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Korrespondenz

GINKGO BILOBA VON NUTZEN BEI DEMENZ?

Ein Kollege schickte mir die Kopie eines Schreibens der Firma Schwabe mit der Überschrift: "IQWiG bestätigt langfristigen Nutzen der Behandlung mit 240 mg EGb 761 (TEBONIN) - Quelle: IQWiG - Abschlussbericht A 05-19B, 2008‚ Ginkgohaltige Präparate bei Alzheimer Demenz'". Wie ist diese Information zu bewerten?

Dr. med. J. KOHFAHL (Facharzt für Allgemeinmedizin)
D-27472 Cuxhaven
Interessenkonflikt: keiner

Anders als ein 2007 veröffentlichtes Cochrane-Review1 sieht das IQWiG in seiner Bewertung von Ginkgo biloba zur Behandlung der ALZHEIMER-Demenz den Nutzen des Extrakts in der höheren Dosierung von täglich 240 mg und in einem der betrachteten Endpunkte - Aktivitäten des täglichen Lebens - tatsächlich als belegt an. Für die anderen Wirksamkeitsendpunkte - begleitende Psychopathologie, Kognition oder Lebensqualität - sieht das Institut nur "Hinweise auf einen Nutzen". Für die Endpunkte Notwendigkeit einer vollstationären Pflege und Mortalität lassen sich mangels hinreichender Daten keine Aussagen treffen. Sechs plazebokontrollierte Studien von mindestens 16-wöchiger Dauer werden in der Auswertung berücksichtigt. Alle untersuchen den Schwabe-Extrakt TEBONIN.2

Mit Ausnahme der Mortalität und der unerwünschten Wirkungen gibt es bei allen Endpunkten - soweit Daten aus mehreren Studien vorliegen - eine ausgeprägte Heterogenität zwischen den Ergebnissen, für die eine hinreichende Erklärung fehlt. Die größten Wirkungen zeigen zwei in den 2000er Jahren vom Hersteller in der Ukraine durchgeführte Studien mit 400 bzw. 410 Patienten (im IQWiG-Bericht wie auch in diesem Text als NAPRYEYENKO 20073 bzw. SCHWABE 2008 bezeichnet), eine davon3 mit unvergleichlich großen Effekten. Dagegen bleibt in einer ebenfalls von Schwabe gesponserten US-amerikanischen Studie mit 513 Patienten, die der angestrebten Zulassung in den USA zugrunde liegen sollte, ein Vorteil gegenüber Plazebo aus.4 In einer herstellerunabhängigen Studie mit 176 Teilnehmern profitiert sogar eher die Plazebogruppe.5 Zwischen diesen beiden Extremen sind zwei ältere von Schwabe gesponserte Studien angesiedelt.2,6,7

Aufgrund der großen Effektdifferenzen verzichtet das IQWiG auf Metaanalysen. Nutzennachweise lassen sich unseres Erachtens aus den Daten nicht ableiten, auch nicht beim Endpunkt "Aktivitäten des täglichen Lebens" unter der Tagesdosis von 240 mg. Zwar begünstigen die Einzelergebnisse aller hierzu betrachteten (Sub-) Studien Ginkgo. Im Fall der US-amerikanischen Zulassungsstudie, die den geringsten und nicht signifikanten Effekt zeigt, ist der Unterschied zu Plazebo allerdings sehr klein: Auf der PDS*-Skala beträgt er 1,3, auf der GERRI*-Skala 0,05 Punkte bei mittleren Ausgangswerten von 54 bzw. 2,4 Punkten.2,4 Wegen des Verzichts auf eine Metaanalyse lässt sich aber nicht angeben, wie groß der Effekt ist, der sich aus der Gesamtschau der Untersuchungen ergibt. Mit welcher Sicherheit angenommen werden kann, dass er größer ist als der der US-amerikanischen Zulassungsstudie, bleibt offen. Auf Nachfrage zur klinischen Relevanz eines Effektes dieser Größe antwortet das IQWiG, dass angesichts des hohen Stellenwertes der Aktivitäten des täglichen Lebens für Patienten mit ALZHEIMER-Demenz "schon sehr klein anmutende Effekte dennoch eine mehr oder weniger große Relevanz für die Betroffenen haben können".8 Auf dieselbe Frage antwortet der Erstautor der US-amerikanischen Zulassungsstudie: "Any true differences of 1 to 2 points on the PDS or 0,05 on the GERRI would be less than trivial differences, virtually microscopic."9

* PDS = Progressive Deterioration Scale, misst Alltagsfunktion und Lebensqualität mit 27 Frageeinheiten, die mit Hilfe einer visuellen Analogskala von 0 bis 100 mm beantwortet werden, woraus dann ein mittlerer Punktwert errechnet wird. Ein höherer Score bedeutet einen besseren Zustand
GERRI = Geriatric Evaluation by Relative's Rating Instrument, misst Alltagsfunktion mit 49 Fragen, aus denen ein mittlerer Punktwert von 1 bis 5 ermittelt wird. Ein höherer Punktwert bedeutet einen schlechteren Zustand.

