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Korrespondenz

DULOXETIN (CYMBALTA U.A.) BEI DIABETISCHER POLYNEUROPATHIE?

Ich habe CYMBALTA (Wirkstoff: Duloxetin) heute als "sehr gutes Mittel" zur Behandlung von Schmerzen durch diabetische Polyneuropathie vorgestellt bekommen. Ob das Mittel nun als Alternative zu Gabapentin (NEURONTIN, Generika), Pregabalin (LYRICA) oder Amitriptylin (SAROTEN, Generika) dienen soll, konnte dabei von mir jedoch nicht geklärt werden. Im Arzneimittelkursbuch beschreiben Sie Duloxetin als Antidepressivumsvariante ohne besonderen Stellenwert. Können Sie mir Informationen dazu geben?

Dr. med. S. SOECKNICK (Facharzt für Allgemeinmedizin)
D-23566 Lübeck
Interessenkonflikt: keiner

Zur symptomatischen Therapie einer schmerzhaften diabetischen Polyneuropathie werden in erster Linie bestimmte Antidepressiva und Antiepileptika verwendet. Standard ist nach unserer Einschätzung nach wie vor das trizyklische Antidepressivum Amitriptylin (SAROTEN, Generika), wenn es vertragen wird und nicht kontraindiziert ist. Eine wichtige Kontraindikation sind kardiale Vorerkrankungen wie die koronare Herzkrankheit.1

Duloxetin (ARICLAIM, CYMBALTA) ist seit 2005 zur Behandlung von Schmerzen bei diabetischer Polyneuropathie zugelassen.2 Als Nutzenbeleg liegen drei randomisierte Doppelblindstudien mit insgesamt 1.139 Patienten veröffentlicht vor, in denen der Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer jeweils zwölf Wochen lang mit Plazebo verglichen wird. Primärer Endpunkt ist die Veränderung der mittleren Schmerzintensität, die mit Hilfe einer 11-Punkte-Skala* erfasst wird. Unter Plazebo nimmt die Schmerzintensität von eingangs 5,6 bis 6,1 Punkten um 1,4 bis 1,9 Punkte ab, unter täglich 60 mg Duloxetin signifikant um weitere 0,9 bis 1,3 Punkte. Täglich 120 mg bringen keinen zusätzlichen Nutzen.3-5 Nach einer Cochrane-Übersicht steigern täglich 60 mg Duloxetin den Anteil der Patienten, deren Schmerzintensität mindestens um 50% abnimmt, von 28,8% unter Plazebo auf 47,5% (Risk ratio [RR] 1,65; 95% Konfidenzintervall [CI] 1,34-2,03). Auch in diesem Endpunkt wirkt die höhere Tagesdosis nicht besser.6 Die in der Fachinformation empfohlene Dosissteigerung bei unzureichender Wirksamkeit von täglich 60 mg2 ist durch die Evidenz nicht gedeckt. In einer von zwei weiteren, bislang aber nicht vollständig publizierten plazebokontrollierten Studien - einer chinesischen Studie mit 215 Patienten - schneidet Duloxetin (tgl. 60 mg bis 120 mg) nicht besser ab als das Scheinmedikament.7 Auf der Basis der veröffentlichten Daten errechnen die Cochrane-Autoren eine Number Needed to Treat (NNT) von 6 für einen schmerzlindernden Effekt um mindestens 50%.6

Ein Wirkvorteil gegenüber etablierten Mitteln, insbesondere trizyklischen Antidepressiva, ist nicht belegt. Vergleichende Doppelblindstudien mit anderen Antidepressiva oder Antiepileptika finden wir nicht. Im indirekten Vergleich scheint Duloxetin ähnlich zu wirken wie die beiden neueren Antiepileptika Gabapentin (NEURONTIN, Generika) und Pregabalin (LYRICA),8 aber schwächer als trizyklische Antidepressiva,6 für die eine andere Cochrane-Gruppe bei diabetischer Neuropathie eine NNT von 2 für eine mindestens moderate Schmerzlinderung errechnet hat.9

