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Neu auf dem Markt

ZUSATZANTIEPILEPTIKUM LACOSAMID (VIMPAT)

Seit Mitte September ist mit Lacosamid (VIMPAT) ein neues Antiepileptikum im Handel. Wie die meisten Antiepileptika bei Markteinführung ist Lacosamid ausschließlich zur Zusatztherapie bei partiellen Anfällen mit oder ohne sekundäre Generalisierung zugelassen. Den Antrag auf Zulassung zur Behandlung von Schmerzen bei diabetischer Neuropathie hat die Firma UCB zurückgezogen, nachdem die europäische Arzneimittelbehörde EMEA hier keinen relevanten Nutzen sieht.2

EIGENSCHAFTEN: Lacosamid gehört zu einer Gruppe von Stoffen, die als funktionalisierte Aminosäuren bezeichnet werden. Der Wirkmechanismus ist nicht genau bekannt. Im Tierversuch ähnelt seine antiepileptische Aktivität der von Natriumkanalblockern wie Phenytoin (PHENHYDAN, Generika) oder Lamotrigin (LAMICTAL, Generika). In elektrophysiologischen Versuchen unterscheidet sich die Neuerung jedoch von den älteren Stoffen: Lacosamid fördert die langsame, nicht die schnelle Inaktivierung von spannungsabhängigen Natriumkanälen.1,3,4

KLINISCHE WIRKSAMKEIT: Die Zulassung basiert auf drei ähnlich angelegten 18- bis 21-wöchigen Phase-III-Studien mit insgesamt 1.294 Patienten im Alter von 16 bis 70 Jahren, die an einfachen oder komplexen partiellen Anfällen mit oder ohne sekundäre Generalisierung leiden. Sie sind trotz Vortherapie mit mindestens zwei Antiepileptika nicht anfallsfrei und haben während einer Run-in-Phase mindestens vier Anfälle in vier Wochen erlitten.1 Patienten mit relevanten Begleiterkrankungen haben wahrscheinlich nicht teilgenommen. Wie man der einzigen vollständig publizierten Studie entnehmen kann, ist die Liste der Ausschlusskriterien lang.5

Zusätzlich zu ein bis drei Antiepileptika in stabiler Dosierung nehmen die Patienten nach vier- bis sechswöchiger Auftitrierung pro Tag zwischen 200 mg und 600 mg Lacosamid oder Plazebo ein. Primärer Endpunkt für die Zulassung in Europa ist die Ansprechrate, definiert als Senkung der Anfallsfrequenz in der Erhaltungsphase um mindestens 50% gegenüber den Ausgangswerten. Bei gepoolter Auswertung beträgt die Ansprechrate 22,6% unter Plazebo, 34,1% unter täglich 200 mg (Number Needed to Treat [NNT] = 9) und 39,7% unter täglich 400 mg Lacosamid (NNT = 6). Durch täglich 600 mg Lacosamid lässt sich die Wirksamkeit nicht weiter steigern.1 Langzeitdaten und direkte Vergleiche mit anderen Antiepileptika fehlen.

STÖRWIRKUNGEN: Häufigste unerwünschte Wirkung in Phase-III-Studien ist Schwindel, der unter den empfohlenen Dosierungen 16% bis 30% betrifft (Plazebo 8%). Häufig wird auch über Kopfschmerzen (11% bis 14%), Übelkeit (7% bis 11%) und Doppelbilder (6% bis 10%) geklagt. Bei 2% bis 9% der Anwender kommt es zu Erbrechen, Müdigkeit, Verschwommensehen, Koordinationsstörung, Tremor oder Nystagmus. Störwirkungen nehmen dosisabhängig zu und treten besonders in der Titrationsphase auf. Nach einer vergleichenden Studie soll eine verlängerte Titrationsphase jedoch keine klaren Verträglichkeitsvorteile haben. Auch Therapieabbrüche wegen unerwünschter Effekte nehmen dosisabhängig zu (Plazebo 5%, 200 mg/Tag 8%, 400 mg/Tag 17% und 600 mg/Tag 29%).1

Die Rate schwerwiegender unerwünschter Ereignisse ist unter Verum mit 6,5% ebenfalls höher als unter Plazebo (3,8%). Lacosamid kann dosisabhängig das PR-Intervall im EKG verlängern. Zu den potenziellen schwerwiegenden Störwirkungen gehören daher atrioventrikulärer (AV-)Block, Bradykardie und Synkope. AV-Block 1. Grades ist bei Epilepsiepatienten unter Lacosamid gelegentlich (0,1% bis 1%) beobachtet worden. Bei bekanntem AV-Block 2. oder 3. Grades ist das Mittel kontraindiziert.1 Bei anderen schweren Herzerkrankungen oder Komedikation mit anderen PR-verlängernden Mitteln ist Vorsicht geboten.

Wie unter anderen Antiepileptika (a-t 2008; 39: 24) nimmt möglicherweise auch unter Lacosamid das Suizidalitätsrisiko zu. In insgesamt zwölf plazebokontrollierten Studien wird bei keinem Patienten unter Scheinmedikament, aber bei vier Verumanwendern Suizidalität beobachtet, ein Patient begeht Suizid.1

KOSTEN: Lacosamid (VIMPAT) wird mit monatlich 242 € für täglich 400 mg zum 10- bis 13fachen der Kosten für generische Zubereitungen von Carbamazepin (CARBADURA, 18 €/Monat für täglich 1.200 mg) und Lamotrigin (LAMO TAD, 23 €/Monat für täglich 200 mg) angeboten.

Zusatz des neuen Antiepileptikums Lacosamid (VIMPAT) senkt bei Patienten mit therapierefraktären partiellen Anfällen bei jedem Sechsten bis Neunten die Anfallsfrequenz um mindestens 50%.

Im Vordergrund der Störwirkungen stehen häufige zentralnervöse Effekte wie Schwindel und Magen-Darm-Störungen wie Übelkeit und Erbrechen.

Lacosamid kostet das 10- bis 13fache von Standardantiepileptika in generischer Zubereitung.

Langzeitdaten und direkte Vergleiche mit anderen Antiepileptika fehlen. Lacosamid stufen wir beim derzeitigen Kenntnisstand als Mittel der letzten Reserve ein.

  (R = randomisierte Studie)
  1 EMEA: Europ. Beurteilungsbericht (EPAR) VIMPAT, Stand 17. Sept. 2008; zu finden über: http://www.emea.europa.eu/htms/human/epar/v.htm
  2 EMEA Press Release vom 26. Sept. 2008; http://www.emea.europa.eu/ humandocs/PDFs/EPAR/lacosamidepain/50878008en.pdf
  3 ROGAWSKI, M.A.: Epilepsy Res. 2006; 69: 273-94
  4 ERRINGTON, A.C. et al.: Mol. Pharmacol. 2008; 73: 157-69
R5BEN-MENACHEM, E. et al.: Epilepsia 2007; 48: 1308-17

© 2008 arznei-telegramm, publiziert am 2. Oktober 2008

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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