Die Schlussfolgerungen des IQWiG beruhen wesentlich auf den beiden in der Ukraine durchgeführten Studien des Herstellers. Abgesehen von der Frage der Übertragbarkeit auf die hiesige Situation (vgl. S. 25) steht für uns auch ihre Glaubwürdigkeit infrage: Die in keinem Studienregister angemeldeten Studien wurden dem IQWiG jeweils erst bekannt gegeben, als die Datenauswertung abgeschlossen war und die Ergebnisse feststanden. So wurde die NAPRYEYENKO-2007-Studie bereits im August 2004, also vor Beginn der IQWiG-Auswertung 2005, beendet,3 dem Institut gegenüber auf seine Anfrage nach abgeschlossenen Studien hin aber verschwiegen und erst nach Veröffentlichung des ersten IQWiG-Vorberichts Anfang 2007 als fertiger Studienbericht überreicht.2 Die zu diesem Zeitpunkt fast abgeschlossene, bis heute unveröffentlichte Studie SCHWABE 2008 wird weiterhin verschwiegen und gegenüber dem IQWiG erstmals in der Anhörung zum zweiten Vorbericht Anfang 2008 erwähnt,10 wiederum als die Ergebnisse feststehen. Bei dieser mündlichen Vorstellung der Studie betont Studienleiter Ralf IHL - von den anwesenden Firmenmitarbeitern unwidersprochen -, dass sie (die SCHWABE-2008-Studie) "nicht im selben Land wie die NAPRYEYENKO-Studie durchgeführt worden" sei.10 Ist es glaubwürdig, dass sich ein Studienleiter in solch einer Basisinformation "irrt"11? Beide Studien stammen - zumindest laut den dem IQWiG überlassenen Studienberichten - aus der Ukraine.2

Aus der bislang größten randomisierten Studie zu Ginkgo-biloba-Extrakt, der GEM**-Studie,12 die zeitgleich mit dem Abschlussbericht des IQWiG im November 2008 publiziert wurde, ergeben sich andererseits Risikosignale. Die Studie prüft allerdings nicht die Frage der Behandlung, sondern die der Prävention einer Demenz mit dem Schwabe-Präparat TEBONIN. 3.069 im Mittel 79 Jahre alte Senioren mit normalen oder leicht eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten nehmen daran teil. Mit einer Demenzrate von 17,9% in sechs Jahren wirken sich zweimal täglich 120 mg Ginkgo biloba nicht besser auf die Entwicklung der Erkrankung aus als Plazebo (16,1%; Hazard Ratio [HR] 1,12; 95% Konfidenzintervall [CI] 0,94-1,33). Dies gilt auch für die Subgruppe, bei der bereits initial leichte kognitive Einschränkungen bestehen (43,8% vs. 38,5% unter Plazebo). Nach einer explorativen Analyse würde der Extrakt das Demenzrisiko bei den Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen (26%) jedoch signifikant steigern (HR 1,56; 95% CI 1,14-2,15; p = 0,006). Sterblichkeit (12,8% vs. 12,3%) und ischämische kardiovaskuläre Komplikationen unterscheiden sich nicht. Anders als zu befürchten war (a-t 2000; 31: 87-8), ergibt sich auch in der Gesamthäufigkeit schwerer Blutungen kein Unterschied. Patienten unter oraler Antikoagulation waren allerdings ausgeschlossen. Hämorrhagische Schlaganfälle kommen unter Ginkgo zudem doppelt so häufig vor wie unter Plazebo (1,0% vs. 0,5%).

** GEM = Ginkgo Evaluation of Memory

Wir sehen aufgrund der außerordentlich inkonsistenten Datenlage keine überzeugenden Belege für einen Nutzen von Ginkgo biloba (TEBONIN u.a.) in der Behandlung der Demenz.

Das Informationsgebaren der Firma Schwabe und ihres Studienleiters gegenüber dem IQWiG weckt Zweifel an der Glaubwürdigkeit von zwei in der Ukraine durchgeführten Ginkgo-Studien.

Ein Nutzen von Ginkgo biloba in der - nicht zugelassenen - Prävention der Demenz ist nicht belegt.

Wir raten von der Einnahme von Ginkgo-biloba-Extrakt ab. Bei kardiovaskulären Vorerkrankungen ist vor der Anwendung zu warnen.

  (R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
M1BIRKS, J., GRIMLEY-EVANS, J.: Ginkgo biloba for cognitive impairment and dementia.
The Cochrane Database of Systematic Reviews 2009, Issue 1; Stand März 2008
 2IQWiG: Ginkgo-haltige Präparate bei Alzheimer Demenz, Abschlussbericht vom 29. Sept. 2008;
http://www.iqwig.de/download/A05-19B_Abschlussbericht_Ginkgohaltige_Praeparate_bei_Alzheimer_Demenz.pdf
R3NAPRYEYENKO, O. et al.: Arzneimittel-Forschung 2007; 57: 4-11
R4SCHNEIDER, L.S.: Curr. Alzheimer Res. 2005; 2: 541-51
R5McCARNEY, R. et al.: Internat. J. Geriatr. Psychiatry 2008; 23: 1222-30
R6KANOWSKI, S., HOERR, R.: Pharmacopsychiatry 2003; 36: 297-303
R7Le BARS, P.L. et al.: JAMA 1997; 278: 1327-32
 8IQWiG: Schreiben vom 19. Dez. 2008
 9SCHNEIDER, L.S.: Schreiben vom 22. Jan. 2009
 10IQWiG: Ginkgo-haltige Präparate bei ALZHEIMER-Demenz, Dokumentation und Würdigung der Stellungnahmen zum Vorbericht 2.0, Stand 24. Juni 2008;
http://www.iqwig.de/download/A05-19B_Dokumentation_und_Wuerdigung_der_Stellungnahmen_des_Vorbericht_Version_2_0.pdf
 11IHL, R.: Schreiben vom 3. Febr. 2009
R12DeKOSKY, S.T. et al.: JAMA 2008; 300: 2253-62

© 2009 arznei-telegramm, publiziert am 6. März 2009

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