Veröffentlichte Daten zu Trizyklika bei neuropathischen Schmerzen stammen zugegebenermaßen aus überwiegend kleinen Studien.9 Der Nutzen könnte daher überschätzt sein. Es existiert jedoch ein 9-wöchiger plazebokontrollierter Vergleich von Pregabalin (600 mg/Tag) mit Amitriptylin (75 mg/ Tag), an dem 256 Patienten mit schmerzhafter diabetischer Neuropathie teilgenommen haben und in dem im primären und in einigen sekundären Endpunkten nur Amitriptylin, nicht aber Pregabalin signifikant besser abschneidet als das Scheinmedikament und der seit mindestens sechs Jahren unveröffentlicht ist. Einzusehen sind Daten zu dieser Studie auf den Internetseiten der Zulassungsbehörden.10,11 Durch Unterdrückung von Studien wie diesem Vergleich und auch der chinesischen Arbeit mit Duloxetin wird die Datenlage zu Gunsten neuerer Mittel verzerrt. Dies gilt auch für Gabapentin, zu dem eine seit langem abgeschlossene Studie vorliegt, in der das Mittel keinen signifikanten Vorteil hat gegenüber Plazebo, die aber bis heute nicht vollständig publiziert ist (a-t 2008; 39: 121).

Häufigste unerwünschte Effekte unter Duloxetin sind Übelkeit (24%), Kopfschmerzen (14%), Mundtrockenheit (13%), Schläfrigkeit (11%) und Schwindel (10%). Duloxetin kann den Blutdruck und die Herzfrequenz steigern. Hypertensive Krise, Tachykardie, Vorhofflimmern und Verschlechterung einer vorbestehenden Herzinsuffizienz sowie orthostatische Hypotonie und Synkopen sind beschrieben.2,12,13 Nach Markteinführung sind zudem Harnverhaltung (a-t 2008; 39: 62), schwere Hepatotoxizität (a-t 2005; 36: 101) und schwerwiegende Hautschäden wie STEVENS-JOHNSON-Syndrom aufgefallen. Diese Hautschäden werden nach einer Analyse von Mitarbeitern der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA bezogen auf die Verordnungsrate unter Duloxetin deutlich häufiger berichtet als unter anderen selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SNRI).14

Wir zählen Duloxetin neben Gabapentin und Pregabalin zu den Mitteln der Reserve, wenn ein trizyklisches Antidepressivum kontraindiziert ist oder nicht vertragen wird. Bei kardialen Kontraindikationen gegen Trizyklika ist aber auch bei den Reservemitteln Vorsicht geboten, zumal die Erfahrungen insbesondere mit Duloxetin und Pregabalin begrenzt sind. Duloxetin ist bei unkontrolliertem Bluthochdruck kontraindiziert. Der Blutdruck muss unter der Therapie überwacht werden.2 Ähnlich wie unter Duloxetin werden auch unter Pregabalin Verschlechterung einer Herzinsuffizienz und Tachykardie mit Vorhofflimmern berichtet.15,16 Herzinsuffizienz und Herzrhythmusstörungen sind auch unter Gabapentin beschrieben.17 Bei Alterspatienten, denen Amitriptylin wegen anticholinerger Effekte nicht verordnet werden kann, kann auch die insbesondere unter Gabapentin und Pregabalin häufige Somnolenz ein Problem sein.

KOSTEN: Duloxetin (ARICLAIM, CYMBALTA) verteuert mit monatlichen Kosten von 85 € für täglich 60 mg die Therapie der diabetischen Neuropathie gegenüber Amitriptylin (AMITRIPTYLIN NEURAXPHARM, monatlich 9 € für täglich 75 mg) auf knapp das Zehnfache. Gegenüber Gabapentin (GABAPENTIN AAA, monatlich 65 € für täglich 2.400 mg) und Pregabalin (LYRICA, monatlich 77 € für täglich 300 mg) sind gut 30% bzw. 10% mehr aufzuwenden.

