ME TOO ROSUVASTATIN (CRESTOR)
Mit mehrjähriger Verzögerung ist der wegen Sicherheitsbedenken in Deutschland zunächst nicht zugelassene CSE-Hemmer Rosuvastatin (CRESTOR; a-t 2003; 34: 32) jetzt auch hierzulande eingeführt worden. Ähnlich wie Simvastatin (ZOCOR, Generika) und Atorvastatin (SORTIS) ist Rosuvastatin für die primäre Hypercholesterinämie einschließlich familiärer Formen sowie für die gemischte Dyslipidämie zugelassen.1-3 Anders als herkömmliche Statine1,2,4 hat die Neueinführung keine Zulassung für die Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen.3
EIGENSCHAFTEN: Wie andere Statine hemmt Rosuvastatin kompetitiv die 3-Hydroxy-3-Methylglutaryl-Coenzym-A (HMG-CoA)-Reduktase, ein Enzym, das die Umwandlung von HMG-CoA zur Cholesterinvorstufe Mevalonat katalysiert und damit geschwindigkeitsbestimmend für die Cholesterin-Biosynthese verantwortlich ist. Die verminderte Cholesterinsynthese in der Leber führt zu vermehrter Bildung von LDL-Rezeptoren auf den Hepatozyten mit nachfolgender erhöhter Aufnahme von LDL aus dem Blut.
Bei Vergleich auf mg-Basis senkt Rosuvastatin das LDL stärker als die anderen verfügbaren CSE-Hemmer. Ein klinischer Vorteil lässt sich daraus nicht ableiten. Zur Erinnerung: Das wegen Sicherheitsbedenken abgestürzte Cerivastatin (LIPOBAY) wirkte bereits in µg-Dosierungen (a-t 1998; Nr. 3: 30, 2001; 32: 88-9, 2002; 33: 22).
Tagesdosierung | initial 5 mg oder 10 mg, wenn erforderlich Dosissteigerung nach 4 Wochen, max. 40 mg |
Bioverfügbarkeit | 20% |
Verstoffwechselung | 10%; Rosuvastatin ist schwaches Substrat von CYP 450, vor allem CYP 2C9 |
Ausscheidung | etwa 90% der Dosis unverändert mit dem Stuhl, Rest mit dem Harn |
Halbwertszeit | etwa 19 Stunden |
Interaktionen | deutlich erhöhte Rosuvastatinspiegel durch Ciclosporin A (kontraindiziert), Gemfibrozil und Proteasehemmer (nicht empfohlen); erhöhtes Myopathierisiko bei Komedikation auch mit anderen Fibraten, Nikotinsäure oder Ezetimib; Anstieg der INR bei Komedikation mit Vitamin-K-Antagonisten (überwachen); Abnahme der Rosuvastatinspiegel um 50% durch Antazida; Anstieg der Hormonspiegel bei Komedikation mit oralen Kontrazeptiva3 |
KLINISCHE WIRKSAMKEIT: Randomisierte kontrollierte Studien mit klinischen Endpunkten, in denen Rosuvastatin mit einem Standard-CSE-Hemmer wie Simvastatin verglichen wird, finden wir nicht. Ob die Neueinführung kardiovaskulären Komplikationen besser oder schlechter vorbeugt als die Standardtherapie, ist daher nicht bekannt. Drei plazebokontrollierte Endpunktstudien liegen vor. In der Primärpräventionsstudie JUPITER* mit knapp 18.000 Teilnehmern senken täglich 20 mg Rosuvastatin das Risiko eines Herzinfarktes (pro Jahr 0,17% vs. 0,37%, Number needed to treat [NNT] = 500) oder eines Schlaganfalls (jährlich 0,18% vs. 0,34%, NNT =625).5 Das Ausmaß des Nutzens ist jedoch entsprechend dem geringen Risiko der relativ gesunden Studienpopulation klein und klinisch ohne Bedeutung (a-t 2008; 39: 119-121).
