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Im Blickpunkt

ZERTIFIZIERTE FORTBILDUNG: WERBEPLATTFORM STATT LEHRANGEBOT

Vertragsärzte und am Krankenhaus tätige Fachärzte sind nach dem GKV-Modernisierungsgesetz seit 1. Januar 2004 gesetzlich zum Nachweis ihrer Fortbildung verpflichtet.1 Dieser erfolgt durch Erwerb von (CME*-) Fortbildungspunkten in Veranstaltungen, die von den Landesärztekammern zertifiziert sind. Die Formate reichen von Präsenzveranstaltungen (z.B. Fallkonferenzen, Qualitätszirkel, Kongresse) bis hin zum Selbststudium durch Fachliteratur oder Nutzung von audiovisuellen Medien und Online-Angeboten, zum Teil mit Erfolgskontrolle per Multiple-Choice-Test.

Die Vorgaben für die Zertifizierung sind von der Bundesärztekammer in den "Empfehlungen zur ärztlichen Fortbildung" niedergelegt.2 Dort wird unter anderem festgehalten, dass etwaige Sponsoren Form und Inhalt der Maßnahmen nicht beeinflussen dürfen, Referenten ihre Verbindungen zur Industrie offenlegen müssen und ein ausgewogener Überblick über den jeweiligen Wissensstand vermittelt werden muss. Nach §8 der Musterfortbildungssatzung1 dürfen Fortbildungsmaßnahmen nur anerkannt werden, wenn sie "frei von wirtschaftlichen Interessen sind".

Wer nun aber denkt, dass sich aufgrund dieser Vorgaben eine produktneutrale Fortbildungslandschaft etablieren würde, sieht sich mit einer hässlichen Realität konfrontiert. Diese ist zum Beispiel an den Inhalten der in wachsender Zahl verfügbaren Online-Angebote im Internet abzulesen, bei denen man bequem und meist kostenlos Fortbildungspunkte einsammeln kann. Trotz zunehmender Kritik auch in der allgemeinen Berichterstattung3,4 werden die von den Ärztekammern zertifizierten Fortbildungen nach wie vor für das Marketing von Herstellern pharmazeutischer oder medizinischer Produkte missbraucht. Der Großteil aller Veranstaltungen ist entweder gesponsert oder wird direkt von Firmen oder zwischengeschalteten Agenturen über Internetportale angeboten. Nach Schätzungen liegen 90% der Online-Fortbildungen in der Hand der Industrie,5 die dies auszunutzen weiß. Bei den oft gut strukturierten und technisch auf hohem Niveau präsentierten Artikeln, Vorträgen oder Online-Präsentationen wird die Werbebotschaft mehr oder weniger subtil eingebaut: Um bei der Firma Boehringer Ingelheim Fortbildungspunkte zum Thema Schlaganfallprophylaxe zu erlangen, muss man – wenig verwunderlich – mehrere Fragen zum Kombinationspräparat AGGRENOX beantworten, natürlich völlig "leitlinienkonform" (a-t 2006; 37: 21-2).6 Die von der Firma Endo Surgery Deutschland "zweckneutral" unterstützte Fortbildung zur Adipositasbehandlung weist zwar auf die Risiken medikamentöser Gewichtsabnahme hin, stellt jedoch die Adipositaschirurgie als den einzig erfolgversprechenden Weg für eine langfristige signifikante Gewichtsabnahme bei "morbid adipösen Patienten” heraus.7 Und P. WUTZLER bringt für die Firma GlaxoSmithKline zum Thema "Influenza – Therapie und Prophylaxe mit Neuraminidasehemmern” weniger einen Überblick über das Thema als vielmehr den Neuraminidasehemmer Zanamivir (RELENZA) für 2 CME-Punkte an den Fortbildungswillligen.8 Die Liste ist beliebig fortsetzbar.

Dass Firmen versuchen, ihre Sicht der Dinge im "Lehrangebot" unterzubringen, verwundert nicht und entspricht der wirtschaftlichen Interessenlage. Bedenklich ist, dass sich die Landesärztekammern, möglicherweise mangels Ressourcen und Know-how, einspannen lassen und ihrer gesetzlichen Verantwortung im Rahmen der Selbstverwaltung bei der Überprüfung der Lehrinhalte nicht nachkommen. Das dort vorgebrachte Argument, eine vollständige Überprüfung sei aufgrund der Vielzahl der Anträge nicht möglich, verschleiert, dass vielfach rasche Kontrolle möglich ist: Oft lässt sich innerhalb weniger Minuten der Werbecharakter feststellen. Dies setzt allerdings auch eine entsprechende Sensibilität und Kenntnis von Marketingstrategien voraus, die wir sogar bei letztlich Verantwortlichen vermissen. So erklärt der Vorsitzende des Deutschen Senats für ärztliche Fortbildung**, F.-J. BARTMANN: "... Allerdings ist gerade bei der Einführung innovativer Produkte eine Zusammenarbeit mit der Industrie aus Gründen der Authentizität meist notwendig und in der Regel auch unproblematisch...".9

