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LIPIDSENKER TREDAPTIVE: NIKOTINSÄURE OHNE FLUSH?

Seit über 50 Jahren wird Nikotinsäure zur Behandlung von Fettstoffwechselstörungen verwendet. Im 1975 abgeschlossenen Coronary Drug Project, einer randomisierten Langzeitstudie, senken täglich 3 g schnell anflutende Nikotinsäure (früher NICONACID FORTE) bei Männern mit Herzinfarkt in der Vorgeschichte gegenüber Plazebo das Risiko eines erneuten Infarktes von 12,2% auf 8,9% (sekundärer Endpunkt).1 Eine deutlich verringerte Mortalität findet sich erst in einer ursprünglich nicht geplanten, methodisch zweifelhaften Nachbeobachtung neun Jahre nach Studienende (52,0% vs. 58,2%).2

Wegen häufiger unangenehmer Störwirkungen hat Nikotinsäure keine breite Verwendung gefunden. Belastend und oft behandlungslimitierend ist ein Flush-Syndrom mit Wärmegefühl, Hautrötung, Juckreiz und Kribbeln. Diese Problematik sollte mit dem 2004 eingeführten NIASPAN, einer Zubereitung, die Nikotinsäure verzögert freisetzt, "gelöst" sein.3 Doch auch unter diesem Präparat brechen bis zu 47% der Patienten die Therapie ab, vor allem wegen Flush-Symptomen, über die bis zu neun von zehn Behandelten klagen (a-t 2004; 35: 56).

Mit dem seit kurzem angebotenen TREDAPTIVE, einer Kombination aus retardierter Nikotinsäure und Laropiprant, einem Prostaglandinrezeptorantagonisten, der Nikotinsäure-bedingten Flush verringern soll, ist es nun angeblich gelungen, "die wichtigste unerwünschte Wirkung der Therapie, die Flushs, selten zu machen".4 Wie retardierte Nikotinsäure allein ist die Neuerung zur Behandlung von Fettstoffwechselstörungen in Kombination mit CSE-Hemmern zugelassen, wenn diese das Cholesterin nicht ausreichend senken. Allein dürfen beide Nikotinsäurepräparate nur bei Unverträglichkeit von Statinen angewendet werden.5,6

EIGENSCHAFTEN: Wie Nikotinsäure die Lipidspiegel verändert, ist nicht vollständig geklärt. Unter anderem wird die Freisetzung freier Fettsäuren aus dem Fettgewebe gehemmt.7

Durch Nikotinsäure ausgelöster Flush wird vorwiegend über die Freisetzung von Prostaglandin D2 in der Haut vermittelt. Dieses bindet nach tierexperimentellen Daten an den Prostaglandin-D2-Rezeptor Typ 1 (DP1) an glatten Muskelzellen der Hautgefäße und ruft eine Vasodilatation hervor. Laropiprant blockiert als potenter Antagonist DP1 und wirkt zudem schwächer inhibitorisch am Thromboxan-A2-Rezeptor. In vitro vermitteln beide Rezeptoren gegensätzliche Effekte auf die Thrombozytenaggregation, die demnach sowohl verstärkt als auch abgeschwächt werden könnte.7 Klinisch relevante Veränderungen, beispielsweise auf die Blutungszeit, wurden unter therapeutischer Dosierung von Laropiprant jedoch nicht beobachtet.5

TREDAPTIVE-Tabletten bestehen aus zwei Schichten und setzen Laropiprant schnell, Nikotinsäure verzögert frei.7 Im Gegensatz zu der bei retardierter Nikotinsäure allein erforderlichen mehrwöchigen schrittweisen Dosistitration wird bei TREDAPTIVE die Dosis einmalig nach vier Wochen verdoppelt.5,6