* | JUPITER = Justification for the Use of Statins in Prevention: an Intervention Trial Evaluating Rosuvastatin |
In zwei Studien, an denen ausschließlich Patienten mit symptomatischer Herzinsuffizienz teilnehmen (CORONA**-Studie: ischämisch bedingt; GISSI-HF**: ischämisch und nichtischämisch), bleibt ein Nutzen von Rosuvastatin aus (siehe ausführliche Diskussion im folgenden Artikel).6,7 Offen bleibt, ob diese Ergebnisse im Sinne eines Klasseneffektes von Statinen bei symptomatischer Herzinsuffizienz zu interpretieren sind oder als spezifischer Effekt des in der Sekundärprävention sonst nicht geprüften Rosuvastatin. Aussagekräftige Daten liegen für andere Statine in dieser Indikation nicht vor.
** | CORONA = Controlled Rosuvastatin Multinational Trial in Heart Failure; GISSI-HF = Gruppo Italiano per lo Studio della Sopravvivenza nell' Insuffizienza cardiaca |
UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN: Die typischen unerwünschten Effekte von Statinen wie Muskel- und Leberschäden werden auch unter Rosuvastatin beobachtet.3 Rosuvastatin ist der einzige CSE-Hemmer, bei dem - unter der nicht zugelassenen 80-mg-Dosis - Rhabdomyolysen bereits in den Zulassungsstudien aufgetreten sind.8,9 In Zulassungsstudien fällt zudem insbesondere unter höheren Dosierungen Entwicklung einer anscheinend tubulär bedingten Proteinurie auf. Für die 40-mg-Dosis wird die Häufigkeit mit 3% angegeben, für die 10-mg- und 20-mg-Dosierungen mit unter 1%.3 Die Ursache ist unbekannt. Ein durch den Wirkmechanismus vermittelter Klasseneffekt der Statine wird diskutiert, aber auch eine direkte Tubulusschädigung.9 Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA schließt bei Zulassung in den USA 2003 nicht aus, dass die Proteinurie und die ebenfalls in geringer Häufigkeit beobachtete Hämaturie bei einer kleinen Zahl von Patienten in Nierenversagen übergehen könnte.9
Die Frage, ob Rosuvastatin in den zugelassenen Dosierungen muskel- und nierentoxischer ist als Standard-CSE-Hemmer, wird auch wegen der höheren Rate von Spontanberichten nach der Zulassung kontrovers diskutiert.8,10,11 Die FDA sieht dafür 2005 keine überzeugenden Belege, räumt aber ein, dass die Auswertung der Verdachtsberichte im Spontanerfassungssystem die Bedenken wegen unerwünschter renaler Effekte von Rosuvastatin nicht vollständig ausräumen kann.12 Mehrere von AstraZeneca gesponserte retrospektive Kohortenstudien finden keine Auffälligkeit.13-16 In den beiden Herzinsuffizienzstudien sind Absetzen bzw. Tod wegen Nierenversagens unter Rosuvastatin numerisch häufiger als unter Plazebo.6,7 Die kleinen Zahlen können allerdings auch Zufallsschwankungen darstellen. In der größten randomisierten kontrollierten Studie (JUPITER) werden Daten zu schwerwiegenden renalen Ereignissen nicht publiziert.5 Laut Fachinformation ist unter der 40-mg-Dosis die Häufigkeit von Meldungen über Rhabdomyolysen sowie schwerwiegende renale und hepatische Nebenwirkungen erhöht.3
KOSTEN: Rosuvastatin wird mit 39 € pro Monat für täglich 10 mg zu knapp dem vierfachen Preis eines Simvastatingenerikums angeboten (z.B. SIMVADURA, monatlich 10 € für täglich 40 mg). Die Neuerung ist aber auch knapp 20% teurer als Atorvastatin (SORTIS, 33 € für täglich 10 mg). Im Gegensatz zu Atorvastatin, für das seit 2005 wegen fehlenden Zusatznutzens die Festbetragsregelung gilt, sodass Patienten die über den Festbetrag hinausgehenden Kosten selbst tragen müssen, kann das hochpreisige Rosuvastatin derzeit in vollem Umfang zulasten der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) verordnet werden. Die Zulassung eines Arzneimittels ist in Deutschland nach wie vor automatisch an die Verordnungsfähigkeit zulasten der GKV gekoppelt. Die Festbetragsregelung schließt zwar auch patentgeschützte Arzneimittel ein. Sie kann aber erst wirksam werden, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss die Frage des Zusatznutzens einer Neuerung negativ bewertet hat. Dieses Zeitfenster können Firmen nutzen, um ein überteuertes Me-too-Präparat im Markt zu etablieren.