∎  Der Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Duloxetin (ARICLAIM, CYMBALTA) lindert Schmerzen bei diabetischer Neuropathie in drei veröffentlichten Studien besser als Plazebo, in einer von zwei nicht vollständig veröffentlichten nicht.

∎  Ein Wirkvorteil gegenüber dem Standard, trizyklischen Antidepressiva wie Amitriptylin (SAROTEN, Generika), ist nicht belegt. Nach indirekten Vergleichen wirkt Duloxetin schwächer.

∎  Häufigste Störwirkungen sind Übelkeit, Kopfschmerzen und Mundtrockenheit. Duloxetin steigert Blutdruck und Herzfrequenz. An seltenen schweren Störwirkungen fallen Hepatotoxizität und schwere Hautschäden auf.

∎  Wir zählen das teure Duloxetin neben Gabapentin (NEURONTIN, Generika) und Pregabalin (LYRICA) zu den Mitteln der Reserve bei schmerzhafter diabetischer Neuropathie, wenn Trizyklika kontraindiziert sind oder nicht vertragen werden. Wegen der fehlenden Langzeiterfahrungen, der blutdruck- und herzfrequenzsteigernden Effekte und Risikosignalen bei Herzinsuffizienz ist aber auch unter Duloxetin bei kardial vorgeschädigten Patienten Vorsicht geboten.

  (R =randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
1 Bayer: Fachinformation SAROTEN, Stand März 2008
2 Lilly: Fachinformation ARICLAIM bzw. CYMBALTA, Stand Juli 2010
R  3 GOLDSTEIN, D.J. et al.: Pain 2005; 116: 109-18
R  4 RASKIN, J. et al.: Pain Med. 2005; 6: 346-56
R  5 WERNICKE, J.F. et al.: Neurology 2006; 67: 1411-20
6 LUNN, M.P.T. et al.: Duloxetine for treating painful neuropathy or chronic pain. The Cochrane Database of Sys. Rev., Stand März 2009; Zug. Sept. 2010
7 Lilly: Duloxetine Versus Placebo in the Treatment of Patients With Diabetic Peripheral Neuropathic Pain in China, Stand April 2009;
http://www.clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT00408993
M  8 QUILICI, S. et al.: BMC Neurology 2009; 9: 6; 14 Seiten
M  9 SAARTO, T., WIFFEN, P.J.: Antidepressants for neuropathic pain. The Cochrane Database of Syst. Rev., Stand Aug. 2007; Zugriff Sept. 2010
10 FDA: Medical Review Pregabalin, Stand 2004;
http://www.accessdata.fda.gov/drugsatfda_docs/nda/2004/021446_Lyrica%20Capsules_medr.PDF
11 EMA: Europ. Beurteilungsbericht LYRICA, Okt 2005;
http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/EPAR_-_Scientific_Discussion/human/000546/WC500046600.pdf
12 COLUCCI, V., BERRY, B.D.: Ann. Pharmacother. 2008; 42: 882-7
13 STEVENS, D.L.: Ann. Pharmacother. 2008; 42: 1511-13
14 FDA: Briefing Document Advisory Committee Meeting 19. Aug. 2010;
http://www.fda.gov/downloads/AdvisoryCommittees/CommitteesMeetingMaterials/ Drugs/AnestheticAndLifeSupportDrugsAdvisoryCommittee/UCM222701.pdf
15 LAVILLE, M.A. et al.: Rev. Med. Interne 2008; 29: 152-4
16 De SMEDT, R.H. et al.: Brit. J. Clin. Pharmacol. 2008; 66: 327-8
17 Pfizer: US-amerikanische Produktinformation NEURONTIN, Apr. 2009

* von 0 = kein Schmerz bis 10 = stärkster Schmerz

© 2010 arznei-telegramm, publiziert am 17. September 2010

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