahezu konstant bleibt, hat sich die Einnahme von "Atypika" verneunfacht. Vor allem bei den Fünf- bis Neunjährigen werden "atypische" Mittel besonders häufig neu verordnet. In dieser Altersgruppe ist die Anwendungsdauer von Neuroleptika mit im Median 5,1 Jahren zudem am längsten.6 Auch nach Daten aus rund 400 britischen Hausarztpraxen erhalten unter 18-Jährige 2005 doppelt so viele Neuroleptika wie 1992. Der Anstieg betrifft ebenfalls vorwiegend Kinder und basiert vor allem auf Off-label-Gebrauch.7 Nach Daten des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) nehmen auch in Deutschland die Verordnungen von Olanzapin und Risperidon (RISPERDAL, Generika) für 5- bis 15-Jährige zu, ebenso für die 15- bis 20-Jährigen (s. Tabelle).8

Von den "Atypika" ist in Deutschland lediglich Risperidon für Kinder und Jugendliche und auch nur bei Verhaltensstörungen im Rahmen einer Intelligenzminderung zugelassen. Trotz unzureichender Datenlage zu Wirksamkeit und Sicherheit und fehlender Zulassung der anderen "Atypika" nimmt die Hemmschwelle offenbar ab, diese Neuroleptika Off label bei Kindern und Jugendlichen anzuwenden. Hierauf deuten die beträchtlichen Off-label-Verordnungen von Olanzapin und Quetiapin (SEROQUEL) für 15- bis 20-Jährige.

Im Gegensatz zur suggerierten Harmlosigkeit und vermeintlich guten Verträglichkeit scheinen Störwirkungen wie Sedierung oder extrapyramidal motorische Symptomatik unter "atypischen" Neuroleptika wie Olanzapin bei Kindern aber häufiger und ausgeprägter aufzutreten als bei Erwachsenen.9-13 Dies gilt auch für Gewichtszunahme mit dem Risiko schwerer metabolischer Probleme.1,9,13,14 So nehmen beispielsweise in einer deutschen Untersuchung 12- bis 19-Jährige nach nur sechswöchiger Einnahme von Olanzapin durchschnittlich 5 kg, nach weiteren 18 Wochen durchschnittlich 12 kg zu.15 Die im Auftrag der Firma Eli Lilly in einer Studie untersuchte Lösung: Zusätzlich eingenommen soll das Biguanid-Antidiabetikum Metformin (GLUCOPHAGE, Generika) die medikamentös bedingte Gewichtszunahme wieder verringern (keine zugelassene Indikation).16 Ebenso wie bei den anderen für Kinder nicht zugelassenen "Atypika" fehlen für Olanzapin jedoch nicht nur Wirksamkeitsbelege, sondern auch Daten zur Langzeitsicherheit für den sich in der Entwicklung befindlichen kindlichen Organismus.9

  (R = randomisierte Studie)
  1 New York Times vom 15. März 2008
http://www.nytimes.com/2008/03/15/business/15drug.html
  2 FINDLING, R.L. et al.: J. Clin. Psychiatry 2005; 66 (Suppl.7): 29-40
  3 MORENO, C. et al.: Arch. Gen. Psychiatry 2007; 64: 1032-9
  4 DOMINO, M.E., SWARTZ, M.S.: Psychiatric Services 2008; 59: 507-14
  5 AACAP Official Action: J. Am. Acad. Child Adolesc. Psychiatry 2007; 46: 107-25
  6 KALVERDIJK, L.J. et al.: Psychiatric Services 2008; 59: 554-60
  7 RANI, F. et al.: Pediatrics 2008; 121: 1002-9
  8 Wissenschaftliches Institut der AOK, Auswertung vom 30. Mai 2008
  9 CURTIS, L.H. et al.: Arch. Pediatr. Adolesc. Med. 2005; 159: 362-6
R 10 SIKICH, L. et al.: Neuropsychopharmacol. 2004; 29: 133-45
  11 KING, B. et al.: J. Paediatr. Child Health 2003; 39: 523-7
  12 CORRELL, C.U.: Int. Rev. Psychiatry 2008; 20: 195-201
  13 KUMRA, S. et al.: Schiz. Bull. 2008; 34: 60-71
  14 JERRELL, J.M., McINTYRE, R.S.: Hum. Psychopharmacol. 2008; 23: 283-90
  15 DITTMANN, R.W. et al.: J. Child Adolesc. Psychopharmacol. 2008; 18: 54-69
R 16 KLEIN, D.J. et al.: Am. J. Psychiatry 2006; 163: 2072-9

© 2008 arznei-telegramm, publiziert am 6. Juni 2008

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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