WIRKSAMKEIT: Der Einfluss der Kombination auf die Lipidwerte wird in zwei randomisierten plazebo- bzw. verumkontrollierten Phase-III-Studien, von denen eine veröffentlicht ist,8 über maximal 24 Wochen untersucht. 3.011 Patienten im Alter von 20 bis 85 Jahren mit primärer Hypercholesterinämie oder gemischter Hyperlipidämie nehmen daran teil. Die Abbruchquoten unter der Nikotinsäure-Laropiprant-Kombination sind in beiden Studien mit über 25% hoch. Im Vergleich zu Plazebo sinken das LDL-Cholesterin um 17% bis 18% und die Triglyzeride um 22% bis 26%. Das HDL-Cholesterin steigt um 20% bis 23%.7,8 Retardierte Nikotinsäure allein soll vergleichbare Effekte erzielt haben (kein definierter Endpunkt).8 Die gleichzeitige Einnahme von TREDAPTIVE und Simvastatin beeinflusst die Lipidwerte signifikant stärker als jeder Lipidsenker allein.7 Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat die Zulassung von TREDAPTIVE abgelehnt. Sie fordert weitere Belege der Sicherheit und Wirksamkeit und möchte den für 2013 geplanten Abschluss der HPS2-THRIVE*-Studie abwarten, in der der Effekt auf kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität untersucht wird.9

* HPS2-THRIVE = Heart Protection Study 2 - Treatment of HDL to Reduce the Incidence of Vascular Events

STÖRWIRKUNGEN: In drei Phase-III-Studien wird primär (auch) der Einfluss von Laropiprant auf Flush-Symptome geprüft.7 Nur eine der Untersuchungen10 erlaubt jedoch einen aussagekräftigen Vergleich mit retardierter Nikotinsäure allein, da diese nur dort wie vorgeschrieben schrittweise auftitriert wird. Während der 16-wöchigen Einnahme verringert der Zusatz von Laropiprant die Zahl der Tage pro Woche mit mindestens mäßigen Flush-Beschwerden signifikant. Allerdings hat die Mehrzahl der Patienten über den gesamten Studienverlauf gemittelt nur an höchstens einem Tag pro Woche mäßige oder stärkere Flush-Beschwerden (Kombination: 83%, Nikotinsäure allein: 73%).7,10 Der europäische Arzneimittelausschuss (CHMP) stellt die Notwendigkeit einer Daueranwendung der Kombination in Frage und stuft ihren Langzeitnutzen als unbelegt ein. Ob Laropiprant über die Einstellungsphase hinaus erforderlich ist, wird jedoch erst untersucht.7

7,4% der Patienten unter TREDAPTIVE gegenüber 12,4% unter Nikotinsäure allein brechen die Studie wegen Flush ab.7,10 Insgesamt unterscheiden sich die Abbruchraten aber nicht wesentlich (27,0% vs. 28,2%), da die Kombination häufiger wegen anderer Störwirkungen (9,7% vs. 7,3%), vor allem gastrointestinaler Natur, und Laborveränderungen (1,5% vs. 0,7%) abgesetzt wird.7

Bei gemeinsamer Auswertung aller Studien werden unerwünschte Wirkungen insgesamt mit etwa 63% unter Nikotinsäure mit oder ohne Zusatz von Laropiprant häufiger beobachtet als in den Kontrollgruppen (Simvastatin/Plazebo: 47%). Mit typischen Nikotinsäure-assoziierten Störwirkungen wie verschlechterte Glukosetoleranz, erhöhter Harnsäurespiegel oder Abnahme der Thrombozytenzahl ist auch unter der Kombination mit Laropiprant zu rechnen.5 Gegenüber Nikotinsäure allein fällt eine Zunahme gastrointestinaler Beschwerden (16,5% vs. 11,7%) wie Durchfall, Dyspepsie, Übelkeit und Erbrechen sowie von Transaminasenerhöhungen auf mehr als das Dreifache des oberen Normwerts auf. Auch schwerwiegende unerwünschte Wirkungen sind unter der Kombination häufiger (0,3% vs. 0,1%), darunter Überempfindlichkeits- und Intoleranzreaktionen.7 Anstieg der Kreatininkinase auf mindestens das Zehnfache des oberen Normwerts tritt unter Nikotinsäure plus Laropiprant bei 2,0% auf gegenüber 0,7% unter Simvastatin/Plazebo. Allerdings haben etwa zwei Drittel der Patienten zusätzlich zu der Kombination ein Statin eingenommen und daher ein erhöhtes Risiko von Muskelschäden. Rhabdomyolysen werden in den Studien nicht beschrieben.7