Der CSE-Hemmer Rosuvastatin (CRESTOR) mindert in der Primärprävention der koronaren Herzkrankheit in einer Population mit relativ geringem koronaren Risiko kardiovaskuläre Komplikationen. Das absolute Ausmaß des Nutzens ist gering und klinisch bedeutungslos.
In der Sekundärprävention atherosklerotischer Erkrankungen ist Rosuvastatin mit negativem Ergebnis bei Patienten mit ischämisch bedingter Herzinsuffizienz geprüft. Langzeitinterventionsstudien zum Vergleich mit Standard-CSE-Hemmern fehlen. Ob Rosuvastatin kardiovaskulären Erkrankungen besser oder schlechter vorbeugt als Simvastatin (ZOCOR, Generika) oder Pravastatin (PRAVASIN, Generika), ist nicht bekannt. Ein Zusatznutzen oder auch nur Gleichwertigkeit ist mithin nicht belegt.
Die typischen unerwünschten Statineffekte wie Muskel- und Leberschäden werden auch unter Rosuvastatin beobachtet. Der CSE-Hemmer ist möglicherweise nierentoxischer als andere Statine.
Wir sehen keine Indikation für das überteuerte Präparat.
(R = randomisierte Studie) | ||
1 | MSD: Fachinformation ZOCOR MSD, Stand Juli 2008 | |
2 | Pfizer: Fachinformation SORTIS, Stand Okt. 2008 | |
3 | AstraZeneca: Fachinformation CRESTOR, Stand Dez. 2008 | |
4 | Bristol-Myers Squibb: Fachinformation PRAVASIN PROTECT, Stand Sept. 2008 | |
R | 5 | RIDKER, P.M. et al.: N. Engl. J. Med. 2008; 359: 2195-207 |
R | 6 | KJEKSHUS, J. et al.: N. Engl. J. Med. 2007; 357: 2248-61 |
R | 7 | GISSI-HF Investigators: Lancet 2008; 372: 1231-9 |
8 | WOLFE, S.M. (Public Citizen): Petition to the FDA to remove the cholesterol-lowering drug rosuvastatin (CRESTOR) from the market, 4. März 2004; http://www.citizen.org/publications/release.cfm?ID=7305 | |
9 | FDA: Advisory Committee Meeting Briefing Document NDA 21-366 for the use of CRESTOR, 11. Juni 2003; http://www.fda.gov/ohrms/dockets/ac/ 03/briefing/3968B1_02_A-FDA-Clinical%20Review.pdf | |
10 | ALSHEIKH-ALI, A.A. et al.: Circulation 2005; 111: 3051-7 | |
11 | GRUNDY, S.M.: Circulation 2005; 111: 3016-9 | |
12 | FDA: Stellungnahme zur Petition von Public Citizen für die Marktrücknahme von Rosuvastatin, 11. März 2005 http://www.fda.gov/cder/drug/infopage/rosuvastatin/crestor_CP.pdf | |
13 | GOETTSCH, W.G. et al.: Pharmacoepidemiol. Drug Saf. 2006; 15: 435-43 | |
14 | McAFEE, A.T. et al.: Pharmacoepidemiol. Drug Saf. 2006; 15: 444-53 | |
15 | GARCÍA-RODRIGUEZ, L.A. et al.: Pharmacoepidemiol. Drug Saf. 2008; 17: 943-52 | |
16 | GARCÍA-RODRIGUEZ, L.A. et al.: Pharmacoepidemiol. Drug Saf. 2008; 17: 953-61 |
© 2009 arznei-telegramm, publiziert am 13. Februar 2009
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