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HERPES-ZOSTER-IMPFSTOFF ZOSTAVAX

Herpes zoster (Gürtelrose) beruht auf Reaktivierung des Varizella-zoster-Virus, das nach einer durchgemachten Windpockenerkrankung latent in den Ganglien sensibler Nerven überdauert. Häufigkeit und Ausprägung eines Herpes zoster nehmen mit dem Alter zu. Auch das Risiko einer postherpetischen Neuralgie steigt mit dem Alter. Das erhöhte Erkrankungsrisiko wird auf eine sinkende zellvermittelte Immunität im Alter zurückgeführt. Kontakt mit Kindern, die an Windpocken erkrankt sind, soll das Immunsystem boostern und so zum Schutz vor Herpes zoster beitragen können.1 Die Befürchtung, dass sich die Massenimpfung von Kindern gegen Windpocken ungünstig auf die Herpes-zoster-Inzidenz bei Erwachsenen auswirken könnte, scheint sich in den USA bestätigt zu haben. Nach einer Beobachtungsstudie in Massachusetts nahm nach Einführung der Windpockenimpfung 1995 zwischen 1999 und 2003 die altersadjustierte Rate an Herpes-zoster-Erkrankungen um 90% zu.2

Auch subklinische Reaktivierungen des Virus und ganz besonders eine Herpes-zoster-Erkrankung selbst boostern das Immunsystem. Bei Immunkompetenten kommen Zweiterkrankungen an Herpes zoster daher selten vor.1

Das Prinzip der Boosterung zum Schutz vor Herpes zoster liegt auch dem jetzt neu eingeführten Herpes-zoster-Impfstoff ZOSTAVAX zu Grunde. Er ist zugelassen ab einem Alter von 50 Jahren, wenn keine angeborene oder erworbene Immunschwäche und keine Therapie mit Immunsuppressiva vorliegen.3

EIGENSCHAFTEN:  ZOSTAVAX enthält abgeschwächte Lebendviren. Virusstamm und Produktionsprozess entsprechen denen des Windpockenimpfstoffs VARIVAX.4 ZOSTAVAX ist allerdings mit mindestens 19.400 so genannten Plaques-bildenden Einheiten (PBE) deutlich höher dosiert als VARIVAX (mindestens 1.350 PBE).3,5 Die Immunisierung besteht aus einer Impfdosis, die subkutan injiziert wird.3

KLINISCHE WIRKSAMKEIT: Die Zulassung basiert auf einer 2005 publizierten Phase-III-Studie (Shingles Prevention Study) mit mehr als 38.000 mindestens 60 Jahre alten Probanden in den USA.4,6 Patienten mit Immunschwäche, zum Beispiel wegen HIV-Infektion, immunsuppressiver Therapie einschließlich regelmäßig inhalierter Kortikosteroide oder aktiver Krebserkrankung sowie an das Haus gebundene oder bettlägerige Patienten sind ausgeschlossen. Zu den Ausschlusskriterien gehören auch Schwerhörigkeit, kognitive Einschränkung oder ein chronisches Schmerzsyndrom, da sie die in der Studie erforderlichen Auswertungen behindern könnten. Die Probanden erhalten nach randomisierter Zuteilung eine Dosis Herpes-zoster-Impfstoff oder eine Plazeboinjektion.6

Im Verlauf von durchschnittlich 3,1 Jahren wird die durch Herpes zoster bedingte Krankheitslast, der primäre Endpunkt, in den die Häufigkeit der Erkrankung sowie Schweregrad und Dauer der Schmerzen einfließen, unter dem Impfstoff relativ um 61% (95% Konfidenzintervall 51,1%-69,1%) gemindert. Die Häufigkeit eines Herpes zoster sinkt in diesem Zeitraum von 3,3% unter Plazebo auf 1,6% (Number needed to treat [NNT] = 59). Die Rate einer postherpetischen Neuralgie, die häufigste Komplikation eines Herpes zoster, nimmt von 0,42% auf 0,14% ab (NNT = 357).6

Ein günstiger Effekt auf Mortalität (4,1% in beiden Gruppen), Krankenhauseinweisungen insgesamt oder bedingt durch Herpes zoster sowie auf Schmerzmittelgebrauch oder Aktivitäten des täglichen Lebens ergibt sich nicht. Die Dauer des Impfschutzes ist nicht bekannt: Die Wirksamkeit nimmt im Studienzeitraum tendenziell ab. Auch ist ein nachlassender Effekt mit zunehmendem Alter zu beobachten.2

Für 50- bis 59-Jährige liegen keine Wirksamkeitsdaten, sondern nur (wenige) Immunogenitäts- und Sicherheitsdaten vor. In dieser Altersgruppe ist zwar das Zosterrisiko erhöht, das Risiko einer postherpetischen Neuralgie jedoch relativ gering. Bei der US-amerikanischen Zulassung wurde die Befürchtung geäußert, dass die Impfung dieser Altersgruppe wegen der unsicheren Dauer des Impfschutzes Zostererkrankungen nur auf ein späteres Lebensalter mit erhöhter Wahrscheinlichkeit einer postherpetischen Neuralgie verschieben könnte.7 In den USA wurde der Impfstoff folgerichtig erst ab einem Alter von 60 Jahren zugelassen.8

UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN: Nach den Daten einer Substudie der Shingles Prevention Study, in der 6.600 Probanden intensiver als die übrigen Teilnehmer auf unerwünschte Effekte nachbeobachtet wurden, ruft der Impfstoff in den ersten 42 Tagen nach Impfung bei jeweils etwa 35% Rötung und Schmerzen hervor, bei 26% Schwellung (unter Plazebo 7%, 9%, 5%). Auch Juckreiz an der Injektionsstelle kommt mit 7% versus 1% deutlich häufiger vor als unter Plazebo. Numerisch nehmen Fieber, Kopfschmerzen, Durchfall und Hautausschlag zu.2 Beunruhigend ist eine signifikante Zunahme schwerwiegender unerwünschter Effekte in den ersten sechs Wochen nach der Impfung im Verumarm der Substudie (1,9% vs. 1,3%; Number needed to harm [NNH] = 167),6 darunter laut US-amerikanischer Produktinformation vermehrte kardiovaskuläre Komplikationen (0,6% vs. 0,4%).8 Der Befund war Anlass für eine große randomisierte Sicherheitsstudie nach der Zulassung in den USA, an der insgesamt 12.000 Probanden teilgenommen haben.9,10 Laut Register ist diese Studie im Januar 2009 abgeschlossen worden.10 Ergebnisse liegen nach Auskunft des Herstellers noch nicht vor.11

In der Altersgruppe der 50- bis 59-Jährigen kommen sowohl lokale (51% vs. 34%) als auch systemische (25% vs. 19%) unerwünschte Ereignisse häufiger vor als bei Älteren. Auffällig sind dabei Störeffekte im Bereich des Nervensystem (6% vs. 2%).12 Im Rahmen der Postmarketingüberwachung wurde unter anderem über allergische und anaphylaktische Reaktionen berichtet.3

KOSTEN: Eine Fertigspritze mit einer Impfdosis ZOSTAVAX kostet 148,65 €. Für die Verhinderung einer postherpetischen Neuralgie im Zeitraum von drei Jahren sind bei Patienten über 60 Jahre 53.000 € aufzuwenden (berechnet für eine NNT von 357).

∎  Der (Zosterimpfstoff ZOSTAVAX senkt bei mindestens 60 Jahre alten Menschen die Inzidenz eines Herpes zoster in drei Jahren von 3,3% auf 1,6%.

∎  Aufgrund der strengen Auswahlkriterien in der Zulassungsstudie ist ein Nutzen nur bei relativ gesunden über 60-Jährigen belegt.

∎  Die postherpetische Neuralgie ist in der Studienpopulation auch ohne Impfung vergleichsweise selten. Entsprechend klein ist der absolute Nutzen des Impfstoffes (0,28% in drei Jahren).

∎  Die Dauer des Impfschutzes ist nicht bekannt.

∎  Mit zunehmendem Alter nimmt die Wirksamkeit ab.

∎  Ein Einfluss auf Mortalität, Krankenhauseinweisungen oder Aktivitäten des täglichen Lebens ist nicht belegt.

∎  Für die Altersgruppe der 50- bis 60-Jährigen, für die der Impfstoff hierzulande ebenfalls zugelassen ist, fehlen Wirksamkeitsdaten.

∎  Sollte die beobachtete Zunahme schwerwiegender unerwünschter Effekte um 0,6% ursächlich auf den Impfstoff zurückgehen, würden zumindest für den Zeitraum von drei Jahren, für den Studiendaten vorliegen, mehr Patienten geschädigt als im Hinblick auf die geminderte postherpetische Neuralgie profitieren. Für eine Klärung sind die Ergebnisse der bereits abgeschlossenen Sicherheitsstudie abzuwarten.

∎  Beim derzeitigen Kenntnisstand sehen wir keine Indikation für den Impfstoff.

  (R = randomisierte Studie)
 1OXMAN, M.N.: J. Am. Osteopath. Assoc. 2009; 109 (Suppl. 2): S13-7
 2FDA: Briefing Document, Advisory Committee Meeting 15. Dez. 2005
http://www.fda.gov/ohrms/dockets/ac/05/briefing/5-4198B2_1.pdf
 3Sanofi Pasteur MSD: Fachinformation ZOSTAVAX, Stand Juni 2009
 4EMEA: Europ. Beurteilungsbericht (EPAR) ZOSTAVAX, Stand 2006; http:// www.emea.europa.eu/humandocs/PDFs/EPAR/zostavax/067406en6.pdf
 5Sanofi Pasteur MSD: Fachinformation VARIVAX, Stand Juni 2009
R6OXMAN, M.N. et al.: N. Engl. J. Med. 2005; 352: 2271-84
 7FDA: Vaccines and Related Biological Products Advisory Committee Meeting, 15. Dez. 2005
http://www.fda.gov/ohrms/dockets/ac/05/transcripts/2005-4199t2-03.pdf
 8Merck: US-amerik. Produktinformation ZOSTAVAX, Stand Juli 2009
 9WOO, E.J. et al. : N. Engl. J. Med. 2007; 357: 88
 10Merck & Co: ZOSTAVAX Safety Study in Subjects = 60 years of Age, Stand 29. Jan. 2009;
http://www.clinicaltrials.gov/show/NCT00550745
 11Sanofi Pasteur MSD: Schreiben vom 26. Okt. 2009
 12EMEA: Europ. Beurteilungsbericht (EPAR) ZOSTAVAX, 21. Juni 2007
http://www.emea.europa.eu/humandocs/PDFs/EPAR/zostavax/EMEA-H-674-II-03-AR.pdf

© 2009 arznei-telegramm, publiziert am 6. November 2009

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