Bei Mäusen kommen Hodentumore unter 250 mg/kg Laropiprant pro Tag signifikant häufiger vor als in zwei Kontrollgruppen. Dies wird auf das atypische Fehlen spontaner Hodentumoren bei den Kontrollen zurückgeführt.7

KOSTEN: Die Therapie mit retardierter Nikotinsäure plus Laropiprant (TREDAPTIVE; täglich 2 g + 40 mg) kostet pro Monat 53 € und ist damit in Deutschland 20% günstiger als retardierte Nikotinsäure allein (NIASPAN: 66 € für 2 g/Tag).

∎  Die Fixkombination TREDAPTIVE, die neben retardierter Nikotinsäure den Prostaglandinrezeptorantagonisten Laropiprant enthält, senkt wie retardierte Nikotinsäure allein (NIASPAN) erhöhte LDL- und Triglyzeridwerte und steigert das HDL-Cholesterin. Ein Einfluss auf kardiovaskuläre Ereignisse ist für beide Präparate nicht belegt (siehe auch Seite 109).

∎  Unter Zusatz von Laropiprant kommt Flush mit mäßigen oder starken Beschwerden sowie dadurch bedingter Behandlungsabbruch seltener vor als unter Nikotinsäure allein. Der Nutzen ist nur für 16 Wochen nachgewiesen.

∎  Unter Laropiprant fällt eine Zunahme gastrointestinaler Beschwerden und klinisch bedeutsamer Transaminasenanstiege auf. Auch Behandlungsabbrüche wegen nicht Flush-bedingter unerwünschter Wirkungen und Laborveränderungen sind häufiger als unter retardierter Nikotinsäure allein, sodass sich hier insgesamt kein Vorteil der Kombination erkennen lässt.

∎  Wir stufen retardierte Nikotinsäure als Mittel der ferneren Reserve ein. Für TREDAPTIVE sehen wir beim derzeitigen Kenntnisstand keine Indikation, da weder die langfristige Sicherheit in Bezug auf kardiovaskuläre Ereignisse noch ein über 16 Wochen hinausgehender Einfluss auf Flush-Symptome belegt ist und auch eine Umstellung auf retardierte Nikotinsäure allein nach der Einstellungsphase nicht geprüft ist.

  (R = randomisierte Studie )
R1The Coronary Drug Project Research Group: JAMA 1975; 231: 360-81
  2 CANNER, P.L. et al.: J. Am. Coll. Cardiol. 1986; 8: 1245-55
  3 Ärzte Ztg. vom 11. Mai 2004
  4 Ärzte Ztg. vom 8. Sept. 2008
  5 MSD: Fachinformation TREDAPTIVE, Stand Aug. 2009
  6 Abbott: Fachinformation NIASPAN, Stand Febr. 2009
  7 EMEA: Europ. Beurteilungsbericht (EPAR) TREDAPTIVE, Stand 2008 http://www.emea.europa.eu/humandocs/Humans/EPAR/tredaptive/ tredaptive.htm
R8MACCUBBIN, D. et al.: Int. J. Clin. Pract. 2008; 62: 1959-70
  9 SIEBENAND, S.: Pharm. Ztg. 2008; 153: 2946-7
R10MACCUBBIN, D. et al.: Am. J. Cardiol. 2009; 104: 74-81

© 2009 arznei-telegramm, publiziert am 4. Dezember 2009

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