Auch auf konkrete Hinweise wird zögerlich und dann mit Unverständnis reagiert. Unsere Beschwerde an die Hamburger Ärztekammer über eine von ihr zertifizierte Fortbildung der Firma EuMeCom (Ableger von GlaxoSmithKline) zur Thromboseprophylaxe,10 in der die GSK-Produkte Nadroparin (FRAXIPARIN) und Fondaparinux (ARIXTRA) einseitig hervorgehoben werden, die Datenlage unzulässig verkürzt und ohne Berücksichtigung etwaiger Störwirkungen dargestellt wird, wird erst nach drei Monaten abschließend beantwortet. Handlungsbedarf sieht die Kammer nicht. Begründung: "Eine öffentliche Produktplazierung wurde nicht gesehen, die im Allgemeinen mit einer namentlichen Erwähnung des Präparatenamens vergesellschaftet sein müsste."11 Wir lernen: Werbung ist es nur, wenn statt generischer Bezeichnung Handelsnamen genannt werden. Der Präsident der Berliner Ärztekammer, G. JONITZ, scheint zu kapitulieren: "Wenn Fortbildungen nicht den allergrößten Unsinn enthalten, sind wir verpflichtet, sie zu zertifizieren."12

Das Debakel hat nun das Bundeskartellamt auf den Plan gerufen. Es bewertet Firmenfortbildungen als getarnte Werbemaßnahmen und sieht durch die Übermacht dieser kostenlosen Angebote einen klaren Wettbewerbsnachteil für unabhängige Schulungsanbieter mit kostenpflichtigen Angeboten.5

Es ist nicht akzeptabel, dass in der Ärzteschaft die Kultur der scheinbar kostenlosen Fortbildung weiter gepflegt wird – in Wirklichkeit werden die Kosten über die Arzneimittelpreise von der Versichertengemeinschaft getragen. Solange die Ansicht vorherrscht, dass Fortbildung kostenlos und bei Präsenzveranstaltungen nach Möglichkeit mit einem Buffet oder Vier-Gänge-Menü schmackhaft gemacht werden muss***, werden wir weiterhin mit Pseudolehrveranstaltungen gefüttert, die eines ganz sicher nicht sind: objektive Information. Gesetzgeber und Organe der Selbstverwaltung sind dringend aufgefordert, akzeptable und klar definierte Strukturen für eine industrieunabhängige Fortbildung zu etablieren.

Trotz Vorgaben der Bundesärztekammer wird ärztliche Fortbildung nach wie vor zu Marketingzwecken missbraucht.

Da keine Bereinigung der verfahrenen Situation in Sicht ist, wäre eine geeignete Sofortmaßnahme – wie auch bei Transparency International diskutiert13 –, gesponserte Fortbildungen nicht mehr zu zertifizieren und die für den Fortbildungsnachweis erforderliche Punktzahl zu verringern.

 1Bundesärztekammer: Musterfortbildungssatzung http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=1.102.103.160
 2Bundesärztekammer: Empfehlungen zur ärztlichen Fortbildung, Stand 30. Mai 2007; http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/EmpfFortbildung3Aufl0807.pdf
 33 NDR: Panorama Nr. 686 vom 16. Aug. 2007 http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2007/erste4300.pdf
 4LÄSKER, K.: Kreuzen Sie die richtige Pille an; Süddeutsche Zeitung vom 9.Febr. 2008, Seite 22
 5LÄSKER, K.: Ärger für die Ärztekammern http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/artikel/349/183775/
 6SCHWAB, S. in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Landesärztekammer: Zertifizierte Fortbildung, Sekundärprävention des Schlaganfalls http://www.cmemitpartnern.springer.de/moc/DisplayContent.do?type=pdf&fid=186159&cid=241994
 7Zertifizierte Fortbildung CME Adipositas: http://www.cme-adipositas.de/anleitung/
 8WUTZLER, P.: Influenza – Therapie und Prophylaxe mit Neuraminidasehemmern; zu finden unter: http://www.eumecom.de (Suchbegriff "Influenza", Login erforderlich)
 9Bundesärztekammer: Ärztekammern prüfen Online-Fortbildungen nach Recht und Gesetz; http://www.presseportal.de/meldung/1172686
 10HAAS, S.: Thrombose-Prophylaxe, Onlinevortrag; zu finden unter: http://www.eumecom.de . Kardiologie . Online-Fortbildungen (Login erforderlich)
 11LEFFMANN, C. (Ärztekammer Hamburg): Schreiben vom 22. Juli 2008
 12MAYER, K.-M.: Focus vom 28. Juli 2008, Seite 32
 13SCHÖNHÖFER, P.S.: Persönliche Mitteilung vom 30. Juli 2008

 *CME = Continuing Medical Education
 **Der Senat für ärztliche Fortbildung berät den Vorstand der Bundesärztekammer in allen Fragen zur ärztlichen Fortbildung.
 ***Gegen die unselige Tradition firmengesponserter Information hat sich in Deutschland organisierter Widerstand gebildet: MEZIS (Mein Essen zahl ich selbst); http://www.mezis.de

© 2008 arznei-telegramm, publiziert am 1. August 2008

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